Donnerstag, 18. April 2024

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Somalische Piraten verklagen Bundesregierung

Anfang März 2009 wurden somalische Piraten von der deutschen Fregatte Rheinland-Pfalz aufgegriffen und nach Kenia ausgeliefert. Grundlage ist eine zwischen der EU und Kenia ausgehandelte Vereinbarung. Nun wollen zwei der festgesetzten Männer die Bundesregierung verklagen - zu Recht, sagt ihr Anwalt Oliver Wallasch.

Oliver Wallasch im Gespräch mit Elke Durak | 17.04.2009
    Elke Durak: Guten Morgen, Oliver Wallasch, nach Frankfurt am Main!

    Oliver Wallasch: Guten Morgen!

    Durak: Herr Wallasch, die Frage liegt auf der Zunge: Wie sind Sie denn an das Mandat gekommen?

    Wallasch: Na ja, also wir arbeiten sehr eng mit dem kenianischen Kollegen zusammen, der das Mandat für alle neun der Beschuldigten hat, und über den kenianischen Kollegen ist die Vollmacht vermittelt worden.

    Durak: Sind Sie denn als Verteidiger zugelassen bei dem Prozess, der nächste Woche beginnt?

    Wallasch: Also wir haben es beantragt beim General Prosecutor, das ist der Generalstaatsanwalt in Nairobi. Wir haben bis jetzt noch keine Rückmeldung, ob wir als Verteidiger dort zugelassen sind.

    Durak: Der Prozess findet in Kenia statt. Sie wollen die Männer – und Sie haben einen Mandanten, nehme ich mal – verteidigen. Gegen wen wollen Sie denn klagen?

    Wallasch: Man muss zwei Dinge unterscheiden, also auch das, was durch die Presse jetzt geistert. Es gibt ein Zivilverfahren vor dem Landgericht Berlin, was wir angestrengt haben gegen die beteiligten Ministerien, also die beteiligten Ministerien, die entschieden haben, dass mein Mandant an Kenia übergeben worden ist. Das ist das Zivilverfahren in Deutschland. Ansonsten wollen wir ganz normal, wie es ein Strafverteidiger tut im Rahmen der Hauptverhandlung, die in Kenia angesetzt ist, die Rechte unserer Mandanten wahren. Also dort haben wir einen Verteidigerauftrag.

    Durak: Noch mal zum Unterschied: Dieses Zivilverfahren in Deutschland, was Sie anstrengen, das ist das, worüber wir, die Medien, immer berichten, somalische Piraten wollen die Bundesregierung verklagen?

    Wallasch: Ganz genau, das ist ein Zivilverfahren, das sind Amtshaftungsansprüche, die wir geltend machen gegenüber den beteiligten Ministerien. Das hat erst mal mit dem Verfahren in Kenia wenig zu tun.

    Durak: Was passiert in Kenia bei dem Prozess?

    Wallasch: Es wird eine Hauptverhandlung geben. Wir können derzeit noch gar nicht sagen, wer zu dieser Hauptverhandlung beispielsweise als Zeuge kommt. Wir haben keinen Ladungsplan, wir wissen also nicht, was am 22. tatsächlich durch das Magistrate Court in Mombasa geplant ist. Mutmaßlich wird es so sein, da die Fregatte Rheinland-Pfalz in Mombasa vor Ort ist, dass die beteiligten Bundesmarinesoldaten als Zeugen vernommen werden. Wir wissen nicht, ob der Kapitän des angegriffenen Schiffes als Zeuge zur Verfügung steht. Das sind also im Augenblick noch viele Fragen, die wir auch haben.

    Durak: Haben Sie Vorwürfe gegenüber den Soldaten der Fregatte?

    Wallasch: Also das ist ja auch etwas, was durch die Medien geistert. Vorwürfe kann man das vielleicht gar nicht nennen. Es ist ein bisschen unglücklich, dass wichtige Beweismittel, also die Waffen, die an Bord des Schiffes gefunden worden sind, was aufgegriffen worden ist, dass die Waffen im Indischen Ozean gelandet sind. Das ist sicherlich für ein Strafverfahren, was dort unten geführt wird, kein besonders glücklicher Umstand.

    Durak: Glauben Sie denn, dass die Bundeswehrsoldaten die Waffen ins Meer geschmissen haben?

    Wallasch: Das ist sicher und erwiesen, also es ist tatsächlich so, dass die Bundeswehrsoldaten der Fregatte zur Eigensicherung, so ist es begründet worden, die Waffen ins Meer geworfen haben.

    Durak: Das wäre ja ein anderer Fall, als wenn man die einfach dann entsorgt hätte.

    Wallasch: Ja, ja, also die Begründung der Bundeswehr und der Bundesmarine war, dass man Eigensicherung betreiben wollte.

    Durak: Herr Wallasch, was werfen Sie nun sozusagen der Bundesregierung vor, wenn es um das Zivilverfahren in Deutschland geht?

    Wallasch: Die Bundesministerien, die entschieden haben, dass mein Mandant an Kenia übergeben worden ist, haben aus unserer Sicht nicht bedacht, dass dort ein rechtsstaatliches Verfahren möglicherweise gar nicht möglich ist. Es ist mir auch wichtig, im Rahmen dieses Gespräches deutlich zu machen, wir haben nichts gegen Strafverfolgung. Also wenn in einem rechtsstaatlichen Verfahren mutmaßliche Kriminelle oder Kriminelle dann verurteilt werden, ist das völlig in Ordnung. Ich betreibe Strafverteidigung seit langer Zeit, beschäftige mich nur mit Strafverteidigung. Das ist ein völlig normaler Vorgang, wenn kriminelle Handlungen begangen worden sind, dass dann eine Strafverfolgung folgt. Was wir den beteiligten Ministerien vorwerfen, ist, dass man sozusagen blauäugig gedacht hat, dass in Kenia ein rechtsstaatliches Verfahren so einfach möglich ist unter den Voraussetzungen, die da im Vertrag festgelegt worden sind. Und wir denken, dass das eben nicht der Fall ist.

    Durak: Ist das dann nicht eigentlich eine andere Ebene, auf der Sie sich bewegen?

    Wallasch: Andere Ebene, also es ist tatsächlich so, dass wir versuchen, das Vertragswerk, was zwischen der EU und Kenia abgeschlossen ist, was ja lediglich ein Papier ist, wir versuchen herauszufinden und haben gehörige Zweifel, dass dieses Papier mit Inhalt gefüllt werden kann, also dass dieses Papier den Inhalt, den es auf diesem Papier hat, dass dieser Inhalt dann auch in dem Strafverfahren sich bewahrheiten wird.

    Durak: Das heißt, Sie nutzen den Fall und die Person Ihres Mandanten, um diesen Vertrag zu prüfen?

    Wallasch: Mein Mandant hat durch die Übergabe nunmehr die Situation, dass er sich in einem Strafverfahren in Kenia befindet. Und dieses Strafverfahren soll unter bestimmten Voraussetzungen ablaufen, so ist es durch Kenia zugesichert worden. Und es ist nicht ein Überprüfen des Vertragswerks, sondern es ist eine Überprüfung des fairen Verfahrens dort, also ob das rechtsstaatkonform ablaufen kann.

    Durak: Wären da nicht andere Gremien besser zuständig, um das zu prüfen?

    Wallasch: Mein Mandant ist ja der Betroffene. Also mein Mandant ist derjenige, der sich jetzt in einem Gefängnis befindet, was menschenunwürdige Haftbedingungen mit sich bringt. Mein Mandant ist derjenige, der sich in einem Verfahren möglicherweise ohne Verteidiger verteidigen muss, die Beweismittel nicht zu Gesicht bekommt. Also er ist derjenige, der durch das Vertragswerk betroffen ist. Also müssen wir das in diesem Verfahren prüfen.

    Durak: Was kann Deutschland für die Haftbedingungen in Kenia?

    Wallasch: Deutschland hat letztendlich entschieden, dass diese Beschuldigten an Kenia übergeben worden sind, und hat entschieden, dass die Mandanten, also unsere Mandanten, in diese Gefängnisse zugeführt werden, unter der Voraussetzung, dass – und so ist es im Vertragswerk festgelegt – europäische Mindeststandards eingehalten werden. Deutschland hat also zunächst mal ein Gewahrsamsverhältnis begründet an dem Beschuldigten und hat dieses dann aufgegeben zugunsten oder zum Nachteil einer Haft in Kenia. Und deswegen ist Deutschland dafür auch verantwortlich.

    Durak: Und Sie und die anderen Anwälte bezweifeln, dass die Haftbedingungen in Kenia dem entsprechen, was versprochen wurde?

    Wallasch: Das ist richtig, ganz genau. Also es ist so, dass die Haftbedingungen dort katastrophal sind, es gibt keine medizinische Versorgung oder nur eine sehr geringe medizinische Versorgung. 50 Prozent der Gefängnisinsassen leiden unter Tuberkulose oder Hautinfektionen. Also das ist das, was wir wirklich im Vordergrund auch unserer Argumentation sehen.

    Durak: Wäre dann aber nicht eine Anklage gegen Kenia angebracht?

    Wallasch: Nein, weil letztendlich die Bundesrepublik Deutschland als erster Zugriffsstaat die Verantwortung gehabt hat. Es ist ja so, dass Deutschland die Möglichkeit gehabt hätte, durch das Ermittlungsverfahren in Hamburg, diese Beschuldigten auch in Deutschland vor Gericht zu stellen. Es gab immerhin einen Haftbefehl des Amtsgerichts Hamburg. Es gibt eine 500 Seiten dicke Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Hamburg. Also das erste Gewahrsamsverhältnis war in der Bundesrepublik Deutschland begründet. Die Fregatte ist deutscher Boden, und deswegen hat die Bundesrepublik Deutschland zunächst mal den ersten Zugriff gehabt.

    Durak: Wir hatten ja heute Morgen auch eine Meldung im Programm, wonach ein somalischer Seeräuber, sage ich mal, in den USA vor Gericht gestellt wird, weil er auch von Amerikanern aufgegriffen wurde. Dort wird also anders gehandelt. Aber Herr Wallasch, eins ist schon klar: Die mutmaßlichen Seeräuber sind Kriminelle, wenn sie Geiseln nehmen, wenn sie erpressen, wenn sie Menschen verschleppen?

    Wallasch: Noch mal, das ist mir absolut wichtig: Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn Kriminelle in einem rechtsstaatlichen Verfahren zu einer Verurteilung gelangen. Das ist für mich gar kein Problem. Das Problem ist, dass man innerhalb der EU noch nicht mal eine einheitliche Linie geschaffen hat. Wir haben Frankreich – das ist gestern auch durch die Presse gegangen –, Frankreich nimmt sich der Piraten selber im eigenen Land an, dasselbe gilt für die Niederlande. Also das ist eine Linie, die innerhalb der EU noch nicht mal abgestimmt ist.

    Durak: Könnte es sein, dass es innerhalb von Deutschland politisch andere Entscheidungen gibt, wenn dieses noch mehr öffentlich ventiliert wird? Was denken Sie?

    Wallasch: Es ist ja so, dass die Politik in Berlin auch jetzt schon darüber diskutiert, ob möglicherweise ein internationaler Gerichtshof das bessere Mittel der Wahl wäre. Ein solcher internationaler Gerichtshof würde allerdings sehr, sehr lange auf sich warten. Also ich denke, wenn das Verfahren in Kenia, was im Augenblick auch beobachtet wird – das muss man ja sagen, also Jürgen Trittin von den Grünen will sich dort unten vor Ort ja auch informieren –, wenn das Verfahren nicht rechtsstaatlich ablaufen soll und wird, dann wird man sicherlich in Berlin auch darüber nachdenken, ob es andere Alternativen gibt.

    Durak: Oliver Wallasch, einer der deutschen Anwälte somalischer potenzieller, nein, mutmaßlicher, nicht potenzieller, mutmaßlicher Piraten, die von der Fregatte Rheinland-Pfalz festgenommen worden sind. Herr Wallasch, besten Dank für das Gespräch!

    Wallasch: Danke!