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Soldaten-Traumata können noch "nach einer ganz langen Zeit ausbrechen"

Noch Jahre nach einem Einsatz kann bei Soldaten eine posttraumatische Belastungsstörung entstehen. Die Initiative "Angriff auf die Seele" will den Betroffenen und deren Angehörigen helfen - und die Öffentlichkeit sensibilisieren.

10.09.2009
    Mario Dobovisek: Weiter geht er, der Streit um die NATO-Luftangriffe auf zwei Tanklaster in Afghanistan. Ein deutscher Offizier hatte ihn am Freitag angefordert, mindestens 56 Menschen starben dabei. Für diese Entscheidung hagelt es immer heftigere Kritik. Jetzt heißt es sogar, der Deutsche habe seine Kompetenzen überschritten und die Befehlsstrukturen nicht eingehalten. Viel Stoff für Untersuchungen also, die gleich nach der Bombardierung aufgenommen wurden.
    Am Telefon begrüße ich Frank Eggen, er ist Soldat bei der katholischen Militärseelsorge und Begründer einer Initiative für traumatisierte Soldaten. Guten Tag, Herr Eggen.

    Frank Eggen: Guten Tag!

    Dobovisek: Soldaten müssen Entscheidungen treffen, oft geht es um Leben oder Tod, das eigene oder das der anderen. Viel Zeit bleibt da meistens nicht. Wie sehr beschäftigen solche Entscheidungen und Ereignisse die Soldaten noch im Nachhinein?

    Eggen: Das kann tief greifende Folgen haben, weil Soldaten müssen in Stresssituationen in kürzester Zeit zum Teil sehr schwerwiegende Entscheidungen treffen und diese Entscheidungen kann man dann nachher diskutieren, aber Soldaten haben in der Kürze der Zeit manchmal nicht die ausreichenden Möglichkeiten, das dann so zu prüfen, wie das jetzt zum Beispiel passiert.

    Dobovisek: Was bringt zum Beispiel diese Diskussion, die Debatte einem Soldaten, der in so einer Situation sich befunden hat?

    Eggen: Na ja, Soldaten sind natürlich auch Menschen und wenn sie so fatale Entscheidungen treffen oder Entscheidungen treffen müssen, die das Leben anderer oder auch das eigene Leben beeinflussen können, können dadurch Schuldgefühle entstehen, und das kann dann später, wenn man das Ganze reflektiert, natürlich auch zu Belastungen werden, die krankhaft sind.

    Dobovisek: Zum Beispiel?

    Eggen: Zum Beispiel posttraumatische Belastungsstörung ist so eine Form der Erkrankung, die den Soldaten auch noch nach Jahren wieder einholen kann, wenn er sich wieder an diese Situation erinnert, an eine traumatisierte Aktion oder ein Ereignis, und das kann dann zu schweren gesundheitlichen Schädigungen führen.

    Dobovisek: Wie äußern sich diese Rückerinnerungen an die Ereignisse?

    Eggen: Das sind dann zum Beispiel die sogenannten "Flashbacks". Das heißt, dass ein Geruch oder ein Geräusch den Soldaten wieder in einen Alarmzustand versetzen, den er hatte, als er in dieser traumatisierten Situation war. Das kann dann später auch zu Hause zu Schlaflosigkeit, zu Aggressionen führen, die dann weitere Konsequenzen haben: Stress mit der Familie, mit dem Ehepartner, mit seiner Umgebung, er zieht sich zurück, er wird allein gelassen zum Teil von Freunden, weil sie das nicht verstehen, und das ist dann ein Problem.

    Dobovisek: Das sind ja schon gravierende Einschnitte in ein Leben oder das können sie zumindest bedeuten. Was kann denn die Bundeswehr tun, um eben das zu vermeiden?

    Eggen: Die Bundeswehr muss sich intensiv um die Soldaten kümmern, die aus dem Einsatz wiederkommen, und natürlich auch – und das ist mir ganz wichtig, weil das erfahre ich jeden Tag aus unserer Initiative – besonders auch die Angehörigen, denn wenn etwas im Einsatzland passiert, sind es natürlich auch die Angehörigen, die unter psychischem Druck stehen, weil sie nicht wissen, was ist mit meinem Ehemann im Einsatz passiert. Da, glaube ich, müssen wir noch eine ganz andere Dimension an Unterstützung liefern, damit wir in Zukunft, wenn denn die Einsätze so belastend werden, wie es im Moment scheint, erkennen, dass da noch einiges gemacht werden muss.

    Dobovisek: Das heißt, Sie sagen, Herr Eggen, die Unterstützung durch die Bundeswehr, die jetzt stattfindet, reicht nicht aus, um die möglichen Belastungen, die jetzt auf die Soldaten zukommen, abzufedern?

    Eggen: Doch. Ich würde sagen, sie ist ausreichend. Aber es melden sich zum Beispiel immer noch Soldaten bei unserer Initiative, die in ihrem letzten Einsatz 1999 im Einsatz waren, die zum Beispiel Massengräber im Kosovo geöffnet haben, die jetzt schon lange gar nicht mehr bei der Bundeswehr sind. Das heißt, noch nach einer ganz langen Zeit können diese Erkrankungen ausbrechen. Wenn man zum Beispiel diese Situation in Afghanistan nimmt und sagt, das kann noch vier, fünf Jahre später zu Erkrankungen führen, glaube ich, dass wir da vorbereitet sein müssen, und das wird die Aufgabe sein, in der Bundeswehr rechtzeitig dann auch entsprechende Kapazitäten zur Verfügung zu stellen.

    Dobovisek: Also eine Aufgabe, die noch nicht ganz wahrgenommen wird, sonst hätten Sie ja Ihre Initiative nicht gründen müssen.

    Eggen: Ja. Ich habe die Initiative damals gegründet – das war vor eineinhalb Jahren -, weil ich zum Beispiel einen Reservisten hatte, der gefragt hat, ich habe da ein Problem, kannst du mir helfen. Ich bin aktiver Soldat und dann habe ich ihm die Informationen zusammengestellt und gegeben. Das, dachte ich, wäre eine gute Idee gewesen, das auch im Internet zu tun, und so ist eben www.angriffaufdieseele.de entstanden.

    Dobovisek: Sie sind ja Soldat bei der katholischen Militärseelsorge, haben also auch viel Kontakt zu anderen Soldaten. 78 Bundeswehrangehörige starben bislang bei Auslandseinsätzen, ob nun bei Anschlägen oder bei Unfällen. Wie gehen die Soldaten denn mit dieser Gefahr um?

    Eggen: Das ist sehr differenziert. Natürlich ist dann immer die Betroffenheit und die Trauer da. Aber wir sind so weit professionell, dass wir natürlich auch an unseren Auftrag denken und im Einsatz uns so weit darauf konzentrieren, dass wir sagen, wir haben hier eine wichtige Aufgabe und diese müssen wir wahrnehmen. Und das muss ich auch sagen: Jeder Soldat, mit dem ich gesprochen habe, der aus dem Auslandseinsatz gekommen ist, auch wenn er traumatisiert war, hat immer das Gefühl gehabt, er hat einen wichtigen und sinnvollen Job gemacht. Ich glaube, das versuchen die Soldaten dann in den Vordergrund zu stellen.

    Dobovisek: Fühlen Sie sich da von der Politik manchmal allein gelassen?

    Eggen: Nein, von der Politik eigentlich nicht. Höchstens von der Gesellschaft insgesamt würde ich mir wünschen, dass man den Familien und den Soldaten mehr Anerkennung zeigt und sie auch in Krisensituationen unterstützt, wenn es denn notwendig ist. Da, glaube ich, sind wir auch noch in einem gesellschaftlichen Lernprozess.

    Dobovisek: Der Soldat Frank Eggen, Begründer der Initiative "Angriff auf die Seele" für traumatisierte Soldaten. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Eggen.

    Eggen: Ich danke Ihnen.

    Bundeswehr-Website zur Posttraumatischen Belastungsstörung:www.ptbs-hilfe.de/