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Soldaten in drei Kriegen

In der deutschsprachigen Erstaufführung von Yaron Edlesteins Stück "Berg" schlagen sich fünf Soldaten einer Militäreinheit durch - durch die Geschichte dreier Kriege auf israelischem Boden. Das deutsche Publikum wird Probleme haben, die Kriege zu unterscheiden.

Von Christian Gampert | 28.01.2011
    Wenn man auf dem Theater vom Krieg erzählen will, dann bleiben im Grunde zwei große, aber unbefriedigende Möglichkeiten: zum einen die didaktische, die moralische, also die Brecht-Variante; zum anderen die Überwältigungs-Strategie: das Publikum mit Blut, Lärm und Effekten überschwemmen. Das eine ist langweilig, das andere angeberisch (zumal das Theater dem Film hier meilenweit unterlegen ist). Sinnreicher scheint es, Beziehungs-Geschichten zu erzählen, in die der Krieg sich einschleicht. Shakespeare-Stücke sind auf diese Weise immer auch Kriegs-Stücke, und selbst Filmklassiker wie "Apocalypse Now" handeln eher von einem mythisch vergrößerten Grauen des Menschen vor sich selbst als vom Militär; der Krieg ist nur Kulisse.

    Der israelische Autor Yaron Edelstein verfolgt nun eine Gruppe von Soldaten durch drei verschiedene Kriege: den Befreiungskrieg von 1948, den Jom-Kippur-Krieg von 1973 und den zweiten Libanon-Krieg 2006. Vor allem aber lässt er aus diesem Kampftrupp eine (titelgebende) Führerfigur herauswachsen: "Berg", hinter dem sich auf ziemlich subtile Weise der frühere General und Regierungs-Chef Ariel Scharon verbirgt. Dies ist ein israelisches Stück für ein israelisches Publikum; die Kriege skizzieren höchst unterschiedliche gesellschaftliche Situationen, und der auf makabre Weise noch immer im Koma liegende reale Ariel Scharon ist in Israel Symbol einer jetzt abtretenden starken Vätergeneration, die keine Nachfolger mehr hat.

    In Israel, wo jeder Mann drei und jede Frau zwei Jahre Militärdienst leistet, sind Enge und Gewalt des Stückes dem Publikum vertraut: Man diskutiert hier intern, wie furchtbar es ist, in einer militarisierten Gesellschaft zu leben. In Deutschland dagegen ist der Krieg heute etwas großes Allgemeines, um das man gerne herumredet - obwohl immer mehr tote und traumatisierte Soldaten aus Afghanistan zurückkommen, scheut man die kalte Beschreibung der Lage, weil man das Grundgesetz nicht ändern will.

    Ein deutsches Publikum wird aber auch Probleme haben, die drei Kriege des Stücks zu unterscheiden. Einmal schmeißt man Handgranaten in Häuser, um dem Gegner eine Lektion zu erteilen; einmal folgt man dem charismatischen Führer über den Suez-Kanal (und bleibt dann in aussichtsloser Lage allein zurück); einmal bricht man von einer Grillparty, aus dem Wohlstand also auf in einen dubiosen Kampf, der mit offiziösen Lobreden und niederschmetternden Selbstanalysen endet.

    Yaron Edelstein hält die internen Mechanismen der Soldatengruppe für hinreichend allgemein, um auch in Deutschland verstanden zu werden: die Einsamkeit, das Überschreiten moralischer Grenzen, das Rufen nach der Mama in der Not, die soldatischen Rituale. Das ist aber nicht so: der eher unerfahrene Regisseur Timo Krstin strampelt sich in Heidelberg fast zwei Stunden lang ab, um das Stück zu formalisieren. Das spezifisch Israelische geht dabei natürlich verloren, und der böse Krieg allein ist nicht abendfüllend.

    Krstin entwickelt den Kampf ganz aus privaten Haltungen heraus: die Figuren tragen Zivilkleidung und Golfschläger statt Uniform und Gewehr. Der Frosch- und Zauberkönig Berg thront als Komponist auf einer Sperrholzbude und badet im blutigen Bottich, während seine Truppe auf konzeptuell-minimalistischen Zebrastreifen (im Krieg gibt's offenbar nur Schwarz-Weiß) absurde Spiele aufführt. Die Mittel der Aufführung sind avanciert, aber sie schaffen keinen Fluss und keine Atmosphäre. Funksprüche per Kindertelefon, Unterhaltungen als Sprech-Stakkato. Party-Smalltalk und Unterwerfungs-Rituale. Schattenrisse und Sprach-Loops. Geschützdonner als Klang-Teppich und Licht-Bombardement. Die Heidelberger Akteure kämpfen - aber vor allem mit dem Stoff. Am Schluss ein paar schöne Bilder: der Anführer Berg als blinder Beckett-König am kahlen Baum wie am Marterpfahl. Das rettet nichts: die Aufführung bietet nur Kriegsübungen für Schauspieler. Ein Gesellschaftsspiel - aber eben eines, das im Nirwana stattfindet.