Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Snower: US-Regierung braucht längerfristigen Plan zur Lösung der Schuldenkrise

Ein ausgeglichener Haushalt müsse nicht das Ziel einer langfristigen amerikanischen Fiskalpolitik sein, sagt Dennis Snower, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Wichtig sei vielmehr, dass die Schulden "nicht schneller steigen, als die Wirtschaft wächst".

Dennis Snower im Gespräch mit Christoph Heinemann | 29.07.2011
    Christoph Heinemann: Barack Obama könnte in diesen Tagen einen noch berühmteren Staatsmann zitieren und den republikanischen Mehrheitsführer Boehner fragen: Quosque tandem abuteres patientia nostra? – Wie lange noch, John, wirst du unsere Geduld missbrauchen? Cicero hatte einst den Verschwörer Catilina so zur Rede gestellt. Die Geduld des Präsidenten ist erschöpft, zumal es auch für die Märkte keine Randnotiz wäre, wenn die immer noch wichtigste Volkswirtschaft der Welt pleiteginge, wenn auch vorübergehend. Die Zahlungsunfähigkeit droht ab Dienstag tatsächlich wohl dann in circa in zwei Wochen, wenn Regierung und Opposition bis dahin nicht die Grenze für Schulden anheben. Die Latte geht gegenwärtig bei 14,3 Billionen Dollar. Eine Abstimmung im US-Repräsentantenhaus über ein Sparpaket des republikanischen Mehrheitsführers John Boehner wurde gestern Abend abermals verschoben, die Opposition ist zerstritten.
    Wir haben vor dieser Sendung Professor Dennis Snower erreicht, den Präsidenten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Ich habe ihn zunächst gefragt, ob er mit einer Einigung in letzter Minute rechnet?

    Dennis Snower: Ich rechne damit. Weil, ich denke mir, sollte es keine Einigung geben, dann würden die Republikaner sehr schlecht ausschauen, es würde ihren Wahlchancen schaden. Daher denke ich mir, dass es zu einer Einigung kommen wird. Aber es wird keine zufriedenstellende sein.

    Heinemann: Wieso nicht?

    Snower: Es könnte eine Einigung sein, dass die Latte etwas höher gelegt wird, aber nicht genügend, um die Schuldenprobleme in der Kurz- bis Mittelfrist zu beseitigen, zum Beispiel. Die Republikaner könnten dadurch die Demokraten blamieren, ohne die Schuld zu tragen.

    Heinemann: Wie müsste denn eine Vereinbarung für einen gesunden US-Haushalt aussehen, etwa was das Verhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben betrifft?

    Snower: Ganz einfach, glaube ich: Die Vereinigten Staaten, die Regierung, sollte einen längerfristigen Plan entwerfen, in dem steht, wo langfristig die Schuldenquote sein soll, Schulden relativ zum Nationalprodukt, wie schnell man an diese langfristige Schuldenquote rankommt und wie antizyklisch die Fiskalpolitik sein soll. Und dann soll sich die Regierung an diese Regel halten oder womöglich diese Regel einer unabhängigen Kommission geben, um sie zu implementieren. Und dann, glaube ich, wäre Ruhe, weil dann wüsste man, wo langfristig die Regierung steht, wie die Fiskalpolitik aussieht. Derzeit können die Republikaner sagen, dass die Schulden ausufern und dass das sehr gefährlich ist. Mit einer langfristigen Regel könnte dieses Problem beiseite geschaffen werden.

    Heinemann: Sie sprachen jetzt im Zusammenhang mit dieser langfristigen Regel von einer Definition, einer Festlegung einer Schuldenquote, nicht vom ausgeglichenen Haushalt. Muss das nicht das Ziel sein?

    Snower: Ein ausgeglichener Haushalt soll nicht das Ziel sein. Langfristig sollen Schulden nicht wachsen relativ zum Nationalprodukt, das bedeutet nicht, dass Schulden nicht steigen dürfen, sie dürfen einfach nicht schneller steigen, als die Wirtschaft wächst.

    Heinemann: Herr Professor Snower, die Ratingagenturen haben schon gedroht. Welche Folgen hätte eine Zahlungsunfähigkeit der USA für das Land und für die Weltwirtschaft?

    Snower: Die Ratingagenturen schauen natürlich, was das Resultat einer Zahlungsunfähigkeit ist, und dadurch könnte es gefährliche Implikationen geben, die auch den Reservewährungsstatus der Vereinigten Staaten schaden würden.

    Heinemann: Das heißt, dass der Dollar dann keine Referenzwährung mehr wäre?

    Snower: Das würde ganz langsam geschehen. Aber die Position des Dollars wäre geschwächt und wir würden allmählich zu einem neuen System kommen, wo mehrere Währungen dann als Reservewährung genutzt werden. Also, das wäre eine langfristige Angleichung.

    Heinemann: Und was passiert kurzfristig, wenn jetzt am kommenden Dienstag die Meldung aus Washington kommt, wir haben uns nicht geeinigt?

    Snower: Das wäre sehr ungut für die Vereinigten Staaten und auch für die Weltwirtschaft, wenn das geschehen würde, weil dies ist sowieso eine unruhige Zeit für Finanzmärkte und dieses zusätzliche Problem brauchen wir wirklich nicht.

    Heinemann: Sie sprachen von den Ratingagenturen. Wieso werden die USA, die bis unter die Haarwurzel verschuldet sind, sehr gut bewertet, während Griechenland als Pleitestaat gilt?

    Snower: Erstens, weil der Dollar eine Reservewährung ist, verschafft Amerika Liquidität für die Weltwirtschaft, und dies kann nur geschehen, indem mehr Dollars aus Amerika rausfließen als wieder rein. Und das bedeutet, dass Amerika mehr Güter, Dienstleistungen, Kapitalströme von der restlichen Welt bekommen kann, als es der restlichen Welt gibt. Und dafür kriegt die westliche Welt Liquidität in Form von Dollars. Daher sind die Vereinigten Staaten in einer besonderen Waage und nicht so einzuschätzen wie Griechenland. Außerdem sehen die Werte im Besitz, Eigentum in den Vereinigten Staaten ganz anders aus als in Griechenland und daher ist die Lage einfach viel weniger bedrohlich.

    Heinemann: Die Risikoprämien für italienische Anleihen steigen gerade wieder trotz des Sparpakets von 80 Milliarden des Finanzministers Giulio Tremonti, trotz einer relativ niedrigen privaten Verschuldung der Italiener und obwohl Italien überdurchschnittlich bei seinen eigenen Bürgern und weniger bei ausländischen Gläubigern in der Kreide steht. Wieso wird das alles nicht gewürdigt?

    Snower: Wenn man ein Problem hat mit den Schulden und die Finanzmärkte sind beunruhigt, dann wird das Problem nicht gelöst, indem man der Regierung ein großes Sparpaket aufhalst, weil sobald das geschieht, wissen die Finanzmärkte, dass die Rezession in diesem Land verschärft wird. Und wenn ein Land eine ärgere Rezession hat, dann müssen die Transfers steigen, weil mehr Arbeitslosengeld gezahlt wird und die Steuereinnahmen fallen, und somit steigen die Schulden. Und das Problem, was man hat versucht zu lösen, wird dadurch verschärft. Und daher lässt sich dieses Problem nicht kurzfristig lösen, es lässt sich nur längerfristig lösen, und das nur durch eine Fiskalregel.

    Heinemann: Blicken wir noch auf Deutschland, wichtige DAX-Konzerne haben gerade glänzende Zahlen vorgelegt, aber zu den feinen Messinstrumenten gehören der Geschäftsklimaindex, gehören die Indizes der Finanzanalysten und der Einkaufsmanager und schließlich auch die Stimmung der Verbraucher, und alle diese Werte zeigen nach unten. Rechnen Sie mit einer Talfahrt der Konjunktur in Deutschland?

    Snower: Wir wissen, dass, obwohl Deutschland in einer sehr starken Lage ist, das Wachstum sich wahrscheinlich abschwächen wird, zum Teil, weil in den Schwellenländern das Wachstum wahrscheinlich nicht so steigen wird. Außerdem und über dies wissen wir, dass die Risiken einfach gestiegen sind und daher ist die Varianz unserer Prognosen einfach größer geworden.

    Heinemann: Mit einer vorsichtigen Prognose Ihrerseits für das Wachstum und den Arbeitsmarkt in Deutschland?

    Snower: Ich glaube, der Mittelwert solch einer Prognose sieht noch immer recht gut aus. Wenn man zusätzlich annimmt, dass es keine größeren Schocks gibt von der Finanzseite oder der weltwirtschaftlichen Seite, dann sollte Deutschland weiterhin recht gut abschneiden. Wie gesagt, die Risiken sind größer geworden.

    Heinemann: Das Gespräch mit Professor Dennis Snower, dem Präsidenten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, haben wir vor dieser Sendung aufgezeichnet.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.