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Smartphone-Trend
Sexting außer Kontrolle

Der Versand intimer Selbstbildnisse, das "Sexting", ist heute weit verbreitet. Auf den Handys mancher Schülerinnen und Schüler sind Bilder und Filme abgespeichert, von denen Eltern lieber nichts wissen wollen. Gerät so ein Bild ungewollt an die Öffentlichkeit, ist Mobbing vorprogrammiert.

Von Anke Petermann | 26.03.2014
    Dass sich Mädchen nackt oder in anzüglichen Posen fotografieren und Intimfotos zum Beispiel als vermeintlichen Liebesbeweis übers Smartphone senden, gehört unter Jugendlichen zum Alltag, weiß die 15-jährige Luise. Manchmal heizen sich Mädchen in Foren gegenseitig dazu an, sich immer weiter zu entblättern, oft werden intime Bilder aber ungewollt veröffentlicht.
    "Es gab bei uns an der Schule real den Fall, dass Bilder von einem Mädchen in Umlauf kamen. Und natürlich hat man dann irgendwann die Situation, dass einer zu einem kommt und sagt, die da hinten, von der gab's mal diese Bilder."
    Dass sie selbst in die Sexting-Falle tappen könnte, hält die 15-Jährige für ausgeschlossen.
    "Ich bin reflektiert genug, so etwas nicht zu tun. Ich möchte jetzt nicht den Mädchen oder Jungen, die das tun, unterstellen, dass die nicht reflektiert genug sind, sondern ich glaube einfach, dass sie in dem Moment das Gefühl haben, das ist ein gesichertes Umfeld. Ich hab einfach für mich gelernt: Ist es nicht und man muss einfach aufpassen."
    "Wenn du das nicht das tust, dann werde ich das an deine Mutter schicken"
    Luise zieht das als Fazit aus den Sexting-Fällen, die sie mitbekommen hat. Jugendliche mit einem stabilen familiären und sozialen Umfeld sind in der Lage, den Bilder- und Datenaustausch mit gesundem Misstrauen zu begegnen, beobachten Lehrer und Psychologen. Stützen, so die Erfahrung von Till Lieberz-Groß, Leiterin der Frankfurter Anne-Frank-Realschule, müsse man die naiv-uninformierten, teilweise noch sehr Jungen und die Geltungsbedürftigen, die sich exponierten, weil sie in der Familie und der Schule zu wenig Aufmerksamkeit bekämen. Bei den Jüngeren fange es oft mit Fotos an, auf denen Mädchen spärlicher bekleidet zu sehen seien. Dann würden sie erpresst …
    "… immer mehr zu schicken, mit immer weniger Kleidungsstücken, und bedroht, wenn du das nicht das tust, dann werde ich das an deine Mutter schicken, ich werde es per Print in den Briefkasten werfen, ich werde es in der Schule verbreiten."
    Was Lehrer oft erst erführen, wenn die Spirale schon voll im Gang sei. Wichtig sei, so Lieberz-Groß, die Mädchen zu ermutigen,
    "… frühzeitig diese mafiöse Struktur zu durchbrechen und zu sagen, OK, ich habe einen Fehler gemacht, und ich lasse mich nicht weiter von dir zu irgendwas zwingen, was ich nicht möchte. Sie darin zu bestärken, dass man Fehler machen kann, dass das aber möglichst der einzige Fehler bleiben sollte und man diesen Fehler möglichst nicht wiederholt."

    Prävention dank "Digitaler Helden"
    Die Not zu lindern heiße nicht immer, sofort die Eltern zu informieren, denn manche Kinder hätten genau davor die größte Angst. Je nach Fall würden Eltern und Jugendamt eingeschaltet oder Strafanzeige erstattet, sagt die Schulleiterin. Mit dem Projekt "Digitale Helden" setzt die Schule auch auf Prävention: Ältere Schüler machen jüngere auf die Mobbingrisiken aufmerksam, die sich mit den Neuen Medien potenzieren können. Hautnah bekommt das Susanne Schlüter-Müller als Frankfurter Jugendpsychiaterin zu spüren:
    "Ich hab viele Mädchen im Moment, die sich ins Internet gestellt haben, mit solchen Bildern und die mit 12, 13 gar nicht überschauen konnten, dass das Netz nie vergisst, dass da für immer da drin ist. Und dass sie sich total schädigen und jetzt die Schule gewechselt haben und immer denken, wenn ich die Schule wechsele ... – und ihr Bild ist aber immer schon da, wenn sie an der Schule ankommen."
    Stabilisieren lassen sich die Mächen dann, wenn die Eltern Verständnis zeigen, beobachtet die Kinder und Jugendpsychiaterin, und wenn die Schulen mitziehen und …
    "… das zum Thema machen. Ich habe da jetzt eine sehr gute Erfahrung mit einner Frankfurter Schule gemacht, dass die da in der Klasse zum Thema gemacht haben, 'das kann euch allen passieren und jetzt verachtet eure Mitschülerin nicht so, sondern jetzt merkt ihr daran, wie gefährlich das ist.' Also, das läuft in dem einen Fall sehr gut. In einem anderen Fall geht's dem Mädchen so schlecht, dass sie in der Psychiatrie ist, weil sie das überhaupt nicht verkraftet, was da ausgelöst worden ist."
    Ohne ein feixendes Publikum, das beim Mobbing mitmacht, funktioniert Sexting nicht. An der Anne-Frank-Schule wird diese Mitverantwortung thematisiert: Jeder kann die Kettenreaktion unterbrechen, auch derjenige, der das Bild empfängt.