Dienstag, 16. April 2024

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Somalia
Wie illegaler Fischfang die Piraterie befeuert

Seit Somalia keine funktionierende Regierung mehr hat, und damit auch keine Küstenwache, fischen wieder riesige Trawler aus dem Ausland die Gewässer leer. Den kleinen einheimischen Fischern wird so ihre Lebensgrundlage genommen und sie verdingen sich als Piraten. Die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Ein Teufelskreis.

Von Linda Staude | 02.01.2016
    Eine Gruppe von Fischern verstaut Fangnetze in ihrem Boot in Bosaso, einer Hafenstadt in der halbautonomen Region Puntland, am nordöstlichen Zipfel von Somalia. Ein paar andere checken den Außenbordmotor. Nach ein paar Minuten ist alles klar zum Auslaufen. Die Gewässer vor Bosaso im Golf von Aden sind reich an wertvollen Speisefischen wie Thunfisch, Hummer oder Schwertfischen. Und sie sind die Lebensgrundlage für die gesamte Region, wo es außer der Fischerei nicht viel gibt. Oder sie waren es, klagt Fischer Ali
    "Wir haben unsere Netze ausgebracht, um Fische und Hummer zu fangen. Aber das ist vorbei. Sie sind mit Schiffen gekommen und haben alle Fische weggeholt."
    Sie, das sind riesige Fischtrawler aus dem Ausland, die illegal in somalischen Gewässern fischen, seit das Land keine funktionierende Regierung mehr hat, und damit auch keine Küstenwache. Die gnadenlose Überfischung des Meeres seit den 90er-Jahren hat die Fischer ihre Lebengrundlage gekostet - und sie in die Piraterie getrieben.
    "Das war die Ursache dafür. Diese Schiffe haben sogar die Ausrüstung der Fischer gestohlen. Einige Menschen wurden getötet. Die Fischer haben beschlossen, sich zu rächen. Und das ist so weit eskaliert, dass sie Frachtschiffe entführt haben", sagt Abdullahi Said Oyusuf, der Bürgermeister von Eyl, einer anderen Hafenstadt in Puntland. Die wütenden Fischer mögen mit der Piraterie angefangen haben, aber in ihrer Hochzeit zwischen 2008 und 2011 waren sie kaum mehr als Kanonenfutter. Das große Geschäft haben Hintermänner gemacht, die oft nicht einmal in Somalia zu Hause waren. Aber die Zeiten von millionenschweren Lösegeldern für entführte Schiffe, Crews und Ladungen sind vorbei
    "Der erste Grund dafür sind die ausländischen Kriegsschiffe vor der Küste Somalias, die die Piraten abgeschreckt haben. Der zweite sind die Maßnahmen zur Selbstverteidigung durch die Handelsschiffe, unter anderem der Einsatz von privaten Sicherheitskräften. Und der dritte sind die Verhaftung und strafrechtliche Verfolgung von Piraten", erklärt Shamus Mangan vom UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung.
    "Mit den Anti-Piraten-Patrouillen sind auch die illegalen Fischtrawler zurückgekommen"
    Dank der europäischen Atalanta-Mission und anderer internationaler Marineeinsätze hat es rund drei Jahre lang keinen erfolgreichen Piratenüberfall in somalischen Gewässern mehr gegeben. Aber, so der Somaliaexperte Rashid Abdi, "die Militäroperationen waren ein taktischer Erfolg, kein strategischer. Sie haben das Problem nur verlagert. Die Piratengruppen sind nicht aufgelöst, sie existieren immer noch."
    Genau wie die verzweifelte Lage der Fischer in Puntland, erklärt Jimcaale Maxamed aus Bosaso. "Die Piraterie hat wegen der illegalen Fischerei begonnen. Dann haben die Piraten die illegalen Fischer aus unseren Gewässern vertrieben. Aber mit den Anti-Piraten-Patrouillen sind auch die illegalen Fischtrawler zurückgekommen."
    Seit die einst gefährlichsten Gewässer der Welt im Golf von Aden wieder sicher sind, droht die Geschichte sich zu wiederholen– zwei Crews wurden entführt. Rashid Abdi:
    "Wenn Europa sich nicht um die illegale Fischerei vor der somalischen Küste kümmert, bestätigt das nur das Vorurteil: Europa ist gleichgültig, solange keine Schiffe angegriffen werden."
    Experten sagen seit langem, dass der Kampf gegen die Piraterie nur an Land gewonnen werden kann. Durch eine funktionierende Regierung auf der einen Seite. Und auf der anderen durch eine Chance für die Menschen, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Aber da ist kaum etwas passiert, sagt Degan Ali von der Hilfsorganisation Adeso
    "Mit dem Niedergang der Viehzucht durch Dürre und nun auch noch dem Verlust der Fischindustrie; Was bleibt den jungen Männern noch? Wir drängen sie mit dem Rücken zur Wand. Und wir schaffen uns ein Problem für die Zukunft dieses Landes."