Donnerstag, 18. April 2024

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SOHN über die Rechten und sein neues Album "Rennen"
"Meine Generation will nicht hinschauen"

Den Aufstieg der politischen Rechten könne man nicht behandeln, als ginge es um ein Facebook-Like, sagte Christopher Taylor alias SOHN im DLF. Dass eine Generation nicht hinsehen wolle, habe es in der Geschichte schon mal gegeben. Der Brexit, Trump und die Ausländerfeindlichkeit hätten ihn zu einem Song auf seinem neuen Album "Rennen inspiriert.

Christopher Taylor im Corsogespräch mit Bernd Lechler | 21.01.2017
    Der Musiker SOHN
    Der Musiker SOHN (Phil Knott)
    Bernd Lechler: Es hieß, Sie seien nach der letzten Tour fast zu erschöpft gewesen, um neue Songs zu schreiben ...
    SOHN: Erschöpft trifft es vielleicht nicht, ich würde sagen: leer! Ich hatte so viele aufregende Sachen erlebt, und dann kam ich zurück nach Wien in die Wohnung, die ich kurz zuvor von einem Freund übernommen hatte. In vier Monaten hatte ich ungefähr drei Nächte dort verbracht, weil ich einfach ständig unterwegs war. Und ich weiß noch, wie ich ankam und erleichtert dachte: Ahh, geschafft! - Aber dann saß ich in dieser neuen Wohnung, starrte an die Wände und dachte: Das hier ist kein Zuhause mehr. Vielleicht ist meine Wien-Phase vorbei.
    Und in ein Debütalbum kann man ja das Material vieler Jahre packen. Dann plötzlich denkt man: Okay, das ist jetzt abgehakt - was habe ich jetzt zu sagen? Die Antwort ist natürlich: Erst einmal gar nichts! Bis sich durch das Schweigen genügend Frust anstaut - und dann schreibt man wieder.
    Lechler: Für den Neuanfang mussten Sie erst mal weit weg, nicht?
    SOHN: Ja. Ich bin dann nach Los Angeles gezogen, hatte dort zum Beispiel am neuen Album von Banks mitgearbeitet, der Indie-Songwriterin - und ich war bei vielen Sessions mit anderen Songwritern. Dieser ganze Zirkus, wo man versucht, einen Superhit zu schreiben, den dann irgendein angesagter Star aufnimmt. Da ist viel Getue dabei. Irgendwann merkte ich: In Los Angeles kann ich mein Album nicht aufnehmen! Die musikalische Energie dort ist zu zynisch. Ein Freund von mir besitzt ein Haus in der Weinbauregion oberhalb von San Francisco. Da bin ich dann für einen Monat hin, hatte das ganze Haus für mich, kein richtiges Internet, kein Handynetz - ich richtete mir ein Studio im Gartenhaus neben dem Swimmingpool ein und nahm Tag für Tag dort auf, bis etwas dabei rauskam.
    Lechler: Das Album klingt nun – nicht minimalistisch, würde ich sagen, es gibt ja üppige Keyboardsounds und viel Hall – aber vielleicht: klar. Die Beats sind viel reduzierter als auf Ihrem Debüt, jedes Arrangement besteht aus nur wenigen Elementen. Haben Sie sich da gezielt diszipliniert?
    SOHN: Auf jeden Fall. Ich habe rationalisiert, mein Sound bekam eine Diät! Das erste Album, "Tremors", war wie ein Bett mit 50 Decken, dick aufgeschichtet, warm und weich. "Rennen" ist dagegen: Drei Dinge auf einem Tisch, so wie hier. Ich habe versucht, an meine eigenen Sachen so ranzugehen, wie wenn ich jemand anders produziere. Dabei habe ich nämlich über die Jahre eines gelernt: Die besten Songs bestehen im Grunde aus drei Dingen. In der Mitte sitzt eine richtig gute, packende Gesangsperformance. Der Rhythmus zieht dich hinein. Und dann gibt es noch irgendein musikalisches Motiv - vielleicht nur ein einzelnes kleines Element, Hauptsache, es ist stark genug. Dieses Prinzip habe ich durchgezogen. "Dead Wrong" ist ein gutes Beispiel: Gesang, Drums, Bass - fertig. Ab und zu noch so ein glöckchenhafter Sound. Ich habe sozusagen versucht, nur eine Rhythmusgruppe zu arrangieren - statt gleich ein ganzes Orchester.
    Lechler: Es ist nach wie vor elektronische Musik - allerdings mit einer starken Bluesnote. Wo kommt die her?
    SOHN: Ja, es ist ein richtig bluesiges Album. Nehmen wir "Hard Liquor", das war der Song, der dem Album die Richtung gab. Ich hatte ihn mit einem anderen Sänger geschrieben, Sam Dew - und zwar für ihn, nicht für mich! Auf dem Weg zu einer Session mit ihm hing ich einer Idee nach, die von seiner bluesigen Art inspiriert war - aber es war meine Geschichte. Ich war damals nämlich in ein ziemlich wildes Mädchen verliebt. Sie trank viel. Ich damals auch. Es wurde ein Song über eine hitzige Affäre - den Sam Dew dann aber gar nicht verwendet hat.
    Zum Glück! Ich begriff ihn ja insgeheim als mein Liebeslied an diese Frau. Als wir später das Material fürs Album sichteten, da dachte ich: "Diesen Song würde ich wahnsinnig gern singen, aber ... geht nicht! Er beginnt mit den Worten ‚My baby’! Es ist Blues! Das kann ich nicht bringen." Irgendwann hab ich dann wieder meinen Produzentenhut aufgesetzt und mir gesagt: "Du liebst den Song. Du singst ihn toll. Also nimm ihn gefälligst auf! Was sollen diese ganzen Gedanken? Es braucht keine anderen Gründe!"
    Lechler: Wovon handelt die erste Single, "Conrad"?
    SOHN: Der Song entsprang einer sehr realen Szene: Es gab einen Waldbrand, wenige Meilen entfernt von dem besagten Haus. Eine große Ranch war das, und sie gehört eben meinem Freund Tom Conrad - daher der Songtitel. Gleichzeitig hatte ich immer wieder diese Vorstellung, das Feuer könnte irgendwann das Haus erreichen und alles vernichten. Während ich ihm den Rücken zukehre! Und da hinein mischten sich die Nachrichten aus Österreich, die ich verfolgte, weil ich immer noch viele Freunde in Wien habe - über den Aufstieg der Rechten, die irgendwann fast die Mehrheit zu bekommen drohten. Und nicht irgendeine konservative Mitte, sondern Ultrarechte! Ich hatte dieses unheilschwangere Gefühl, dass wir nicht hinschauen. Dass wir zusehen, wie die Welt sich verändert, wie rechtsextreme Ansichten sich immer weiter ausbreiten, dabei aber immer glauben, dass uns das am Ende nicht betrifft. Dass dieses Feuer unser Haus nicht erreicht ...
    Zudem scheint mir, dass die junge Generation all diese gravierenden Sachen wie den Aufstieg von Donald Trump; den Brexit in England; die Ausländerfeindlichkeit, die sich überall ausbreitet, mit einer Sprache abhandelt, die noch vor fünf Jahren inakzeptabel gewesen wäre, und die sich doch plötzlich breitmacht, weil wir es zugelassen haben! - dass also diese Generation das alles behandelt, als ginge es um ein Facebook-Like. Wie wenn du einen Facebook-Freund hast, der plötzlich rassistische Sachen postet: Was machst du? Du folgst ihm nicht mehr oder du "entfreundest" ihn. Und schon existiert er nicht mehr... Außer dass er natürlich sehr wohl noch existiert. Es gibt diese Leute! Und mir macht wirklich Angst, dass meine Generation da nicht hinschauen will. Das gab es in der Geschichte schon mal.
    Lechler: Zurück zur Musik: Gab es eigentlich einen Punkt, an dem Ihnen klar wurde, dass der Durchbruch geschafft ist?
    SOHN: Ich weiß nicht. Wahrscheinlich bei dem ersten Festivalauftritt, bei dem ich merkte, dass die Leute meine Sachen wirklich kennen. Das war in Roskilde, in Dänemark. Da dachte ich: Wow, es ist etwas passiert. Ich bin plötzlich auf einem viel höheren Level. Ich meine, ich hatte schon vor SOHN zehn Jahre lang Musik gemacht; ich war praktisch mit einem Koffer auf Tour; bin selbst gefahren; hatte höchstens mal einen Drummer dabei oder einen Tourmanager. In Varaždin in Kroatien habe ich vor ungefähr zwölf Kids gespielt. Also, ich habe einiges erlebt! Als die Sache dann schlagartig so groß und erfolgreich wurde, hat mich das einerseits sehr gefreut - andererseits fühlte es sich ganz natürlich an. Es hat gepasst. Weil ich lange dafür geübt habe.
    Lechler: Sie arbeiten auch für sehr angesagte Künstler: Lana Del Rey, The Weeknd. Klingt ganz schön glamourös. Ist es das auch?
    SOHN: Hmm. Nein. Also - irgendwie schon, aber mir ist inzwischen klar geworden, dass diese Seite meiner Tätigkeit eben nicht so natürlich gewachsen ist. Ich war da schon sehr aktiv und ehrgeizig. Songs für Major-Label-Acts zu produzieren, in dieser Welt zu agieren. Ich habe zum Beispiel an einem Song auf dem aktuellen Album von Rihanna mitgeschrieben. Aber bis der Song tatsächlich auf diesem Album war, das ist ein so komplizierter, langer Weg - irgendwie entspricht mir das doch nicht. Ich lebe jetzt seit zwei Jahren in Los Angeles, und zuletzt habe ich mich da eher in meine Ecke zurückgezogen. Und nehme an diesem ganzen Wettbewerb von wegen "Wir schreiben jetzt einen Hit für den-und-den" nicht mehr teil.
    Lechler: Was hatte Ihnen ursprünglich die Tür geöffnet?
    SOHN: Was ich gemacht habe, galt eben als cool. Und dann wurde ich gefragt. Weil andere davon auch etwas haben wollten. So bekam ich Remix-Aufträge, später ging es ums Produzieren und Schreiben. Die Leute hören das und denken: "Das kommt aus der coolen Ecke, das injizieren wir jetzt mal in unser Mainstream-Projekt."
    Lechler: Wissen oder wussten Sie bei solchen Anfragen immer genau, was gewünscht ist?
    SOHN: Am Anfang haben ja die Labels den Kontakt hergestellt. Und die sagten etwa: Wir bräuchten einen schnellen Song. Wenn du den aus unserem Künstler rausholst, das wär super. Und man denkt: Okay, geht klar. Ich habe die Herausforderung genossen. Aber irgendwann wird schon wichtig, wer der Künstler ist. Und dass er die Idee hatte; nicht eine Abteilung bei Sony oder Universal. Einmal, bei einer Session, kam die Person rein und sagte: Ähm, erzähl mir von dir, was machst du denn so? Und ich dachte: Wieso sind wir zwei im selben Raum? Wenn du gar nicht weißt, was ich mache, und dir noch nicht mal die Mühe gemacht hast, mich zu googlen - was soll das Ganze?