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Sonderrechte für das Sondersystem Sport

Vom "Liebling Schweiz" war in diesen Tagen oft die Rede. Drei Dutzend Weltverbände des Sports sind dort steuerfrei gestellt, Funktionäre können nicht wegen Bestechlichkeit verfolgt werden. Allerdings: Auch hierzulande darf der Geschäftszweig Spitzensport Sonderstatus beanspruchen.

Von Grit Hartmann | 05.12.2010
    Am Mittwoch im Deutschen Bundestag. Das Thema der Anhörung im Sportausschuss klingt kompliziert: "Steuerliche und rechtliche Fragen im Zusammenhang mit Sportsponsoring und Hospitality-Angeboten". Es geht um ein Urteil des Bundesgerichtshofes zum früheren EnBW-Chef Utz Claassen. Während der Fußball-WM 2006 hatte Claassen Politiker mit Tickets für die VIP-Loge des Energiekonzerns beglückt. Ein Bestechungsversuch konnte nicht nachgewiesen werden. Aber der BGH stellte die Grenzen solcher Vorteilsgewährungen für Amts- und Mandatsträger klar. Eine gute Sache? Nicht für den Sportausschuss. Tenor der Anhörung: Besuchen in den VIP-Logen der Profiligen ist quasi ein Riegel vorgeschoben. Sponsoren ziehen sich zurück, die Ligen geraten ans Existenzminimum. Als Experten hat der Sportausschuss fast nur Sponsoren- und Liga-Vertreter geladen. Ausnahme: Peter Heermann von der Universität Bayreuth. Der Jura-Professor wunderte sich über die Richterschelte:

    "Wie so etwas zustande kommt, darüber kann ich jetzt auch nur spekulieren. Ich weiß allerdings, dass die Sponsoring-Branche sich schon sehr lange unzufrieden, also seit dem Utz-Claassen-Urteil unzufrieden mit der Rechtslage erklärt hat und versucht hat, auch auf politischer Ebene ins Gespräch zu kommen. Und der Lobbyismus der Sponsoring-Branche hat bisher recht gut funktioniert. Man hat die Politik sensibilisiert. Nun fragt man nach konkreten Beispielen, und über das, was es an allgemeinen Gutachten von Deloitte zum Beispiel dazu gibt – mehr wurde auch nicht vorgetragen."

    Tatsächlich liegt kaum Konkretes vor zur angeblichen Verödung der VIP-Logen. Nach der Anhörung verbreitet der Sportausschuss trotzdem Untergangsstimmung. Die einzige Expertise, die in der Pressemitteilung unerwähnt bleibt, ist die mäßigende: die von Heermann.

    Nur ein Beispiel dafür, dass auch Politiker Sonderrechte für das Sondersystem Sport für selbstverständlich halten – selbst dort, wo dieses profan unternehmerisch agiert. Erst Ende Oktober bescherte der Bund dem Profifußball ein dickes Steuergeschenk: Leiht ein ausländischer Verein einen Bundesliga-Kicker aus, fließt aus den Einnahmen künftig nichts mehr in die Staatskasse. Ein Millionendeal – dem Sportausschuss, dem viele Verbandsfunktionäre angehören, war die fragwürdige Alimentierung in Zeiten des Sparhaushaltes nicht einmal eine Erörterung wert.

    "Weiche Korruption" nennen Experten solche Vergünstigungen. Politiker, ganz legal Geber, sind ebenso legal Nehmer. Sportverbände suggerieren, dass sie ein riesiges Wählerpotenzial mobilisieren könnten. Dafür lassen sie sich mit Repräsentationsaufgaben beladen, von denen Politiker im Erfolgs-, sprich Medaillenfall, profitieren. In diesem Geflecht sind auch rechtswidrige Verträge kein Störfaktor. Jura-Professor Heermann prüfte für die bayerischen Grünen den Host-City-Vertrag für München 2018. Er entdeckte mehrere Zusagen ans IOC, die mit deutschen Gesetzen inkompatibel sind. Sie betreffen Urheberrechte oder Werbung.

    "Sie können sich verpflichten, mir den Eiffelturm zu verkaufen. Nur, ob Sie dieser Verpflichtung erfüllen können, das steht auf einem anderen Blatt. So kann man sich als Vertragspartner natürlich dazu verpflichten, dass gewisse steuerliche Vergünstigen für den Sportverband gelten. Allein, es liegt nicht in der Hand des Vertragspartners, darüber zu befinden, ob Steuerermäßigungen ausgesprochen werden können, Einreiserleichterungen ausgesprochen werden ..."

    Als akzeptabel gilt ebenso, dass die Herren der Ringe sich vorbehalten, welchen Anteil ihrer Marketingeinnahmen sie an den Gastgeber zahlen:

    "Und hierzu sagt der Vertrag, es steht im freien Ermessen des IOC, ob und wie viel aus diesen Erlösen letztendlich an die gastgebende Stadt, das NOK und das OK angeführt wird. Das ist also eine große Unbekannte. Wenn man als nüchterner Jurist an den Buchstaben der Vertrages festhält, weiß man bis zuletzt nicht, ob und in welcher Höhe man daran partizipiert."

    Für dergleichen existiert im Geschäftsverkehr die Vokabel "Sittenwidrigkeit". Heermann formuliert im Konjunktiv:

    "Wenn einem Vertragspartner mehr oder weniger Pflichten aufoktroyiert werden, die über das Übliche, über den üblichen Standard hinausgehen, dann könnte man sich Gedanken darüber machen, ob hier der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorliegt. Wenn aber ein attraktives Produkt vorhanden ist, dass man unbedingt haben will, so ist auch im üblichen Geschäftsverkehr der Geschäftspartner bereit, so manche Kröte zu schlucken."

    Das Produkt scheint mit dem FIFA-Korruptionsskandal und den WM-Vergaben nicht weniger attraktiv geworden. Was es sagt, dass nun drei IOC-Mitglieder im Verdacht der Bestechlichkeit stehen - das fragen deutsche Politiker in Zeiten der München-Mission lieber nicht. Mit dem belasteten Lamine Diack, dem Präsidenten des Leichtathletik-Weltverbandes aus dem Senegal, pflegt IOC-Kollege Thomas Bach bekannt gute Beziehungen. Diacks Heimat-NOK gehört zu dem Dutzend, mit denen der DOSB Kooperationsverträge geschlossen hat. Die Kanzlerin tat kürzlich zum Wohle Münchens kund, es sei ihr "eine Ehre", vor IOC-Mitgliedern wie Diack zu sprechen.

    "Dies verbinde ich mit meinem Dank für Ihr großartiges Wirken. Denn gemeinsam helfen Sie mit, über die vielfältigen Bande des Sports die Völker und Länder der Welt einander näher zu bringen. Toleranz und Weltoffenheit, die Wertorientierung im Sport hat Vorbildcharakter für jede Gesellschaft."

    Fazit: Man kann in der Schweiz nachfragen, was die Korruptionskultur im globalen Milliardengeschäft Sport befördert. Man kann aber auch in Berlin fragen.