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Sonderwirtschaftszonen in Polen (4/5)
Minutenpausen und Niedriglöhne

Die Konditionen für ausländische Investoren sind in den polnischen Sonderwirtschaftszonen hervorragend – die für gewöhnliche Arbeiter nicht. Die Beschäftigten des Toyota-Werks in Walbrzych haben sich an die harten Bedingungen gewöhnt – und fordern dennoch endlich angemessene Bezahlung.

Von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster | 09.08.2018
    Das Toyota Motoren- und Getriebewerk im polnischen Waldenburg (Walbrzych)
    Das Toyota Motoren- und Getriebewerk im polnischen Walbrzych: An einen getakteten Acht-Stunden-Tag mit kurzen Pausen haben die Arbeiter sich gewöhnt (picture alliance/ dpa/ Arno burgi)
    Kräftige Hände greifen nach einem massiven Holztisch, heben ihn hoch und tragen ihn unter den großen, weißen Sonnenschirm mit der roten Tyskie-Bier-Reklame. Dann sind die schweren Metallstühle an der Reihe. Auch sie werden in den Schatten geschoben, hier auf der Sonnenterrasse hinter der Bar Apropos in Walbrzych.
    Den Treffpunkt haben die Arbeiter vorgeschlagen. Die Terrasse liegt uneinsehbar hinter dem Haus. Und am frühen Nachmittag ist kaum etwas los.
    "Das ist viel besser" sagt einer. Dann lassen sich alle im Schatten nieder, bestellen stilles Wasser mit Zitronenschnitzen. Die Männer sind Mitte 30, Anfang 40 Jahre alt. An ihren Gürteln baumeln weiße Plastikkärtchen. "Toyota" ist darauf zu lesen. Die fünf kommen direkt von der Schicht. Slawomir Bielakiewicz, klein, drahtig, im weißen Hemd, unter dem die Muskeln spannen, zieht ein silbrig-glänzendes Aufnahmegerät hervor. Schiebt es auf den Tisch zwischen die Gläser:
    "Wir haben unsere Erfahrungn mit den Medien gemacht", sagt Slawomir Bielakiewicz, "wenn Zitate aus dem Kontext gerissen werden, müssen wir bei Toyota Rede und Antwort stehen." Und er bittet um Verständnis: Nur er als offizieller Vertreter der Gewerkschaft Solidarnosc tritt mit vollem Namen auf. Die anderen vier möchten anonym bleiben.
    Acht Minuten Pause
    Zwischen 11 und 13 Jahre arbeiten sie alle bei Toyota. "Drei von uns stehen am Band", erzählt ein blonder Hüne im blauen Sport-Shirt:
    "Wir fangen morgens um fünf vor sechs an. Dann haben wir ein kurzes Meeting. Dann arbeiten wir zwei Stunden, dann haben wir acht Minuten Pause. Insgesamt haben wir drei Pausen pro Schicht. Die erste beträgt acht Minuten, die zweite 20 Minuten und die letzte Pause beträgt dann sieben Minuten."
    An einen getakteten Acht-Stunden-Tag mit kurzen Pausen haben sie sich gewöhnt. Genauso wie an die japanischen Umgangsformen: An "Kaizen", die kontinuierliche Verbesserung der eigenen Tätigkeit, an die Bestätigung "Josh" und an "Yamazumi":
    "Yamazumi - das ist eine Art Plan", erklärt Gewerkschafter Slawomir. Ein Arbeitsplan, der alle Details exakt festlegt. Ein Kollege verdreht die Augen, die anderen grinsen, zucken mit den Schultern, signalisieren: Haben wir im Griff. Sie treiben andere Sorgen um.
    "Es ist nicht mehr so, dass ein Anfang 20-Jähriger, unverheiratet, ohne Familie, bei der Firma anheuert, um sich ein bisschen Geld für ein neues Auto zu verdienen. Das Durchschnittsalter der Beschäftigten liegt heute bei etwas über 40, da sind die Erwartungen andere. Es geht nicht nur um einen sicheren Job, wir möchten angemessen bezahlt werden für unsere Leistung."
    Der polnische Mindestlohn liegt bei 340 Euro
    In den Fabriken der polnischen Sonderwirtschaftszonen wird geschuftet und geschwitzt wie im Westen. Nur gezahlt wird deutlich weniger. Was genau sie verdienen? Slawomir Bielakiewicz schüttelt den Kopf: "Die Gehälter unterliegen der Verschwiegenheitsvereinbarung mit dem Konzern", sagt er. Fügt dann aber hinzu: Man könne davon ausgehen, dass ein Produktionsarbeiter nach Abzug der Sozialabgaben im Schnitt zwischen 2.500 und 3.000 Zloty netto verdiene, also umgerechnet zwischen 625 und 750 Euro. Zum Vergleich: Der polnische Netto-Mindestlohn liegt bei 1430 Zloty oder 340 Euro.
    Dabei hat Toyota in den letzten zwei Jahren schon mächtig draufgelegt, erzählt einer der Arbeiter. Es gab eine Gehaltserhöhung um rund 600 Zloty, also 150 Euro. Natürlich kam das nicht von ungefähr, sagt Gewerkschafter Slawomir:
    "Wir wären jetzt nicht hier und könnten davon erzählen, dass es besser geworden ist, wenn Adrian Hirsz nicht gewesen wäre. Es ist tatsächlich vieles besser geworden als noch vor zwei, drei Jahren vor allem wegen der Berichte in der "Gazeta Wyborcza". Und ich vermute, auch der Managementwechsel hat damit zu tun."
    Verbesserungen erkämpft
    Adrian Hirsz kennt jeder hier in der Runde. Der ehemalige Toyota-Arbeiter und Solidarnosc-Aktivist hatte erst aufgeschrieben und dann ausgepackt, zunächst anonym. Ein Artikel in der linksliberalen Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" sorgte für Schlagzeilen. Es ging um hohes Arbeitstempo, kurze Pausen, krankmachende Dämpfe und befristete Verträge. Am Ende waren Arbeiter und Gewerkschaft erfolgreich. Seitdem läuft vieles besser, sagt Slawomir Bielakiewicz - zumindest im Toyota-Werk:
    "Aber in anderen Firmen in der Sonderwirtschaftszone werden neue Mitarbeiter teilweise dazu gezwungen zu unterschreiben, dass sie keine Gewerkschafts-Vertretung im Betrieb gründen werden. Das verstößt natürlich gegen das polnische Recht."
    Solche und andere Verstöße sind an der Tageordnung. Trotzdem will Gewerkschafter Bielakiewicz die Sonderwirtschaftszonen nicht generell verurteilen.
    "Die Frage ist, wie bewegt man die Unternehmen dazu, sich ans Gesetz zu halten? Nur weil die Firmen hier im Land Profit machen, dürfen sie nicht damit durchkommen, so eine Art Arbeitslager zu errichten."
    "Die Sonderwirtschaftszone hier wurde früher als Sonder-Ausbeutungs-Zone bezeichnet", wirft einer der Arbeiter ein. "Polen wird immer noch als Billiglohnland betrachtet. Warum werden solche Zonen nicht in Schweden oder in Norwegen eröffnet?" will ein anderer wissen. Die Kellnerin kommt, fragt, ob sie noch etwas zu trinken bringen kann. Alle fünf schütteln dankend den Kopf. "Wir brauchen ja nicht viel", sagt Slawomir ironisch.