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Sonne contra CO2

Die Stimmen derer, die die Folgen des Klimawandels in Frage stellen, blieben in Deutschland bis dato weitgehend ungehört. Jetzt schlüpft der frühere Umweltsenator Hamburgs, Fritz Vahrenholt, in diese Rolle. Er und Koautor Sebastian Lüning erregen mit "Die kalte Sonne" so manche Gemüter.

Von Georg Ehring | 13.02.2012
    Nein, ganz unschuldig am Klimawandel ist das Kohlendioxid auch für Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning nicht. Aber im Unterschied zu fast der gesamten Klimawissenschaft spielt es für die Autoren der "kalten Sonne" nur eine Nebenrolle bei der Erderwärmung:

    "Wir sind weit davon entfernt, zu behaupten, dass CO2 keinen Einfluss auf das heutige Klimageschehen hätte. Jedoch können wir zeigen, dass mindestens die Hälfte der Erwärmung der letzten vierzig Jahre dem Einfluss der Sonne sowie zyklischen ozeanischen Oszillationen der Weltmeere geschuldet ist. CO2 könnte für die andere Hälfte der Erwärmung verantwortlich sein, möglicherweise ist der Anteil aber noch geringer."

    In dem Buch selbst steht die Sonne im Mittelpunkt: Ihre Aktivität schwankt in Zyklen, und die Erde nimmt durch die Neigung und Veränderung ihrer Achse die Sonnenstrahlen mal mehr, mal weniger auf. Dies spielt eine große Rolle beim steten Wechsel von Kalt- und Warmzeiten, auch der Klimawandel der vergangenen Jahrhunderte und Jahrtausende folgt teilweise dem Wechselspiel der Sonnenaktivität - wenn er nicht durch andere Störungen wie Vulkanausbrüche aus dem Takt gebracht wird. All diese natürlichen Faktoren sind unbestritten, doch nach weit überwiegender Ansicht der Klimaforschung ist ihr Einfluss seit der Industrialisierung in den Hintergrund getreten: Spätestens seit den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts lässt sich der Trend zu immer höheren Temperaturen nicht mehr mit natürlichen Faktoren erklären, wohl aber damit, dass die Konzentration der Treibhausgase immer weiter ansteigt - vor allem Kohlendioxid CO2. Und der Trend hält an – es wird immer wärmer auf der Erde. Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends war mit Abstand das wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen - auch wenn Vahrenholt und Lüning behaupten, der Anstieg der Temperaturen sei vorbei:

    "Seit der Jahrtausendwende zeigt sich immer klarer, dass die simple CO2-Gleichung für das Klima nicht mehr aufgeht. Trotz weiter wachsender CO2-Emissionen sind die Temperaturen seit 13 Jahren nicht mehr angestiegen. Die Sonne schwächelt und zeigt ihre kalte Seite, und die Pazifische Dekaden-Oszillation - sie beschreibt die Abwechslung von Warm- und Kaltwassergebieten im nördlichen Pazifischen Ozean - tut ihr Übriges."

    Der Trick bei dieser unter Klimawandel-Skeptikern sehr verbreiteten Interpretation ist die Wahl des Anfangszeitpunkts: Die Autoren wählen in ihrem Schaubild das Jahr 2001 also ein ziemlich warmes Jahr. Weil die Betrachtung einer kurzen Zeitreihe von nur einem Jahrzehnt leicht einen falschen Eindruck ergibt, sprechen die Klimawissenschaften erst bei Zeitreihen von mindestens 30 Jahren von einem Trend. Bei Vahrenholt und Lüning hat man den Eindruck, dass die Irreführung gewollt ist. In dem Buch finden sich viele Beispiele offensichtlich selektiver Darstellung. Der Leser erfährt nicht, dass es sich bei den vorgestellten Theorien oft um Positionen von wissenschaftlichen Außenseitern handelt. Stellenweise verwechseln die Autoren die wissenschaftliche Debatte mit dem Kampf von Gut gegen Böse - und wie im wirklichen Krimi soll der Leser schon ahnen, dass das Gute am Ende triumphiert und die Sonne den ihr gebührenden Platz in den Klimamodellen erhalten wird:

    "Die genauen physikalischen Abläufe der Solarverstärker sind selbstverständlich noch lange nicht vollständig verstanden, werden aber derzeit intensiv erforscht. Die Front der Forschung rückt stetig voran, und fast monatlich erscheinen neue wichtige Forschungsergebnisse, die weitere Mosaiksteinchen hinzufügen."

    Scharf kritisiert wird dagegen der Weltklimarat IPCC, der solaren Zyklen nur einen geringen Einfluss auf den aktuellen Klimawandel zubilligt.

    "Der Weltklimarat verschanzt sich regelrecht hinter der 0,1 Prozent-Mauer des solaren 11-Jahres-Schwabe-Zyklus und lässt die Klimawirksamkeit der Sonne im Rennen der verschiedenen Klimasteuerungsfaktoren kläglich unter "ferner liefen" verhungern."

    Der IPCC erscheint als Festung von Fanatikern, die an überholten Theorien festhalten und daraus Prognosen für die Zukunft ableiten, ohne die vielen Wissenslücken in Bezug auf das Klima zu beachten. Dabei ist der IPCC mit seinen Prognosen durchaus vorsichtig, schließlich gibt es genug Unwägbarkeiten. Vahrenholt und Lüning kennen solche Vorsicht nicht, sie wagen den Blick in die Zukunft und trauen sich sogar eine Prognose für die nächsten 25 Jahre zu, die bis auf Zehntelgrade genau sein soll:

    "Unter Berücksichtigung der wichtigsten natürlichen und anthropogenen Klimafaktoren ist daher unterm Strich in 25 Jahren mit einer leichten globalen Abkühlung um 0,2 bis 0,3 Grad Celsius gegenüber heute zu rechnen."

    Was darauf folge, so prophezeien es die Autoren weiter, sei ein Wiederanstieg der Temperaturen, allerdings sicher um weniger als zwei Grad bis zum Ende des Jahrhunderts. Diese Höchstmarke hat sich die Weltgemeinschaft gesetzt, um einen katastrophalen Klimawandel abzuwenden. Viele Wissenschaftler halten das Ziel für kaum noch erreichbar. Vahrenholt und Lüning halten dagegen Klimaschutz-Anstrengungen für überflüssig, weil die Erwärmung ohnehin geringer ausfallen werde. Dass der IPCC dies anders sieht, liegt für sie auch an den vielen politisch motivierten Umwelt-Aktivisten, die darin vertreten seien - eine strikte Trennung von Wissenschaft und Politik sei erforderlich, um diesen Zustand zu ändern. Diese Forderung hindert die Autoren allerdings nicht daran, das Buch mit einer energiepolitischen Agenda zu schließen:

    Die Energiewende sei klimapolitisch überflüssig. Deutschland könne sich durchaus Zeit lassen, erneuerbare Energien einzuführen. Den Arbeitgeber von Vahrenholt und Lüning wird das gefreut haben - der RWE-Konzern setzt weiter auf fossile Energieträger. Andere Energiekonzerne sind bei den erneuerbaren Energien schon deutlich weiter. RWE-Chef Jürgen Großmann soll von einem Vorab-Exemplar so begeistert gewesen sein, dass er das Werk in einer Nacht verschlungen hat. Wer erfahren will, was sich wirklich hinter dem Klimawandel verbirgt, braucht "Die Kalte Sonne" dagegen nicht. Das Buch bietet keine seriöse Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern eine vorgefasste Meinung voller Verschwörungstheorien, Scheuklappen und Vorurteile - und das außerdem mit vielen Fehlern und Irreführungen im Detail. Das alles macht die Lektüre ärgerlich.

    Fritz Vahrenholt/Sebastian Lüning: "Die kalte Sonne. Warum die Klimakatastrophe nicht stattfindet."
    Verlag Hoffmann und Campe,
    444 Seiten, 24,99 Euro
    ISBN: 978-3-455-50250-3