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"So was können Sie sonst nur in London und Neu-Delhi sehen"

Shakespeare auf Afghanisch mit indischem Einschlag im stählernen Globe und ein politisierender Prospero, dazu Komödiantisches - das gab es und gibt es bis Sonntag beim Neusser Shakespeare-Festival. Stefan Keim lobt den künstlerischen Anspruch der Macher - und ihre internationale Ausrichtung.

Das Gespräch führte Burkhard Müller-Ullrich | 04.07.2012
    Burkhard Müller-Ullrich: Es gibt etliche Shakespeare-Festivals auf der Welt und auch etliche Globe-Theatre; der berühmteste Nachbau steht in London am südlichen Themse-Ufer und sieht dem hölzernen Original, das 400 Jahre früher an derselben Stelle stand, ziemlich ähnlich. In Neuss am Rhein, direkt neben Düsseldorf, gibt es eine modernere Version aus Stahl - mit Sitzplätzen, also nicht ganz historisch. Aber es ist doch etwas anderes als die Guckkastenbühnen der meisten Stadttheater. Bis Sonntag dauert dort noch das einmonatige Skakespeare-Festival, das im 22. Jahr seines Bestehens sehr auf Internationalität setzt. Stefan Keim hat das Festival für uns verfolgt. Die ungewöhnlichste Vorstellung, Herr Keim, war ja wohl das Theater Rah-e Sabz – ich hoffe, dass ich es richtig ausspreche - aus Afghanistan mit der selten gespielten "Komödie der Irrungen". Wie sah denn das aus, afghanischer Shakespeare?

    Stefan Keim: Es ist nicht ganz original afghanisch mehr, denn der Probenraum dieser Gruppe, deren Name übrigens übersetzt "Pfad der Hoffnung" heißt, ist zerstört worden durch einen Bombenanschlag, und deswegen musste die Gruppe in Indien arbeiten. Irgendwie hört man das auch, weil, es gibt Live-Musik dabei mit Flöte, Trommel und Saiteninstrumenten, und das klingt dann teilweise auch ein bisschen wie Bollywood. Was aber interessant ist an dieser Aufführung, die mit einer gewaltigen Spielfreude das Publikum sehr begeistert hat, ist: Dass so eine typische shakespearsche Komödienhandlung (ein Vater ist auf der Suche nach seinen verlorenen Söhnen, das sind Zwillinge) dadurch, dass es eine afghanische Gruppe spielt, einen völlig anderen Kontext bekommt, denn dieses Erlebnis, dass man auf der Suche nach der Familie ist, dass man dabei in Irrungen und Wirrungen gerät und selbst in Lebensgefahr gerät, das hat natürlich in einem Land wie Afghanistan, das mit dem Bürgerkrieg zu kämpfen hat, eine ganz andere Bedeutung. Da können die Leute andocken und interessanterweise kommt das auch bei unserem Publikum herüber, dass bei allem Spaß und aller Lust am Klamauk da irgendwo noch was anderes drinsteckt.

    Müller-Ullrich: Ich bin noch über eine andere Aufführung im Programm gestolpert. Da inszeniert der litauische Regisseur Oskaras Korsunovas – ein sonst sehr politischer Regisseur, der das Erbe der Sowjetunion oft thematisiert hat, Unterdrückung, Erstarrung und so -, der inszeniert jetzt Shakespeares "Sturm", was ja eigentlich ein sehr märchenhaftes Stück ist, ...

    Keim: ... , das man aber auch sehr, sehr dunkel und böse deuten kann, was ja auch unsere Stadttheater-Regisseure durchaus tun. Aber er hat es wirklich sehr politisch gedeutet, und zwar hat er diese ganzen Personen auf zwei reduziert. Da gibt es einen Mann, Prospero, und da gibt es eine Frau, seine Tochter Miranda, und so heißt auch das Stück "Miranda". Und alle anderen Figuren entstehen durch Verwandlungen. Es ist also ein Stück, das sehr, sehr stark im Kopf dieser Leute spielt. Es geht um den Gegensatz zwischen Mann und Frau, es geht um einen ständigen Machtkampf, und die Bühne ist etwas völlig Ungewöhnliches für das Globe-Theater, das ja an drei Seiten vom Publikum umrandet ist und eigentlich gar nicht viel Bühnenbild verträgt. Es ist eine richtig vollgerümpelte, hyperrealistische Bühne, wie in einer Inszenierung von Alvis Hermanis, und man kommt ziemlich schnell dahinter: Dieser Prospero, der ist in einem Exil, was ja auch bei Shakespeare schon so ist. Auch da ist ja nun er entmachtet worden und auf eine Insel verbannt worden, da wird das aber überlagert. Hier wird es direkt zum Zentrum und auch hier ist eine riesige Spielfreude, der Regisseur arbeitet mit Mitteln des Horrorfilms, des Blätterfilms. Dann kippt das Ganze in die Groteske, aber es bleibt immer an dieser Geschichte hängen: Wie richte ich mich ein, wenn ich eigentlich nichts mehr habe als mich selbst.

    Müller-Ullrich: Ist das ein bisschen steil aufgeladen, das Ganze? Es klingt so nach ästhetischen Sahnehäubchen und Globe-Theater ist ja eigentlich so eine Einrichtung zur Volksbelustigung, also das Deftige, das Komödiantische bei Shakespeare. Kommt das da auch vor?

    Keim: Das kommt unbedingt vor und die Riesenplatzauslastung von 90 Prozent und die 15.000 Zuschauer schafft das kleine Festival ja nur, indem es auch Spaß und komödiantische Inszenierungen zeigt, vor allen Dingen auch. Aber es ist mehr als nur ein Sahnehäubchen, denn die Macher dort in Neuss haben seit diesen vielen Jahren, wo sie das machen, wirklich einen künstlerischen Anspruch, und das begeistert mich immer. Es gibt die Bremer Shakespeare-Company – nebenher ist das ja nicht nur Volksbelustigung, sondern es ist sozusagen ein Aspekt von Shakespeare, dass der eben auch ein derbes und deftiges Volkstheater gemacht hat. Aber die reisen immer wieder durch die Welt, die Festival-Macher, und holen Gruppen, die sonst überhaupt nicht in Deutschland zu sehen sind. Rah-e Sabz ist das einzige Gastspiel in Deutschland überhaupt gewesen, so was können Sie sonst nur in London und Neu-Delhi sehen, und das macht den Rang dieses kleinen Festivals aus.

    Müller-Ullrich: Also eine künstlerisch durchaus ernst zu nehmende Alternative zu den gewohnten Shakespeare-Interpretationen. – Danke! - Stefan Keim war das über das Shakespeare-Festival in Neuss am Rhein.