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Solidaritätszuschlag
"Kanzlerin ist wohl unter Druck geraten"

Die Union plant, den Solidaritätszuschlag ab 2020 schrittweise abzubauen. Das sei das Gegenteil davon, was Kanzlerin Merkel bislang geäußert habe, sagte der NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) im DLF. Die CDU wolle den Eindruck erwecken, sie plane die Steuern zu senken. Dahinter stecke eine Taktik.

Norbert Walter-Borjans im Gespräch mit Friedbert Meurer | 05.03.2015
    Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD).
    Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). (imago / Astrid Schmidhuber)
    Bislang habe Bundeskanzlerin Angela Merkel stets gesagt, "dass die Mittel aus dem Soli für den Umbau in Ost und West, für die Renovierung von Straßen und Brücken, für Schulen gebraucht werden", sagte der SPD-Politiker.
    Die Kanzlerin sei wohl zum einen unter Druck geraten, weil die Beibehaltung des Soli wie eine Art Steuererhöhung aussehen könnte, "obwohl kein Mensch stärker belastet worden wäre". Zum anderen hätte es wohl Seehofer nicht gepasst, wenn der Soli über die Einkommenssteuer verteilt werden würde. Denn dann hätte das einkommensstarke Bayern noch mehr finanzielle Mittel bekommen, welche das Land dann im Länderfinanzausgleich wieder hätte abführen müssen.
    Für Walter-Borjans stehe hinter den Plänen der Union eine Taktik, um Am Ende die Mittel für am besten für den Bundeshaushalt zu sichern. Allerdings gehe es beim Solidaritätszuschlag nicht darum, den Bürger stärker zu belasten. Er kritisiert, dass Deutschland "dermaßen viel vor der Brust" habe, was repariert werden müsse, wie zum Beispiel Straßen. Da brauche man auch die Mittel aus dem Soli.

    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Seit fast einem Viertel Jahrhundert gibt es den Solidaritätszuschlag, den Soli. Vor allen Dingen, um die neuen Bundesländer aufzubauen. Bis Dezember letzten Jahres hatte Angela Merkel an ihm festgehalten.
    O-Ton Angela Merkel: "Wir werden auf jeden Fall auf die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag auch nach dem Auslaufen des Solidarpakts angewiesen sein."
    Meurer: Die Kanzlerin im Dezember. Jetzt aber hat sie sich mit Horst Seehofer darauf verständigt: Der Soli soll ab 2020 abgebaut werden, peu a peu bis zum Jahr 2030 etwa. Die SPD spricht von einer 180-Grad-Kehrtwende. - Norbert Walter-Borjans ist Finanzminister von Nordrhein-Westfalen von der SPD. Ihn habe ich heute Morgen gefragt, ob er geplättet war, als er hörte, der Soli soll weg.
    Norbert Walter-Borjans: Erst mal war ich deshalb geplättet, weil es ganz das Gegenteil dessen ist, was seit zwei Jahren landauf, landab die Kanzlerin immer wieder sagt, dass die Mittel aus dem Soli für den Umbau in Ost und West, für die Renovierung von Straßen und Brücken, für Schulen gebraucht werden und jetzt auf einmal das Bild entwickelt wird, die CDU, die möchte gerne die Steuern senken und andere wollen das möglicherweise nicht.
    Meurer: Haben Sie eine Erklärung, warum die Kanzlerin sich das anders überlegt hat?
    Walter-Borjans: Zum einen, weil sie unter Druck geraten ist, dass die Beibehaltung des Soli eine Art Steuererhöhung sein könnte, obwohl kein Mensch stärker belastet worden wäre. Das ist das eine. Und zum anderen - insofern hat da ja Bayern eine Rolle mitgespielt -, dass wenn der Soli über die Einkommenssteuer verteilt würde, auch an die Länder, dass dann das einkommensstarke Bayern noch mehr bekommen hätte, was es dann im Länderfinanzausgleich wieder hätte abführen müssen, und diese Optik wollte sicher Herr Seehofer nicht haben.
    Meurer: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wird ja zitiert mit der Überlegung, nach 2019, wenn der Solidarpakt ausläuft, könnte das sehr wohl gegen die Verfassung verstoßen, wenn man den Soli sozusagen alleine weiterlaufen lässt. Waren das diese juristischen Erwägungen?
    Walter-Borjans: Auch das ist eine interessante Nachricht, denn genau dieses Argument stammt von den Ländern und vor allem auch von den SPD-regierten Ländern. Wir haben immer gesagt, lieber Herr Schäuble, wenn Sie nach 2020 den Soli einfach weiterlaufen lassen, aber nichts mehr an die ostdeutschen Länder, auch nichts an die westdeutschen Länder abführen, sondern einfach nur Ihre eigene Kasse damit sanieren, dann werden Sie das verfassungsrechtlich nicht durchhalten. Damals ist uns das noch anders entgegnet worden. Wenn das jetzt ein Argument ist, dann kann man ja über all diese Dinge reden. Deshalb war ja, im Übrigen gemeinsam getragen mit Herrn Schäuble, diese Einbeziehung in die Einkommenssteuer auf den Tisch gekommen. Ich möchte dieses Spiel nicht mitmachen, dass jetzt die SPD-regierten Länder diejenigen sind, die hier eine Steuer beibehalten wollen. Wenn die CDU den Eindruck erweckt, man kann auch auf sie verzichten und alles, was man braucht, Straßensanierungen, Brückensanierungen finanzieren, dann warten wir auf Vorschläge. Es steht ganz im Gegensatz zu dem, was bisher von Kanzlerin und Bundesfinanzminister immer gesagt worden ist.
    Meurer: Bei allem Ärger, den ich bei Ihnen heraushöre, Herr Walter-Borjans, haben Sie gerade gesagt, dann meinetwegen okay, wir schaffen den Solidaritätszuschlag ab.
    Walter-Borjans: Man sollte immer genau hingucken, wenn Frau Merkel und Herr Schäuble und Herr Seehofer was vorschlagen. Die schlagen ja gar nicht vor, dass der Soli jetzt abgeschafft wird, sondern sie schlagen vor, ihn nach 2020 in Schritten - man redet bis 2030 - abzuschaffen. Das heißt doch auf Deutsch, dass er zunächst mal nicht abgeschafft wird, dass er dann aber gesichert wird für die Bundeskasse, für die schwarze Null, die auf der Bundesebene vorgewiesen werden soll, und die Frage ist, wie sieht es dann aus mit der Infrastruktur und den Bedürfnissen, die an Reparaturen, an Investitionen da sind auf der Länderebene.
    "Entlastung käme im Übrigen den Kleinen gar nicht zugute"
    Meurer: Die Wähler werden aber erst mal sagen, die Botschaft ist, die Steuer wird abgeschafft, wenn auch erst spät und Zug um Zug, und die SPD will es nicht abschaffen. Das ist doch die Botschaft.
    Walter-Borjans: Ja genau! Das ist auch genau die Taktik, die dahinter steht, um am Ende die Mittel doch zu sichern und am besten sogar zu sichern für den Bundeshaushalt, und das müssen wir sehr deutlich machen. Denn es geht nicht darum, die Bürger stärker zu belasten, sondern es geht darum, statt einer Entlastung, die im Übrigen den Kleinen gar nicht zugutekäme, denn unterhalb von 4000 Euro zahlt ein Haushalt mit Kindern keinen Soli, also der würde auch nicht von der Abschaffung profitieren, dass wir hier wieder den höheren Einkommen, den Gewinnen der Unternehmen eine Entlastung geben und gleichzeitig die Mittel dann nicht da sind für die Infrastruktur. Das fände ich, da sollte man ehrlicher mit umgehen. Wenn beides miteinander zu verknüpfen ist, bin ich der Letzte, der sich dagegen wehrt zu entlasten. Ich finde nur, wenn man ehrlich ist, muss man sagen, wir haben dermaßen viel vor der Brust, was an Reparaturen nötig ist, auch an Reparaturen an Bundesstraßen, denn eine Autobahnbrücke wie Leverkusen beispielsweise ist keine Landesangelegenheit, da sollte man doch ehrlich mit umgehen und sagen, wir haben hier Reparaturbedarf, Leute, dafür brauchen wir auch diese Mittel.
    Meurer: Haben wir trotzdem nicht noch einen fundamentalen Unterschied in der politischen Ausrichtung, Herr Walter-Borjans? Die Kanzlerin und Horst Seehofer wollen die Infrastruktur-Maßnahmen für den Osten, für alle Bundesländer finanzieren, aus geringeren Mitteln, nämlich der Soli fällt ja weg; Sie wollen es finanzieren, indem alles im Prinzip vom Steuervolumen her beim alten bleibt.
    Walter-Borjans: Wenn mit weniger Steuereinnahmen das zu bewältigen ist, was bewältigt werden muss, dann ist das in Ordnung. Dann reden wir darüber, dann bin ich auf Vorschläge gespannt. Wir reden ja im Augenblick überhaupt über vieles, was die Bund-Länder-Finanzbeziehungen angeht, weit über den Soli hinweg. Bislang ist es so, dass wir in Nordrhein-Westfalen noch Kredite aufnehmen, um mit dazu beizutragen, im Ausgleich zwischen den Ländern, dass etwa die Länder in Ostdeutschland keine Kredite mehr aufnehmen müssen. Das ist ein Punkt, den will Nordrhein-Westfalen in diesen Verhandlungen ganz sicher ändern, weil hier auch ein Bedarf ist, den wir mit den hier entstehenden Steuermitteln auch decken wollen. Wenn das alles zu vereinbaren ist damit, dass der Bundeshaushalt die Mittel nicht mehr benötigt und sie dahin, wo sie bisher hinfließen, auch nicht mehr einsetzen will, dann ist Nordrhein-Westfalen nicht der erste Betroffene. Aber wir sitzen gemeinsam am Tisch und wir brauchen eine gemeinsame Lösung.
    "Wenn es diese Lösung gibt, werde ich mich der nicht verschließen"
    Meurer: Aber Ihre Position ist, die Länder wollen genau das Geld haben, was angepeilt wurde?
    Walter-Borjans: Nein! Wir haben ganz klar gesagt, in Nordrhein-Westfalen wird von jedem Euro, den das Land ausgibt, bislang noch - das muss man auch mal deutlich machen - zwei bis drei Cent über Kredite finanziert. Die fehlen uns. In Ostdeutschland beispielsweise fehlen an jedem Euro, der ausgegeben wird, eigentlich 30 Cent. Nur da brauchen keine Kredite her, sondern da gibt es Ausgleichszahlungen. Deswegen sagen wir, das muss wieder in ein Gleichgewicht gebracht werden. Und ich sehe nicht, wie man das ins Gleichgewicht bringt, wenn man gleichzeitig die Einnahmen für den Staat drastisch senken würde. Wir reden ja beim Soli von 2020 in einer Größenordnung von 18 Milliarden. Das sehe ich nicht. Wenn es diese Lösung gibt, werde ich mich der nicht verschließen.
    Meurer: Das sehen aber viele anders, die sagen, der Staat spart doch Unmengen, Milliarden an Zinsen, weil die Zinsen im Moment bei null oder sogar darunter sind. Die Steuereinnahmen sind so hoch wie nie, Arbeitslosigkeit niedrig. Da könnte man doch problemlos sagen, auf die 18 Milliarden kommt es jetzt auch nicht mehr an.
    Walter-Borjans: Die Steuereinnahmen sind deshalb so hoch wie nie, weil diejenigen, die Steuern zahlen, auch so viel wie nie verdienen und so hohe Gewinne machen wie nie zuvor. Die sind ja nicht höher geworden, weil die Steuersätze erhöht worden sind. Und das zieht natürlich mit sich auch immer einen enormen Bedarf an Investitionen in Forschung, Bildung, Infrastruktur, auch in soziale Sicherung, auch in humanitäre Hilfen. Wir reden alle gerade über die Herausforderungen, die Flüchtlinge für uns bedeuten und die wir auch zu lösen haben in einem reichen Land.
    "Intakte Infrastruktur ist für die Zukunft dieses Landes genauso wichtig wie ein ausgeglichener Haushalt"
    Meurer: Aber es ist doch mehr Geld da in den Kassen, von denen das bezahlt werden könnte.
    Walter-Borjans: Ja! Aber es geht auch darum - das machen wir ja gerade rigoros von Jahr zu Jahr -, dass wir die Einnahmen aus Krediten - das sind ja auch Einnahmen -, das was man sich sozusagen von der Bank leiht, runterfahren auf null im Jahr 2020. Das steht im Grundgesetz. Das wird Nordrhein-Westfalen genauso einhalten, wie andere Länder das einzuhalten haben. Und wenn man das nicht zu Lasten der Investitionen gehen lassen will, weil viele andere Dinge ja auch gesetzlich festgelegt sind, dann muss man so ehrlich sein und sagen, liebe Leute, liebe Wirtschaft vor allen Dingen auch, eine intakte Infrastruktur ist für die Zukunft dieses Landes genauso wichtig wie ein ausgeglichener Haushalt. Das sollten wir beides ansteuern. Und deswegen war unsere, im Übrigen immer gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister die Position, dass wir diese Mittel brauchen. Wenn die Berechnungen zeigen, dass die nicht gebraucht werden, dann wird es nicht so sein, dass die SPD sie erhalten will und die CDU sie abschaffen will. Dann kann man gemeinsam darüber reden. Es wäre nur ganz im Gegensatz zu dem, was bisher die Kanzlerin und der Bundesfinanzminister seit Jahren gebetsmühlenartig sagen. Wenn wir die Investitionen tätigen wollen, ist auf die Einnahmen aus dem Soli nicht zu verzichten.
    Meurer: Der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Norbert Walter-Borjans (SPD), zur Absicht der Kanzlerin und von Horst Seehofer, den Soli nach und nach abzuschaffen. Danke und auf Wiederhören!
    Walter-Borjans: Ja, danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.