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So geht Komik auf der Bühne

Regisseurin Andrea Breth gilt eigentlich als große Düstere des deutschen Theaters. Aber als neueste Arbeit für das Wiener Burgtheater hat sie quasi ins komische Fach geschaltet: mit Texten von einigen großen Meistern der kleinen Farce von Daniil Charms über Georges Courteline bis Pierre Henri Cami.

Von Michael Laages | 06.02.2011
    Ein älteres Paar sitzt am Tisch und löffelt Suppe, und wie vermutlich jeden Mittag sind sie mehr als mit der mit sich beschäftigt:

    "Ich bin eine Prinzessin."
    "Eine Prinzessin?"
    "Ja. Und weißt Du, was daraus folgt, dass ich eine Prinzessin bin?"
    "Dass ich Dich nicht mit Suppe bespritzen kann?"
    "Genau."
    "Ich pfeif' auf Dich und werde Dich mit Suppe bespritzen ... "
    "Wirst Du nicht!"
    "Doch. Du denkst so, ich denke anders."
    "Und Du hast keine innere Haltung ... ."

    Und so geht das ein paar Minuten immer weiter, immer wieder dieser kleine Text, als Endlosschleife mit winzigen Variationen; ein Leben lang sind sie wohl ins Nicht-Verstehen verstrickt, jede Suppe ein neuer kleiner Hass - so erzählt es Daniil Charms, der russische Sonderling, den die Sowjetmacht ins Leningrader Gefängnis steckte, wo er starb in der Psychiatrie, nur 37 Jahre alt. Erst zur Zeit von Gorbatschows Perestroika wurden seine Texte in Russland wieder zur Kenntnis genommen.

    Pierre Henri Cami, der Pariser Journalist, den Charlie Chaplin bewunderte als großen Meister der kleinen komischen Kunst, erzählt ein uraltes Märchen ganz neu:

    "Wir leben in dem Haus, in dem früher das Rotkäppchen lebte ... und wir haben eine Tochter ... und die hat nichts lieber als ihr grünes Käppchen ... "

    Die Geschichte vom Grünkäppchen geht dann ähnlich voran wie das rote Original - nur dass das grüne den Wolf eben nur nach den großen Ohren, Augen und Händen, aber nicht nach dem Maul fragt: Weshalb der es nicht fressen kann. Kleine Mädchen sind auch nicht mehr das, was sie früher mal waren; so Camis ernüchterte Bilanz.

    Sehr, sehr lange ist es her, da stellte die Schaubühne in Berlin vor allem Cami und Courteline vor (der unter anderem Librettist für den jungen Jacques Offenbach war), und unter dem Courteline-Titel "Die begreifliche Angst vor Schlägen" staunte das Publikum auch damals über deren filigrane Fertigkeit in der absurden Miniatur. Über 50 winzige Szenen hat Andrea Breth jetzt zusammen tragen lassen für die neuerliche Begegnung mit den Kleinmeistern - und es ist womöglich das einzige Problem dieser ansonsten vollkommen hinreißenden, rauschhaft komischen Großtat, dass sie des sehr Guten ein wenig zu viel will.

    Wer kann sich schon über geschlagene drei Spielstunden hinweg auf immer gleicher Höhe amüsieren. Und auch die Autoren selber hinterließen ja mal mehr, mal minder funkelnde Kostbarkeiten. Auch mit zwei Stunden am Stück wären die begeisterten Wiener sicher gut bedient gewesen.

    Aber Breth wollte mehr, ist aufs komische Ganze gegangen, hat die Koryphäen des Absurden zudem angereichert mit lieblichem Schlager-Schwachsinn und außerordentlich dämlichen Krimi-Szenen aus deutscher Fernseh-Geschichte. Für alles aber findet sie (und findet das Ensemble) Spiel-Fantasien von so hinreißender Komödiantik, dass auch kleine Ausflüge hin zum Slapstick gut ins Bild passen. Wie die beiden feineren Herren im italienischen Restaurant, wo der eine isst und quatscht und quatscht, während der andere vor lauter Greisenzittern kaum mehr die Gabel zum Mund führen kann, und sein Kopf schließlich die letzte Totenruhe im Spaghetti-Teller findet. Der andere isst und quatscht weiter und will dann die Rechnung.

    Breth wäre nicht Breth, wenn sie nicht auch im Humor die schwarze, die tödliche Seite zu beschwören verstünde; aber gegen Ende mündet der Abend mit einem zarten Chanson von Friedrich Holländer und Robert Liebmann eben auch in sehr marthalerhafter Stimmung. Mit einem Ensemble von ziemlich unschlagbarer Perfektion hat Breth sich unendlich viele Heiterkeiten gegönnt; und einige reichern diese drei Nachhilfestunden in komischem Bühnenhandwerk auch noch mit privaten Heimatspäßen an: wenn Udo Samel hinreißend Hessisch babbelt und Johanna Wokalek schön schwäbelt, wenn Markus Meyer tanzt wie er immer schon mal tanzen wollte, und Roland Koch Trompete und Alphorn spielt und den Dialekt seiner Schweizer Heimat bis hart an die Grenzen der Verständlichkeit treibt; wenn Andrea Clausen und Corinna Kirchhoff sich den jeweils ganz eigenen Wahnsinn erspielen. Gerrit Jansen, Hans Michael Rehberg, Peter Simonischek und Elisabeth Orth (die mit dieser Aufführung den 75. Geburtstag feiert) kommen hinzu - was für eine Theater-Versammlung!

    Sie alle zeigen, auch als kleines, herzzerreißend komisches Amateur-Orchester, wie Komik funktioniert auf der Bühne; die wiederum Martin Zehetgruber staunenswert schnell, quasi im Sekunden-Takt der Szenen und wie im Klicken eines Kamera-Verschlusses zu verändern versteht. Und sie alle ehren drei Autoren, von denen sich die heutzutage so oft vergeblich um Komik ringende Jung-Autorenschaft mehrere Scheiben abschneiden könnte. Ein Fest, ein Rausch, ein Traum - und sowas gibt's halt nur im Theater.