Freitag, 19. April 2024

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Social-Media-Boykott der Premier League
„Jeder muss rassistische Posts melden“

Keine Fotos aus dem Stadion, keine Infos zu Teamaufstellungen: An diesem Wochenende boykottieren englische Fußballklubs Social Media - als Zeichen gegen Hass und Rassismus im Netz. Für Daniel Kilvington, der zu Rassismus im Sport forscht, ein guter erster Schritt - es brauche jedoch mehr, sagte er im Dlf.

Daniel Kilvington im Gespräch mit Maximilian Rieger | 02.05.2021
Raheem Sterling beim Spiel zwischen Chelsea und Manchester City. Dort kam es zu den rassistischen Beleidigungen.
Beim Spiel zwischen Chelsea und Manchester City 2018 wurde City-Profi Raheem Sterling rassistisch beschimpft. (imago sportfotodienst)
Der Boykott wird nicht nur von den Vereinen der Premier League unterstützt - auch die Klubs der Women's Super League lassen an diesem Wochenende ihre Aktivitäten auf Social-Media-Kanälen wie Facebook, Twitter, Instagram und Co. ruhen. Rassistische Online-Attacken auf Fußballspieler haben laut Daniel Kilvington in den vergangenen Jahren zugenommen. Der Wissenschaftler forscht an der Universität Leeds Beckett zu Rassismus, Sport und Social Media.
"Statistiken, bei denen es um soziale Medien und Beschimpfungen und Rassismus im Fußball geht, zeigen, dass es im Internet von Saison zu Saison schlimmer wird", sagte Kilvington im Dlf. So habe etwa die Antidiskriminierungsstelle "Kick It Out" festgestellt, dass es in der Saison 2014/15 mehr als 134.000 diskriminierende Posts auf Social-Media-Plattformen gegeben hat - allein im Kontext der Premier League, also zum Beispiel gegen Spieler und Vereine. "Es ist ein großes Problem", so Kilvington, "und das hat schließlich zu diesem Social-Media-Boykott durch die wichtigsten Akteure im englischen Profifußball geführt."

Das Interview in voller Länge:

Maximilian Rieger: Denken Sie, dass ein Boykott ein guter Weg ist, um das Problem zu bekämpfen, das Sie gerade haben?
Daniel Kilvington: Das ist eine gute Frage und eine schwer zu beantwortende Frage, weil ich den Boykott auf der einen Seite unterstütze und mich auf der anderen Seite ein bisschen unwohl damit fühle. Der Grund, warum ich ihn unterstütze, ist, weil er zeigt, dass Fußball eine Gemeinschaft ist und zusammensteht. Und das kann hoffentlich Druck auf die Social-Media-Plattformen ausüben, die die Möglichkeiten haben, einen Wandel einzuleiten, weil der Traffic auf den Plattformen aufgrund des Online-Boykotts möglicherweise reduziert wird. Der Grund, warum ich mich auf der anderen Seite etwas unwohl damit fühle, ist, dass der Fokus immer auf dem Versuch liegen sollte, die Täter zu entfernen, die tatsächlich diese rassistischen Beschimpfungen geäußert haben. Der Schwerpunkt der Aktion sollte darin liegen, sie zu entfernen, ohne dass die Opfer selbst den Plattformen fernbleiben müssen. Und deshalb fühle ich mich ein bisschen unwohl damit.
Aber alles in allem stehe ich dahinter. Ich denke, die vier Tage des Social-Media-Blackouts zeigen die Einigkeit aller Interessengruppen im Fußball, dass es jetzt reicht und dass dies nicht mehr toleriert wird. Und hoffentlich führt das zu neuen Gesprächen mit den Social-Media-Plattformen – wie Instagram, Twitter und Facebook – und führt am Ende der vier Tage zu einer konkreten Maßnahme. Das wäre ideal, aber das gilt es natürlich abzuwarten.
Rieger: Es gab ja Gespräche zwischen der Premier League und den CEOs von Facebook und Twitter, Mark Zuckerberg und Jack Dorsey. Und vor zwei Monaten hat die Premier League einen Brief geschrieben, mit dem Vorschlag, dass die Social-Media-Plattformen die Postings blockieren oder filtern sollten, bevor sie veröffentlicht werden, wenn sie rassistisches oder diskriminierendes Material enthalten. Aber dann gibt es ja die Frage, wer entscheidet, was rassistisch und was diskriminierend ist? Dies könnte ja zu einer Art Zensur führen, wenn Leute rassistische Ausrufe tätigen, weil sie geblockt werden, wenn sie bestimmte Wörter oder Ausdrücke verwenden. Was können die Social-Media-Firmen also genau machen?
Kilvington: Der Grund, warum das so schwierig ist, besteht darin, dass soziale Medien Nationen, Kulturen und Rechtssysteme überschreiten. Was in einem Land unter bestimmten Gesetzen als anstößig angesehen wird, wird möglicherweise in einem anderen Land nicht als anstößig angesehen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass Social Media ein globales Phänomen ist. Das Problem ist, dass Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter oder sagen wir auch YouTube, dass sie weitgehend unreguliert sind.
Wichtig ist aber, dass die Social-Media-Organisationen über die Ressourcen verfügen. Sie haben das Geld, sie sind megareiche Organisationen, die über die Technologie verfügen, um etwas dagegen zu unternehmen, wenn sie es wirklich wollten.

Es braucht mehr Aufklärung und Medienkompetenz

Social-Media-Organisationen wie Twitter und Facebook haben ja in den letzten Jahren ihr Moderatorenteam vervierfacht, was Schritte in die richtige Richtung sind. Aber was kann sonst noch passieren oder was sollte passieren? Ich denke, die Social-Media-Organisation müssen proaktiver sein, sie müssen die KI-Technologie entwickeln, um diese Sachen im Voraus zu beseitigen. Wir brauchen die Regierung, um in die Fußstapfen Deutschlands zu treten und diese Social-Media-Organisationen tatsächlich zu sanktionieren, wenn diese die geforderten Standards nicht erfüllen. Vergessen wir aber auch nicht den Grund, warum wir so viel Missbrauch und Hass derzeit im Netz sehen.
Es ist nicht der Fehler der sozialen Medien, dass Menschen rassistische Ansichten haben, es ist die Gesellschaft. Deshalb müssen wir sicherstellen, dass wir einen starken Lehrplan haben, der Kinder, junge Erwachsene und im Prinzip Menschen jeden Alters über Hass, Missbrauch, Diskriminierung und Rassismus aufklärt und darüber, wie man solche Sachen online erkennt, wie man medial und digital kompetent ist.
Eisbären-Torhüter Mathias Niederberger in Aktion während eines DEL-Spiels gegen RB München
Eishockey-Profi Niederberger - "Alltagsrassismus ist definitiv vorhanden"
Alltagsrassismus sei definitiv in unserer Gesellschaft vorhanden - und somit auch in gewisser Weise in der DEL, sagte der Torhüter der Eisbären Berlin, Mathias Niederberger, im Dlf.
Rieger: Was Sie gerade beschrieben haben, würde mehr oder weniger viel Zeit in Anspruch nehmen, insbesondere wenn Sie über den Bildungsaspekt sprechen. Daher müssen wir uns der Tatsache stellen, dass es in den sozialen Medien wahrscheinlich eine rassistisch gefärbte Sprache geben wird, insbesondere gegen die Spieler. Was sollen die Spieler also tun, wenn sie online rassistisch beleidigt werden?
Kilvington: Das ist ein fantastischer Punkt. Einige Leute haben vorgeschlagen, dass Spieler diese rassistischen Postings nicht retweeten oder auf sie aufmerksam machen sollten. Weil sie die Aufmerksamkeit auf die Person lenken und ihnen die Plattform geben, nach der sie vielleicht suchen und es wirkt ein bisschen wie ein Brandbeschleuniger. Aber ich denke, was ich klar machen möchte: Es ist nicht Sache des Spielers, diesen Tweet oder den Post zu entfernen, wenn er rassistisch beleidigt worden ist. Jeder, der diesen Post sieht, hat die Pflicht, dies zu melden. Wir sind alle Akteure des Wandels und können alle dazu beitragen, dass Social Media ein integrativer Raum voller Respekt ist und nicht ein exklusiver Raum, der er bedauerlicherweise geworden ist, wo die Toxizität mit der Zeit immer schlimmer geworden ist.
Ich finde, Spieler, die davon betroffen sind, müssen es melden, aber es kann nicht nur an den Opfern hängen, dass sie solche Sachen melden, jeder kann solche Beiträge melden. Das ist wichtig! Aber was mir auch noch wichtig ist: Spieler und alle, die rassistischen Beleidigungen ausgesetzt sind, müssen wissen, welche Unterstützungssysteme und Abwehrmechanismen es gibt, um damit umzugehen.
Rieger: Machen die Vereine genug, um die Spieler dabei zu unterstützen?
Kilvington: Ich recherchiere aktuell und habe im letzten Jahr und in der Vergangenheit mit einigen Klubs darüber gesprochen, was sie in Sachen Social-Media-Missbrauch bei Spielern machen.
Die Antwort wäre, dass die Klubs definitiv mehr tun könnten. Ich denke, wir haben das ja schon oft gesagt. Ich glaube nicht, dass es im Fußball derzeit einen ganzheitlichen Ansatz gibt, um die Spieler zu schützen und zu unterstützen, die diese Angriffe durchleiden müssen.

Klubs könnten mehr tun, um ihre Spieler zu schützen

Wir haben verschiedene wichtige Interessengruppen im Fußball, von "Kick It Out" bis zur Premier League, den Profi-Vereinen, dem englischen Fußballverband und viele mehr. Sie haben alle ihren eigenen Ansatz, um die Spieler in bestimmten Fällen zu schützen, aber es gibt keinen abgestimmten Weg, es gibt keine gemeinsame Kommunikation, eigentlich ist es ein Mangel an Kommunikation zwischen den wichtigsten Interessengruppen des Fußballs.
Und deshalb bin ich beeindruckt zu sehen, dass dieser bevorstehende Boykott von allen wichtigen Stakeholdern unterstützt wird, da er nicht nur Druck auf die Social-Media-Organisationen ausübt. Es zeigt tatsächlich, dass es einen Austausch zwischen den wichtigsten Stakeholdern im Fußball gibt, den es in Bezug auf die sozialen Medien schon vor langer Zeit hätte geben sollen, und der nicht stattgefunden hat. Und vielleicht sind wir hier an einem Wendepunkt.
Rieger: Wenn wir auf die Bekämpfung von rassistischen Beleidigungen schauen, dann habe ich auch das Gefühl, dass viele Vereine und Spieler offener über den Rassismus auf den Plattformen sprechen, dem sie ausgesetzt sind und dem sie sich sehr klar entgegengestellt haben. Ist dies auch etwas, was die Vereine und Spieler in den letzten Jahren gelernt haben, dass man das Problem, mit dem man konfrontiert ist, nicht ignorieren kann?
Kilvington: Ich habe 2016 dazu recherchiert und habe mit verschiedenen Stakeholdern darüber gesprochen, darüber, ob die Spieler unterstützt wurden oder sich sicher genug fühlen, sich gegen rassistischen Missbrauch online oder offline auszusprechen. Und die allgemeine Erkenntnis war, dass die Spieler nicht die sogenannte "Race Card" spielen wollten oder sich dagegen aussprechen wollten, weil das zu mehr Missbrauch führen könnte, wenn sie sich als Schwarze Spieler exponieren. Und deshalb haben viele Opfer entschieden, dass es ihnen unangenehm ist, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.
Aber ich denke, dass Raheem Sterling wirklich etwas verändert hat im englischen Profifußball, weil er seine Plattform genutzt hat, um implizite rassistische Vorurteile innerhalb der Sportmedien hervorzuheben. Und danach haben eine Reihe von Spielern sehr öffentlich darüber gesprochen, zum Beispiel Wilfred Zaha. In Anbetracht des Mordes an George Floyd und der folgenden Black Lives Matter Proteste denke ich, wir haben einen Punkt erreicht, an dem die Menschen offener und ehrlicher als je zuvor darüber sprechen. Und wir brauchten ein paar Leute, die da rausgingen und sich exponiert haben, wie Raheem Sterling und Wilfrid Zahe, um das öffentlich zu benennen. Und dann war es für andere einfacher, diesem Beispiel zu folgen. Also ja, ich denke, wir haben einen kleinen Wendepunkt hier erreicht, was natürlich toll zu sehen ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.