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Slowenische Bibliothek
Kleines Land, große Literatur

Die slowenische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts steht im Mittelpunkt einer neuen Buchreihe, an der drei österreichische Verlage beteiligt sind. Herausgeber der auf 30 Bände angelegten "Slowenischen Bibliothek" ist der Übersetzer Erwin Köstler.

Von Jörg Plath | 08.01.2014
    Slowenien mag mit seinen gut zwei Millionen Einwohnern ein kleines Land sein – literarisch ist es hierzulande besser vertreten als manch großes, dank der Übersetzungen von Drago Jančar, Aleš Steger und Tomaž Šalamun, von Lojze Kovačič, Florjan Lipuš, Ivan Cankar und einigen anderen. Nun sind auch noch die ersten fünf Bände einer immerhin auf 30 Bände konzipierten "Slowenischen Bibliothek‟ erschienen. Solche Ehre – und Mühe! – wurde bisher nur der polnischen, der tschechischen und der türkischen Literatur zuteil.
    Erwin Köstler, vielfach ausgezeichneter Übersetzer aus dem Slowenischen, Literaturwissenschaftler und Kurator, ist der Herausgeber der Bibliothek. Er will nicht Meisterwerke, sondern bisher nicht übersetzte Prosa aus den Jahren 1830 bis 1980 mit Nachworten und ausführlichen Kommentaren vorlegen. Als Signet dient der Slowenischen Bibliothek ein Zeichen namens "Trotamora". Der fünfzackige, in einem Zug gezeichnete Stern hält die bösen Geister fern, er schützt das Neugeborene vor schlechtem Schlaf, vor dem Alb, der sich ihm an der Brust festsaugt. In Kärnten diente er zudem als Erkennnungszeichen im Widerstand gegen die Nationalsozialisten.
    Fünf Bände, auf einmal erschienen in gleich drei miteinander kooperierenden Verlagen, fünf von 30 geplanten – man ahnt schon, warum das fünfeckige Bannzeichen für dieses Neugeborene nötig sein könnte. Das Risiko, auf das sich der Herausgeber Erwin Köstler und die Verlage Wieser, Drava und Mohorjeva/Hermagoras mit der Slowenischen Bibliothek eingelassen haben, ist vermutlich kein kleines.
    Die ersten fünf Titel stammen alle aus dem letzten Jahrhundert. Recht betulich erscheinen ungeachtet des Titels "Zwischen Idylle und Grauen" die realistischen Novellen Vladimir Bartols aus den Jahren 1935 bis 1940, und "Ihr Leben", der Roman der ersten slowenischen Kämpferin für die Gleichberechtigung der Frau, Zofka Kveder, hat seit seiner Veröffentlichung 1914 einige Patina angesetzt. Er wirkt arg didaktisch.
    Ausgesprochen lesenswert aber ist Marjan Rožanc neorealistischer Roman "Liebe" aus dem Jahr 1979. Rožanc erzählt vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs voller Heiterkeit und Leichtigkeit, wie der kindliche Erzähler heranwächst und Einheit wie Unmittelbarkeit verliert. Den Bewohnern seines Viertels ergeht es ebenso: Die Slowenen zerfallen unter der Besatzung in Kollaborateure und Partisanen, Profiteure und Wendehälse.
    Ganz und gar nicht leicht, sondern eindrucksvoll sperrig, sind die expressionistischen Novellen "Plebanus Ioannes" und "Thabiti kumi" von Ivan Pregelj aus den zwanziger und dreißiger Jahren: Auf strenge, in fürchterlicher Düsterkeit fast abweisende Art quält sich ein Kaplan im 15. Jahrhundert mit den Fragen von Sündhaftigkeit und Heiligkeit.
    So reizvoll die sehr unterschiedlichen Bücher von Marjan Rožanc und Ivan Pregelj sind – der Kurzroman "Reise ans Ende des Frühlings" von Vitomil Zupan läuft ihnen mühelos den Rang ab. Unter dem zu Recht an Louis-Ferdinand Célines "Reise ans Ende der Nacht" erinnernden Titel schickt Vitomil Zupan seinen Helden, einen Gymnasiallehrer, auf eine Odyssee durch Ljubljanas Wirtshäuser, Wohnungen und Straßen. Assoziationen, Sentenzen, Rhythmen, Traumbilder treiben das Geschehen in einem Monologwirbel voran, Innen- und Außenwelt, Prosa und Lyrik verschmelzen miteinander.
    In einem "Blitz in vier Farben", so der Untertitel von Zupans "Reise ans Ende des Frühlings", zerfällt das Lehrersubjekt auf seiner komischen und leidvollen Suche nach dem richtigen, dem prallen Leben. Entstanden ist der Roman in den 30er Jahren, erscheinen konnte er erst 40 Jahre später in Slowenien, noch einmal 40 Jahre später ist er endlich übersetzt. Eine Entdeckung!
    Doch Trotamora hin oder her, erst einmal hat der Abwehrzauber versagt. Slowenien leidet unter einer hausgemachten Bankenkrise, die neue Regierung kürzte die Fördergelder für Übersetzungen. Erwin Köstler muss um die nächsten 25 Bände der Slowenischen Bibliothek bangen.
    Die erzwungene Pause wird zeigen, ob die Kooperation der drei österreichischen Verlage trägt. Sie verschafft ihnen zudem reichlich Gelegenheiten, sich auch nach der Auszahlung der Fördergelder weiter für die Bücher einzusetzen. In der Vergangenheit war das bei Wieser und Mohorjeva/Hermagoras nicht immer der Fall. Und vielleicht überdenkt man auch noch einmal die Umschlaggestaltung, die in Detailaufnahmen Felsen und Wasser, hartes Grau und eine wechselnde, dafür kreischende Farbe so kombiniert, dass ambitionierte Möbelhäuser ihre helle Freude haben werden.
    Sollte aber unter den geplanten 25 Bänden der Slowenischen Bibliothek, deren Erscheinen dringend zu wünschen ist, auch nur eine solche Entdeckung wie Vitomil Zupans Roman "Reise ans Ende des Frühlings" sein, dann können die Schutzumschläge so aussehen wie sie wollen.