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Solidaritätszuschlag
"Eigentlich eine Sonderabgabe für einen befristeten Zweck"

Die Union hat gestern bekannt gegeben, den Solidaritätszuschlag ab 2020 schrittweise abzusenken. Diese Kehrtwende von Angela Merkel hat für Joachim Ragnitz, Ifo-Institut in Dresden, vorrangig zwei Gründe: Zum einen seien es wahlkampftaktische und auch verfassungsrechtliche Bedenken, sagte er im DLF. Um den Aufbau Ost zu finanzieren, brauche man den Soli nicht mehr, allerdings gebe es anderen Bedarf.

Joachim Ragnitz im Gespräch mit Christiane Kaess | 05.03.2015
    Der Wirtschaftswissenschaftler Joachim Ragnitz, Ifo Dresden.
    Der Wirtschaftswissenschaftler Joachim Ragnitz, Ifo Dresden. (imago/momentphoto/Robert Michael)
    Friedbert Meurer: Der Soli soll weg! Nicht sofort, sondern erst ab 2020 und dann auch nur Zug um Zug. Aber immerhin! Darauf haben sich jetzt die Bundeskanzlerin, ihr Finanzminister und der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer verständigt. Diese Meldung gestern kam ziemlich überraschend, denn Angela Merkel hatte erst im Dezember noch erklärt, quasi zusammengefasst, der Soli ist unverzichtbar. Jetzt soll es ab 2020 anders kommen. Christiane Kaess, meine Kollegin, hat gestern Abend über den Abbau des Solidaritätszuschlages gesprochen mit Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut in Dresden.
    Christiane Kaess: Die Unions-Spitze will offenbar den Soli ab 2020 dann bis 2030 abschmelzen. Zurecht?
    Joachim Ragnitz: Na ja, solange man jetzt davon ausgeht, der Solidarzuschlag war ursprünglich mal geplant, um den Aufbau Ost zu finanzieren, kann man sagen, den braucht man dann wahrscheinlich nicht mehr, weil der Aufbau Ost dann keine zusätzlichen Mittel mehr erfordert. Auf der anderen Seite sieht man aber auch eine ganze Reihe von zusätzlichen Bedarfen, die an allen möglichen Stellen auftauchen, zum Beispiel der Ausbau der Infrastruktur, vor allem auch in den Westländern, der immer genannt wird und der bisher nicht wirklich finanziert werden kann. Aber es gibt ja auch Ideen, beispielsweise eine Entlastung für die sehr hoch verschuldeten Länder, vor allem Bremen und das Saarland daraus zu finanzieren. Das heißt, da gibt es durchaus eine ganze Reihe von Bedarfen, für die man diese Steuereinnahmen aus dem Soli weiterhin gebrauchen müsste.
    Kaess: Herr Ragnitz, das war ja bisher auch die Position der Regierung. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat noch im Dezember gesagt, auch nach Auslaufen des Solidarpakts kann man nicht auf die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag verzichten. Haben Sie eine Erklärung für diese Wende?
    Ragnitz: So ganz verstanden habe ich das auch nicht. Das ist natürlich ein ziemlicher Widerspruch zu dem, was sie damals gesagt hat. Ich denke mal, hier spielt eine Rolle, dass man gesagt hat, man will den Eindruck vermeiden, dass man irgendwie Steuererhöhungen hat, und wenn man den Soli in die Einkommenssteuer integrieren würde, könnte man das so interpretieren, dass wir da eine Steuererhöhung haben. Auf der anderen Seite den Solidarzuschlag weiter fortzuführen, der ja eigentlich eine Sonderabgabe für einen befristeten Zweck gewesen ist, wirft dann verfassungsrechtliche Gründe auf. Ich glaube, das sind dann eher zum einen wahlkampftaktische, aber zum anderen auch diese verfassungsrechtlichen Bedenken, die da zu dieser Kehrtwende geführt haben.
    "Solidarzuschlag ist ja in gewisser Weise auch eine Verfügungsmasse"
    Kaess: Den Soli in die Einkommenssteuer zu integrieren, dieser Vorschlag stand bis vor Kurzem auch im Raum. Das würde dann heißen, der Bund teilt die Einnahmen mit den Ländern und den Gemeinden. Das, glauben Sie, wäre die bessere Variante?
    Ragnitz: In diesem Fall, wenn man sagt, den Solidarzuschlag bräuchte man weiter, würde ich es für sinnvoll erachten, weil ein großer Teil dieser Investitionsbedarfe zum Beispiel sind eben auf Länderebene vorhanden. Darüber hinaus muss man sehen, dass der Solidarzuschlag ja in gewisser Weise auch eine Verfügungsmasse ist, um zu einer Lösung bei den Verhandlungen um den Länderfinanzausgleich zu kommen, und da bietet es sich ja eigentlich an, dass der Bund einen Teil seines Aufkommens aus dem Soli nimmt, die Länder damit kompensiert, um auf diese Art und Weise eine Lösung in diesem Verteilungsstreit dann herbeizuführen.
    Kaess: Und wenn es tatsächlich dazu kommen sollte, dass der Soli bis 2030 abgeschmolzen wird, wie könnten die Länder, die sich jetzt mehr Geld erhofft hatten, wie könnten die denn das kompensieren?
    Ragnitz: Nun, da geht es nur über Ausgabeneinsparungen. Der Verschuldungsweg ist ja ausgeschlossen.
    Kaess: Wegen der Schuldenbremse.
    Ragnitz: Wegen der Schuldenbremse, genau. Und eigenständige Steuerkompetenzen haben die Länder auch nicht. Das heißt, dann muss man auf jeden Fall bei den Ausgaben irgendwo versuchen, weiter einzusparen. Sicherlich gibt es da immer eine ganze Reihe von Sachen, wo man sich fragen muss, weshalb der Staat diese Aufgaben erledigen muss. Man denke nur an die ganzen Subventionen, die da gezahlt werden, oder so was. Da gibt es bestimmt Einsparmöglichkeiten. Aber das ist natürlich schwerer, so etwas zu machen. Und es ist sicherlich wünschenswert, dass man überflüssige Ausgaben tatsächlich dann beseitigt. Aber letzten Endes muss man sehen: Es gibt auch eine Reihe von Bedarfen, die wahrscheinlich durch Ausgabeneinsparungen nicht finanziert werden können. Ich komme noch mal auf die Investitionen zurück, oder die Altschuldenhilfen. Ich glaube, da bräuchte man wirklich zusätzliche Mittel.
    Kaess: Aber da ist auch genau die Frage, müssen die Länder da eventuell auch mehr leisten und zum Beispiel besser haushalten.
    Ragnitz: Das läuft darauf hinaus. Ich meine, in vielen Ländern haben wir derzeit ein Ausgabenproblem, kein Einnahmenproblem, nämlich in all jenen Ländern, die sich derzeit noch weiter verschulden. Da ist es offensichtlich so, dass man zu viel Geld für überflüssige Zwecke auch verwendet, und da sollte man auf jeden Fall gegensteuern.
    "Wirtschaftskraft ist ja immer noch 30 Prozent niedriger als in Westdeutschland"
    Kaess: Herr Ragnitz, Cornelia Pieper, ehemals Sachsen-Anhalts FDP-Spitzenkandidatin, die hat im Jahr 1998 gesagt, wer glaubt, dass die Solidarität an der Höhe des Solidarzuschlages gemessen werde, glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten. Da angeknüpft an dieses prägnante Zitat: Braucht der Osten eigentlich noch Unterstützung, oder müsste die Solidarität mittlerweile in eine ganz andere Richtung gehen? Sie haben es angesprochen: Viele westdeutsche Kommunen klagen auch über große finanzielle Probleme.
    Ragnitz: Wir haben in Ostdeutschland sicherlich noch Bedarfe. Ich meine, die Wirtschaftskraft ist ja immer noch 30 Prozent niedriger als in Westdeutschland. Und gerade, wenn man aus den großen Städten herauskommt, sieht man auch, dass dort noch Investitionsbedarfe bestehen. Das heißt, bis 2019 - so lange läuft ja der Solidarpakt II - sollte man dort auf jeden Fall versuchen, noch weiter zu investieren. Schon allein der Vertrauensschutz gebietet das ja auch. Danach muss man aber sehen, dass man dann eine gesamtdeutsche Strukturpolitik braucht, auch eine gesamtdeutsche Infrastrukturförderung, nämlich dort, wo nach einheitlichen Kriterien gemessen dann die höchsten Bedarfe bestehen. Das kann genauso gut im Ruhrgebiet sein oder in strukturschwachen Regionen in Bayern oder in Rheinland-Pfalz, aber zum Teil eben auch in Ostdeutschland. Ab 2020, glaube ich, muss man wirklich weggehen von dieser reinen Ost-West-Betrachtung.
    Meurer: Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut in Dresden. Die Fragen stellte meine Kollegin Christiane Kaess.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.