Donnerstag, 28. März 2024

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Snowbirds
Überwintern unter Floridas Sonne

Menschen, die vor Schnee und Kälte in ihren Ländern in die Wärme Floridas geflohen sind, nennen die Leute dort "Snowbirds". In Citrus County kommen diese an Kirchen und Schauplätzen wie aus dem Film "Vom Winde verweht" vorbei - und rund um den Chassahowitzka Fluss campen einige Trump-Anhänger.

Von Isa Hoffinger | 31.03.2019
Eine Sehkuh unter Wasser, das Bild ist halb unter, halb über Wasser aufgenommen
Die Manatees, Sehkühe, verlassen in den Wintermonaten das Meer und ziehen sich in die Flüsse im Citrus County zurück (picture alliance / DUMONT Bildarchiv / Joerg Modrow)
St. Annes ist eine kleine Kirche in Florida. Sie liegt im Citrus County, in der Nähe des Wildschutzgebietes Crystal River. Der Pfarrer steht vor einem Pult. Am Ende eines etwa 20 Meter langen Mittelgangs, auf dem ein roter Teppich ausgerollt ist. Ab und zu, in den Wintermonaten, kommen Fremde zu Besuch. Snowbirds. So heißen Menschen wie ich, die vor dem Schnee und der Kälte in ihren Ländern in die Wärme Floridas geflohen sind. Wenn sie sich in seine Kirche verirren, bittet der Pfarrer von St. Annes die Gäste, sich vorzustellen.
Ich heiße Isa und bin aus Deutschland. Ich bin auf der Durchreise Richtung Norden. Heute Morgen habe ich spontan entschieden, in die Kirche zu gehen. Ich bin durch Zufall in Florida gelandet, weil ich die Südstaaten kennenlernen wollte. Und weil ich schon friere, wenn das Quecksilber im Thermometer unter die 17 Grad Marke sinkt. Nach Crystal River wollte ich, weil man nur in diesem Teil Floridas mit Manatees schwimmen kann, jenen grauen Riesen, die in den Wintermonaten das Meer verlassen und sich in die Flüsse im Citrus County zurückziehen.
Bei der Anreise mit dem Mietwagen ist mir aufgefallen, dass es ziemlich viele Kirchen im Citrus County gibt. Allein in der Stadt Crystal River können die Gläubigen zwischen 18 Gotteshäusern von acht verschiedenen Konfessionen wählen, es gibt Methodisten, Presbyter, Baptisten, Lutheraner – dabei hat Crystal River gerade mal etwas mehr als 3.100 Einwohner.
Wo die Rebellenflaggen noch immer wehen
Die Zitronenbäume, die alle Alleen säumten und dem County seinen Namen haben, gibt es schon lange nicht mehr, aber das Licht vor Sonnenuntergang ist hier noch genauso einmalig wie es vor 200 Jahren gewesen sein muss. Es legt sich jeden Abend langsam auf die duftenden, frisch gemähten Rasenflächen vor den Einfamilienhäusern wie ein goldenes Tuch aus Seide.
Neben der US-amerikanischen Flagge hissen viele Bewohner im Citrus County auch die so genannte Rebellenflagge der ehemaligen Südstaaten an ihren Häusern. Manche stecken Fähnchen mit den weißumrahmten blauen Schragenkreuzen auf rotem Grund an die Motorhauben ihrer Autos.
Anfang des 19. Jahrhunderts gehörte das Gebiet den Seminolen. Nachdem die Ureinwohner vertrieben worden waren, ermutigte der Kongress im Jahr 1842 die Menschen, ihr Glück als Siedler zu versuchen. Jeder Mann, der einen Revolver hatte, ein Haus baute, Land kultivierte und mindestens fünf Jahre darauf wohnen blieb, bekam sein Grundstück geschenkt. Der Anbau von Zitronen brachte bescheidenen Wohlstand, aber im Jahr 1894 endete der Zitrus-Boom.
Ungefähr zur gleichen Zeit entdeckten die Menschen große Phosphat-Lager. Im Abbau von Phosphat entstanden viele neue Jobs, die Regierung warb Arbeiter aus Georgia und South Carolina an. Bis heute sind die Menschen stolz darauf, Südstaatler zu sein.
Ich höre Radio, als ich Crystal River verlasse. Interviewter im Radio: "Ich spreche von den oberen Zehntausend, den George Soros, den Barack Obamas – sie repräsentieren das Establishment – und sie wollen Zuwanderer haben. Denn 70 Prozent der Muslime wählen Demokraten. Auch die Universitäten lieben Studierende aus Saudi Arabien oder Pakistan, sie bezahlen die volle Studiengebühr, während Amerikaner Stipendien bekommen – Fremde sind die Cash Cows."
Vorsicht und Vorurteil rund um den Chassahowitzka Fluss
Die Kongresswahlen im vergangenen November verliefen in Florida chaotisch, Trump sprach öffentlich von Betrug. Er hat einige Anhänger in der Gegend um den Chassahowitzka Fluss. Dorthin fahre ich jetzt. Carla Bernhardt wartet schon auf mich, eine ehemalige Krankenschwester. Sie vermietet Kajaks auf einem Campground. Auf dem breiten Boulevard, der zum Campingplatz führt, reihen sich Gebrauchtwagen-Verkäufer, Supermärkte und Waffengeschäfte aneinander.
Alle paar Kilometer warnen Schilder vor den Folgen von Trunkenheit am Steuer. In den wenigen großen Geländewagen, die in gemütlichem Tempo vor und hinter mir her fahren, sitzen Frauen über 70 am Steuer. Ein paar von ihnen haben Aufkleber an den Heckscheiben angebracht: "Abtreibung ist Mord", steht darauf. Am Eingang des Campingplatzes steht ein Saloon aus grauen Holzbrettern. Darin sitzen ein Dutzend Männer auf Barhockern an der Theke und halten sich an ihren Biergläsern fest. Mit mir reden möchte niemand.
Carla Bernhard sagt, die Menschen hier seien vorsichtig: "Es ist eine ländliche Gegend und die Leute beschützen ihr Territorium. Lange Zeit gehörte es nur ihnen. Aber die Zeiten ändern sich. Andere Menschen entdecken die Gegend, sie interessieren sich für die Schönheit der Natur, fürs Kajak oder Kanu fahren – und das gefällt den Leuten nicht. Als ich vor acht Jahren herkam, wurde ich ausgeschlossen, niemand sprach mit mir, alle dachten, ich sei irgend so ein törichtes Ding, dabei habe ich mich nur in den Fluss verliebt."
Das Wasser ist türkis und herrlich klar, es speist sich aus einigen der vielen Quellen in Florida, die auch das Trinkwasser liefern. Der Boss auf dem Campingplatz ist Looty. Sie ist in ihren späten Fünfzigern, trägt Jeans und ein graues T-Shirt. Beim Frisör war Looty schon länger nicht mehr: Ihre Dauerwelle ist aus ihren dunkelblonden Haaren herausgewachsen. "Looty ist eine reiche Frau", sagt Carla.
Looty: "Ich bin mit meinem Ex-Mann her gekommen. Er wollte Geschäfte machen. Aber wie du siehst: Ich bin immer noch da – aber er nicht." Looty hat die Art Humor, den Frauen haben, mit denen es das Leben nicht immer gut meinte.
Wie ein Schauplatz für Vivien Leigh und Clark Gable
Sie lässt sich nicht leicht aus der Ruhe bringen. Auch das laute Dauer-Brummen der Eismaschine vor ihrem Büro stört sie nicht. "Redneck Yachtclub". Ein Schild mit dieser Aufschrift hat Looty über die Tür ihres Bootshauses gehängt. Carla erklärt, warum. "Rednecks – das ist eigentlich keine Bezeichnung für eine Person, eher für eine Lebensweise, ein Lebensgefühl: Dixie. Wir machen uns mit dem Namen "Redneck-Yacht-Club" lustig über reiche Leute. Wir tragen hier Flip Flops, laufen barfuß, das gibt es in den schicken Yachtclubs natürlich nicht."
Carla: "Da ist sie. Oh mein Gott. Die Polizisten sind da. Sie nehmen sie mit! Sie sagen, sie soll ihre Schwester verprügelt haben." Eine junge Frau ist gerade aus einem Karavan geklettert. Sie hatte sich versteckt. Looty hatte es bemerkt und die Polizei gerufen, während Carla und ich in unseren Kajaks auf dem Fluss unterwegs waren.
Ich fahre zurück nach Crystal River. Und entdecke ein charmantes Hotel. Plantation – Plantage, so heißt eines. Ich wäre nicht überrascht, Vivien Leigh und Clark Gable durch die weißen Säulen am Eingang laufen zu sehen. Das Hotel könnte auch ein Schauplatz in "Vom Winde verweht" sein. Mein Besuch im Citrus County endet hier.
Viele Rotnacken, die mir ein Interview geben wollten, habe ich nicht gefunden. Der Missouri-Farmer Blake Hurst brachte – etwas patriotisch – auf den Punkt, was jene US-Amerikaner, die für den Waffengebrauch eintreten und die gleichgeschlechtliche Ehe ablehnen, ausmacht: "Die meisten Roten Amerikaner sind nicht in der Lage, postmoderne Literatur zu analysieren, einem Kindermädchen Anweisungen zu geben, einen Cabernet mit einem Nachklang von Lakritze auszuwählen. Aber wir können großartige Kinder erziehen, die Leitungen in unserem eigenen Haus verlegen, einen Ahornbaum erkennen, der guten Sirup liefert, und dir die Träume unserer Nachbarn erzählen."