Freitag, 29. März 2024

Archiv

Slowakische EU-Ratspräsidentschaft
Eine Brücke für fünf Millionen Slowaken

Seit mehr als zwölf Jahren Mitglied der Europäischen Union, hatte die Slowakei die EU-Ratspräsidentschaft zum ersten Mal inne - im zweiten Halbjahr 2016. Technisch hat das Land diese Aufgabe gut gemeistert. Doch ob sich damit auch das EU-Bewusstsein von fünf Millionen Slowaken geändert hat, bleibt abzuwarten.

Von Kilian Kirchgeßner | 28.12.2016
    Der Vorsitzende der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, und der slowakische Ministerpräsident Robert Fico am 30.6.2016 in Bratislawa.
    Technisch haben die Slowaken die EU-Ratspräsidentschaft gut bewältigt, da sind sich in Bratislava die Beobachter einig. Hier Jean-Claude Juncker, Chef der EU-Kommission, mit dem slowakische Ministerpräsident Robert Fico. (dpa-Bildfunk / EPA / Jakub Gavlak)
    Die Vorlesung ist zu Ende, durch das Foyer strömen die Studenten nach draußen. Die Comenius-Universität ist die älteste Hochschule der Slowakei. Die meisten, die hier studieren, sind überzeugte Europäer – so wie Ria Struharikova. In ihren Politologie-Seminaren, sagt sie, habe man während der Ratspräsidentschaft oft über die EU diskutiert:
    "Man könnte sagen, dass langsam der Euro-Skeptizismus zu uns kommt. Viele stellen sich die Frage, was Schengen, der Euro und so weiter wirklich im Leben hilft. Das zeigt sich zum Beispiel bei der Wahl zum Europäischen Parlament, wo wir die niedrigste Beteiligung aller Länder hatten. Irgendwo im Osten des Landes, wo die Menschen am Existenzminimum leben, hilft es nichts, wenn man sagt, ihr könnt jederzeit ins Ausland reisen. Für die meisten Slowaken hat die EU weniger direkte Auswirkungen, als ich gehofft hatte."
    Die EU im Windschatten innenpolitischer Konflikte
    Für die Slowakei ist es die erste Ratspräsidentschaft seit dem EU-Beitritt 2004. Eigentlich sind die Slowaken überzeugte Europäer; für das kleine 5-Millionen-Einwohner-Land war die Mitgliedschaft auch eine Frage des Selbstwertgefühls. Dass der Platz in der EU als Teil der eigenen Identität so wenig gepflegt werde, sei vor allem ein Versäumnis der Innenpolitik, sagt Marian Lesko. Der Publizist ist einer der renommiertesten Beobachter der slowakischen Politik. Sein Urteil über die Ratspräsidentschaft ist eindeutig:
    "Ich glaube, sie ist eine weitere ungenutzte Gelegenheit. Die Dichotomie: "Wir auf der einen und Brüssel auf der anderen Seite" äußert sich weiterhin: Wir sind die Slowaken, die anderen sind die anderen. Die Ratspräsidentschaft war eine Chance, die europäische Identität zu pflegen; zu sagen: Wir sind die EU."
    Innenpolitisch war das zurückliegende halbe Jahr eine Phase des krachenden Streits: Die Koalition aus den Sozialdemokraten des Premierministers Robert Fico, der rechtskonservativen Nationalpartei und der Partei der ungarischen Minderheit war von Korruptionsskandalen geplagt; eine ursprüngliche vierte Koalitionspartei ist im Streit auseinandergebrochen. Die EU stand in der Wahrnehmung oft im Windschatten dieser innenpolitischen Konflikte. Während es um den EU-Beitritt herum eine große pro-europäische Allianz in der Politik gegeben habe, werde die Union von den slowakischen Politikern inzwischen vor allem pragmatisch gesehen, sagt Publizist Marian Lesko:
    "Wenn jemand die Äußerungen der Politiker über die EU analysieren würde – der fände heraus, dass es eine Sammlung völlig inkonsistenter Äußerungen ist, wo immer das gesagt wird, was bei den Wählern gerade Punkte bringt. Die EU ist ein Instrument im innenpolitischen Kampf, genauso wie alle anderen Themen auch, obwohl sie eine völlig andere Bedeutung hat."
    Ratspräsidentschaft wird positiv bewertet
    Und die Ratspräsidentschaft selbst? Technisch haben die Slowaken sie gut bewältigt, da sind sich in Bratislava die Beobachter einig. Und dass die Regierung um den Premierminister Robert Fico während des halben Jahres international genau betrachtet worden sei, habe zur Folge gehabt, dass die Rhetorik zum Beispiel zum Thema der Flüchtlinge weniger scharf ausgefallen sei als üblich. Ihr Gutes habe die Ratspräsidentschaft auf jeden Fall gehabt, sagt Ria Struharikova, die Politologie-Studentin: Dass viele Entscheidungen in Bratislava gefällt worden sind, direkt vor der eigenen Haustür, das könne manchen Slowaken die Augen öffnen:
    "Hier in der Slowakei herrscht oft der Eindruck, dass Beamte in Brüssel, die wir nicht kennen, alles ohne uns entscheiden und dann kommt da irgendein Blödsinn dabei raus – so wird das ja oft verzerrt dargestellt. Die Regierung sagt gern, dass alles, was nicht funktioniert, aus Brüssel kommt. Jetzt sieht man, dass die EU nicht aus irgendwelchen Bürokraten besteht, sondern dass auch unsere Minister mit dabei sind, sich äußern, mitentscheiden. Das ist für mich der größte Mehrwert."
    Die Ratspräsidentschaft als Lehrstunde in der EU-Demokratie – das könnte hängenbleiben, hofft die Studentin.