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Solidarität gefragt

Bislang entscheidet jedes EU-Mitgliedsland über seine Flüchtlings- und Einwanderungspolitik. Und so gibt es besonders in den von Flüchtlingsströmen betroffenen Ländern menschenunwürdige Situationen zuhauf. Doch andere Länder könnten Flüchtlinge übernehmen.

Von Doris Simon | 02.09.2009
    Italien und Griechenland, Zypern und Malta drängen die übrigen EU-Länder, ihnen Flüchtlinge abnehmen. Doch die sind dazu rechtlich nicht verpflichtet. Die Innenminister der übrigen EU-Ländern sprechen deshalb lieber von der Solidarität mit den betroffenen Mitgliedsstaaten, und betonen im selben Atemzug, dass es diese nur auf freiwilliger Basis geben kann. Eine Lastenteilung bei der Aufnahme von Flüchtlingen mit festen Quoten lehnt auch Bundesinnenminister Schäuble ab. Dabei weist er selber immer wieder darauf hin, wie hohl der Begriff der freiwilligen Solidarität in der Praxis ist:

    "Und wenn das klar ist, dann haben wir auch eine Chance, schrittweise uns in Richtung auf mehr Solidarität, immer auf der Basis von Freiwilligkeit zu bewegen. Dass das nicht leicht ist, hat Deutschland erfahren, als über die Hälfte der Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien in Deutschland Aufnahme gefunden hat, war auf der Basis von Freiwilligkeit die Solidarität der anderen Mitgliedstaaten in Europa so überwältigend, dass wir sie bis heute noch nicht vergessen haben."

    Die vier hauptbetroffenen EU-Länder haben unterschiedlich reagiert auf den Flüchtlingszustrom. Malta müht sich nach Kräften, EU-Recht und der Genfer Flüchtlingskonvention gerecht zu werden, ist aber als Kleinststaat ohne Hinterland völlig überfordert. Die Probleme der Mittelmeerinsel sind so offensichtlich, dass die Innenminister grünes Licht für ein Pilotprojekt gegeben haben: Andere Mitgliedsländer sollen Flüchtlinge, denen Malta Asyl gegeben hat, übernehmen, um den Ministaat zu entlasten. So hat Frankreich die Aufnahme von 100 anerkannten Flüchtlingen signalisiert, auch mit Deutschland laufen Gespräche. Auf ein Gelingen des Pilotprojektes hofft auch Zypern: Im letzten Jahr hat die zypriotische Regierung mit EU-Geldern und mit Hilfe aus den Niederlanden seine Aufnahmestrukturen ausgebaut und modernisiert. Viele Flüchtlinge wurden seither anerkannt. Jetzt setzt Zyperns Innenminister Neoklis Sylikiotis auf seine Kollegen in den anderen EU-Staaten. Im Juli haben sie sich in Stockholm im Grundsatz alle auf eine gemeinsame Asyl- und Immigrationspolitik geeinigt:

    "Wir müssen auch konkrete Schritte in diese Richtung machen, eine gerechte Verteilung. Wenn wir einen Außen-Flüchtling weniger haben, dass ist sehr hilfreich für Zypern. Wenn wir diese 1000 in große Länder verteilen, das ist nichts."

    Doch es sind nicht die überlasteten Inselstaaten wie Zypern und Malta, wo sich die dramatischsten Szenen abspielen. Griechenland wird seit Jahren vom Europäischen Parlament gerügt für die Zustände in den Aufnahmelagern, schockierend nannte das UN-Flüchtlingshilfswerk zuletzt Bilder aus dem Lager Pagani auf Lesbos, in dem bis zu 1000 Menschen zusammengepfercht sind, vorgesehen war es für 300. Am Geld liegt es nicht, schließlich gibt es EU-Mittel, die den betroffenen Staaten helfen sollen, den Flüchtlingszustrom besser und menschenwürdiger zu bewältigen. Die Europäische Kommission hat die Zustände in griechischen Aufnahmelagern mehrfach kritisiert. Doch an den Strukturen hat sich bisher nicht verbessert. Die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel:

    "Die Europäische Kommission ist kein Gesetzgeber, und das Europäische Parlament ist derzeit schlicht und ergreifend auch nicht zuständig. Noch ist der Lissabon-Vertrag nicht unterschrieben, das heißt, der ganze Bereich Innenpolitik ist in der Zuständigkeit der nationalen Regierungen. Da wären also Schäuble und Co. gefragt, hier aktiv zu werden.
    Und die tun's nicht, weil sie sich vor der Diskussion scheuen."

    Auch Italiens Innenminister Roberto Maroni von der Lega Nord fährt seit Längerem einen rabiaten Kurs, ohne sich gegenüber seinen Kollegen aus den übrigen EU-Ländern rechtfertigen zu müssen. Die Italiener statteten im Mai den libyschen Küstenschutz mit sechs italienischen Wachbooten aus. Diese holen viele Bootsflüchtlinge zurück an die nordafrikanische Küste. Und immer mehr Schiffe fahren an den Flüchtlingsbooten auf hoher See vorbei: Nehmen sie die Menschen an Bord und lassen sie in Italien an Land, droht Kapitänen und Mannschaft Gefängnis. Seit ein paar Wochen bringt die italienische Küstenwacht zudem immer wieder Flüchtlinge zurück nach Nordafrika, ohne dass diese einen Asylantrag stellen können.

    Die Europäische Kommission habe Italien um Aufklärung gebeten, über die direkte Rückführung eines Flüchtlingsbootes nach Libyen, erklärte gestern ein Kommissionssprecher. Auch in diesem Fall sollen die Flüchtlinge keine Chance gehabt haben, Asyl zu beantragen.

    Der CSU-Innenexperte Manfred Weber wird deutlicher:

    "Wer Asylantrag stellt, muss die Möglichkeit haben, das wie in einem ordentlichen Verfahren geprüft zu bekommen. Es ist nicht akzeptabel, dass ganze Boote im Mittelmeer einfach zurückgeschickt werden nach Libyen, ohne dass der Einzelne im Boot sein Anliegen vorbringen kann."

    Für den CSU-Europaabgeordnete kann es eine Verbesserung der Situation nur mit europäischen Grenzschützern im Mittelmeer geben: Nicht der italienische oder der griechische Küstenschutz, sondern europäische Frontex-Beamte sollen sich um den Grenzschutz und die Aufnahme der Flüchtlinge kümmern – und um die Bearbeitung von deren Anträgen. Ein solcher Frontex-Einsatz steht jedoch unter einem entscheidenden Vorbehalt: Ihm müssten alle 27 EU-Innenminister zustimmen.