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Skifahren für Wiedereinsteiger
Zurück auf der Piste

Ob aus Zeit- oder Geldmangel oder aus gesundheitlichen Gründen: Rund jeder zehnte Deutsche hat sein Hobby Skifahren irgendwann im Laufe der Jahre aufgegeben. Wer nach längerer Pause wieder auf die Bretter steigt, kämpft mit neuen Techniken und alten Ängsten. Unser Autor hat es gewagt.

Von Henning Hübert | 02.02.2014
    Der erste Unterricht seit Jahren - Wiedereinsteiger auf Skiern
    Der erste Unterricht seit Jahren - Wiedereinsteiger auf Skiern (Deutschlandradio / Henning Hübert )
    Reinzwängen in die engen Skischuhe – ein Muss vor jedem möglichen Pistenspaß. Vier Schnallen muss ich vor den Augen des Technikers in einem Skiverleih im Talort Saalbach zuklappen. Immer von unten nach oben den Schuh schließen, rät Richard Herzog. Auch noch das zusätzliche Klettband schön fest zurren. Schon das zweite Paar Stiefel passt gut, - jetzt kann er die Bindung am Carvingski auf mich einstellen. Neues Modell, stark tailliert, biegsam und leicht. So soll ich mich auf der Piste spielerisch in die Kurve eindrehen können.
    "- Geburtsdatum?
    - 1973.
    - Gewicht?
    - 105.
    - Wie groß sind Sie?
    - 1'93.
    - Sind Sie ein guter Skifahrer oder mittelmäßig?
    - Also ich kam bis vor einem Jahr jede Piste runter. Und dann kam ein Kreuzbandriss auf der Piste. Linkes Knie. Ist halt so die Frage, wie Sie mich da einstellen?
    - Also ich stell es jetzt mal zwischen mittelmäßig und Anfänger."
    Wegen der alten Verletzung hat mir der Arzt eine Kniebandage mit Stützschienen verschrieben. Zum Schutz. Mit ihr kann ich mein Knie auf der Piste nur zwischen 10 und 90 Grad beugen. Sie gibt mir ein Sicherheitsgefühl. Außerdem inzwischen selbstverständlich ist der Helm. Erst recht nach dem tragischen Skiunfall des Rennfahrers Michael Schumacher sieht man fast niemanden mehr ohne einen. Auch die beiden anderen Wiedereinsteigerinnen, mit denen ich die nächsten beiden Pistentage verbringen werde, setzen einen auf.
    "Ja, weil: Wenn es ein Kurs ist, finde ich es sinnvoll. Sonst fahre ich nur blaue Piste. Und auch so langsam, dass ich mir selber nicht schaden kann. Ich fahre nicht abseits der Piste. Das Risiko bin ich bislang eingegangen. Beim Kurs werde ich es schon machen. Denn: Wer weiß, auf was für Ideen ich da komme.“
    Am nächsten morgen dann: Kurseinteilung. Skilehrer Jan aus Prag übernimmt die Mutigeren. Ich gehe zur Gruppe blaue Piste, die es also einfach mag. Die Angst vor einem erneuten Sturz macht meine Knie weich. Schnell sind alle beim Du. In der Mini-Gruppe von Skilehrer Peter sind außer mir noch Uta aus Wiesbaden und Meike aus Uelzen.
    "Bevor wir losfahren, machen wir uns ein kleines bisschen locker. Bissel dehnen. Dass wir uns etwas an die Ski gewöhnen. Etwas strecken. Und a bissel die Arme hoch."
    Peter ist seit 18 Jahren Skilehrer in Saalbach. Schurrbart, rote Hose, rote Jacke. Er zog mit Anfang 30 wegen der Arbeit aus Plauen im Vogtland hierhin, nach Österreich. Außerhalb der Wintersaison ist Peter Adler als Installateur zu Baustellen im Salzburgerland und in Tirol unterwegs. Wir sind also vier Deutsche, die immer schön hintereinander den Berg hinabrutschen.
    "Gut, dann fahren wir mal ein paar Bogen. Hier haben wir immer Kinderskirennen freitags. Wichtig ist, dass man wieder ein Gefühl bekommt für den Ski. Ordentlicher Belastungswechsel ist das A und O. Ist eine gute Hilfe: Hand zum Knie. Nicht wie beim Radfahren in die Kurve legen, sondern immer rauskippen. Anfahren in einem leichten Pflug und rauskippen. Hoch und tief. Jawohl, perfekt.“
    Bissl aus den Beinen raus
    Ein Südhang oberhalb des Ortes Saalbach, hier scheint die Sonne, flaches, höchstens welliges Gelände. Unser Revier. Gut 20 Jahre lang hat Uta pausiert. Sie ist die letzten acht Winter mehr schlecht als recht die Hänge runtergerutscht. Meike ist seit zweieinhalb Jahren Großmutter und möchte demnächst mit ihrer Enkeltochter auf die Piste.
    "Man wird ja nicht jünger. Auf jeden Fall nicht sicherer. Aber ich denke, es geht trotzdem. Ich möchte einfach heile, sicher unten ankommen und vor allen Dingen meine große Angst verlieren. Diese Unsicherheit einfach verlieren."
    Das klappt am besten abseits der breiten Autobahnpisten: auf den Ziehwegen durch den Tannenwald. Nicht in der Nähe der großen, neuen Sessellifte, die sechs Leute auf einmal aufnehmen. Die schaufeln in hohem Tempo immer neue Skifahrer auf die Pisten. Der Skilehrer lotst uns mit Engelsgeduld weg von den vollen Hängen.
    "Die meisten Touristen sind eine Woche da. Hamburger oder so. Auch die sollten sich einfahren. An einem leichten Hang. Nicht gleich schwarz oder eine schwere Rote. Je mehr man sich einfährt, umso besser verläuft der Urlaub. Der Hermann Meier hat auch auf einer leichten Piste immer eingefahren, wenn die Saison wieder losging. Und nicht gleich schwarz.““
    Auf den Ziehwegen durch den Wald sind wir unter uns. An einem der selten gewordenen Schlepplifte haben wir Ruhe vor den Tempojägern.
    "So, aufpassen, dann passt das. Nicht hinsetzen! Und ab, ja, passt!“
    Der orangefarbene Bügellift zieht uns an der Bärnalm vorbei. Hoch zum gut 1700 Meter hohen Bernkogel. Ein Grasberg. Auf den breiten Almwiesen waren Bagger am Werk, haben Wassergräben und Mulden eingeebnet, damit die Skifahrer auf breiter Front Richtung Saalbach und Hinterglemm abrutschen können. Auf 90.000 Fahrten pro Stunde ist die Skischaukel ausgelegt. Längst sind alle Hauptabfahrten mit Schneekanonen bestückt. Außerdem mussten etliche Pumpspeicher-Seen angelegt werden. Neue, tiefe Löcher in den Berghängen für die Schneegarantie und eine künstlich verlängerte Kunstschnee-Skisaison.
    Ein winterliches Tal mit einer Ortschaft in den Bergen.
    Zurück auf der Piste (Deutschlandradio / Henning Hübert)
    "Wo ich hier vor 17 oder 18 Jahren angefangen habe, da hatten sie zwar genug Schneekanonen. Aber nicht genug Wasser. Die hatten das Wasser unten auf dem Bach gezogen, mussten aber so und so viel Wasser drin lassen, wegen den Sägewerken in Viehhofen und Maishofen, die jahrhundertealte Wasserrechte haben. Und jetzt haben sie Speicherbecken. Fangen sie es auf wieder unten, wird alles hochgepumpt, eine hochkomplexe Sache. Hightech. Jetzt loslassen und jetzt wegfahren. So wir müssen hier rüber.“
    Mit jeder Abfahrt geht es besser. Die Kurven enden auch dort, wo ich hin wollte. Das Schöne: Wir bleiben alle sturzfrei.
    "Bissel aus den Beinen raus hoch und tief. Etwas mehr aus den Beinen raus. Super. Und jetzt Hoch Bogen tief und dann Ski zusammen. … Hoch vorm Bogen, belasten und wieder tief. Jawohl. Der war viel besser. Jetzt wird es."
    Auf der blauen Piste geht es also schon wieder. Aber da gibt es ja noch die andere Bergseite: Der respektvolle Blick geht rüber zum Schattberg. Mit seiner Nordabfahrt, eintausend Höhenmeter Unterschied auf nur vier Kilometern Länge. Extrem steil. Nichts für mich. Nur als Zuschauer wage ich mich heran an das komplette Gegenprogramm zu meinen sanften Schwüngen auf den Südhängen. Am Abend ruft ein Nachtrennen für Tourenskifahrer über 700 Teilnehmer auf die vereiste Piste: In Saalbach-Hinterglemm startet die diesjährige „Mountain Attack“
    "Ab geht die Post. Eintausend Höhenmeter, 70 Prozent Steigung. Viel Glück! Und kommt’s gut auffi!"
    Mit der Gondelbahn können wir die Bergsteiger auf Skiern wieder einholen. Sie sind mit Helm, Lampe, Steigfellen und Harscheisen bestückt und stürmen im Pulk den Berg hoch. Der Schattberg ist für eine Gruppe Ziel, für andere nur Etappe: Sechs Abfahrten und fünf weitere Gipfel folgen, ehe Hunderte Athleten unglaubliche 3.000 Höhenmeter und die Marathonstrecke bewältigt haben –ohne Gondelbahn. Es wird Nacht. Die ersten Rennläufer schalten ihre Stirnlampen am Berg an. Das Schattberg-Rennen ist ein knapp 45-minütiger Sprint auf Ski den Berg hoch. Ihn gewinnt Martin Schieder. Ein Lackierer aus Weißbach im Pinzgau.
    "Ja im Winter geh ich schon 30 Jahr lang. Und im Sommer tue ich viel Radl fahren, Berglaufen. Im Jahr 100.000 Höhenmeter mit Ski! Vielleicht 5-6.000 km mit dem Rad. Mountainbike. Bin KFZ-Spengler und Lackierer. Man muss auch wieder die Atemwege frei machen vom Staub und vom Nitro!"
    Die letzten Rennläufer werden erst zwei Stunden hinter ihm hier oben eintrudeln. Kurz hinter Martin Schieder der Zweitplatzierte, Gerhard Tritscher aus Ramsau in der Steiermark. Er nimmt einen Schluck aus einem Pappbecher – es gibt für die Athleten ein nach Himbeere schmeckendes Koffeingetränk - und leuchtet dann mit seiner Stirnlampe auf mich:
    "Die Stirnlampe ist vorgeschrieben vom Reglement. Die muss jeder verwenden. Bei mir kommt noch hinzu: Ich hab vor kurzem erst eine Verletzung gehabt am Knie: ein Kreuzbandriss. Also: Die Abfahrten sind zurzeit ein bisschen schwierig. Also, beim Aufstieg ist es kein Problem. Und locker runterfahren geht auch. Aber rennmäßig runter fahren, speziell, wenn es dunkel ist, ist mir fast ein bissel zu gefährlich. Meine Verletzung ist erst drei Wochen her, es ist noch alles ziemlich frisch. Muss ich zurzeit noch etwas aufpassen."
    Mit frischem Kreuzbandriss einen der steilsten Skiberge hinauf und dann gleich aufs Siegerpodest – wir staunen nur noch bei der nächtlichen Rückfahrt in der Gondel über diese Leistung.
    Keine Feigheit vor dem Hang
    Am nächsten Morgen ziehen wir Wiedereinsteiger lieber wieder die zahmeren Südhänge hinauf. Auch da gibt es Steilhänge. Die meistern wir aber am zweiten Tag, immer hinter Skilehrer Peter her. Wenn auch im Schneckentempo.
    "Schräges Rutschen, das ist ja 'net Feigheit vor dem Hang, sondern man trainiert da seine Beine und kriegt ein gutes Gefühl für den Ski.“
    So schaffen wir es bis zur Panorama-Alm. Die Sonne kommt heraus, wir können das Mittagessen sogar vor der urigen Holzhütte serviert bekommen. Es ist eine von 20 so genannten Via-Culinaria-Skihütten im Salzburgerland. Die wollen wesentlich mehr bieten als Würstl mit Pommes. Es gibt auf diesen Skihütten Wild aus der Region oder Käsnockerln, Austern oder Zwiebelsteak mit Bratkartoffeln. Vor uns also ein Traum aus feinstem Essen und einem überwältigenden Bergpanorama. Sonne und tief verschneite Berge, weit geht der Blick Richtung Hohe Tauern. - Schräg hinter uns auf der Hüttenterrasse: Der Lautsprecher.
    Das ist der Beat zu den Bergen. Für viele geht der Skitag fließend in die Apres-Ski-Phase über. Hier oben oder die Piste talwärts in der legendären Hinterhagalm. Bis Punkt 19 Uhr wird in den Hütten am Hang getrunken und getanzt. Uta, Meike und ich von der Ski-Wiedereinsteiger-Gruppe wollen uns an diesem Nachmittag aber höchstens einen „Muskel-Kater“ holen. Alle schnallen noch mal Ski und Helm an und gleiten ins Tal.
    "Es kommt ein wenig darauf an, auf welchem Hang man hier fährt. Also es gibt Hänge, da sind mir schlicht zu viele Leute drauf. Da bin ich dann auch skeptisch, wenn die Snowboarder von oben heran brettern. Aber es gibt andere Hänge, die sind gemütlicher. Da kann man Dinge ausprobieren und vor allen Dingen auch mehr üben. Und das ist halt das, was man ja erst mal muss."
    Wahrscheinlich sehen wir drei Wiedereinsteiger dabei aus wie Sonntagsfahrer auf der mittleren Spur der Autobahn. Nach zwei Skitagen müssen wir sagen: Wir haben zwar keinen einzigen überholt. Dafür haben wir es aber auch ohne Absturz geschafft – weder beim Apres-Ski noch auf der Piste.