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Sophie Passmann
"Alte Weiße Männer"

Er gilt als Inkarnation des ewig Gestrigen. Der "alte weiße Mann" ist ein klassisches Feindbild, das sich im Sprachgebrauch verselbständigt hat. Die Feministin Sophie Passmann versucht, dem Feindbild auf den Grund zu gehen, im direkten Gespräch.

Von Änne Seidel | 25.03.2019
Sophie Passmann
Sophie Passmann: "Alte Weiße Männer" (KiWi, Anika Fußwinkel / WDR / 1Live)
Sophie Passmann hat es sich im Internet gemütlich gemacht. Sie lebt, wie sie sagt, in einer sorgfältig kuratierten Filterblase, in der sie nicht erklären muss, warum "die Länge von Röcken nicht schuld ist an Vergewaltigungen". Für einen Sommer hat sie diese Komfortzone verlassen, um in der echten Welt mit mächtigen Männern über Feminismus zu reden. Mit Männern, die den öffentlichen Diskurs prägen - Politikern, Journalisten, Kabarettisten.
Die Auswahl der Gesprächspartner allerdings überrascht: Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert ist dabei oder auch der Blogger und Autor Sascha Lobo. Die sind zwar beide weiß und männlich, als "alt" gehen sie aber nicht unbedingt durch. Sophie Passmann hat sich bewusst entschieden, nicht nur die Männer anzufragen, die einem beim Stichwort "alter weißer Mann" auf Anhieb einfallen würden:
"Man darf auch nicht vergessen: Die leben natürlich davon, dass die Öffentlichkeit ein gewisses Bild von ihnen hat. Und da fand ich es viel spannender, diesen Platz zu nutzen, um Männer zu treffen, die so eine Art Grauzone sind, oder die nicht so doll sind in ihren Ansichten, um so ein paar Feinheiten herauszuarbeiten, statt mir eine Stunde lang Plattitüden anzuhören, die eigentlich nur dem Mann und seiner eigenen Karriere nutzen."
Das war eine kluge Entscheidung, denn so rutscht das Buch nicht ab ins Klischee. Keiner der Männer, mit denen Passmann gesprochen hat, lehnt die Gleichberechtigung ab, alle sind dafür. Wenn Mann die Gleichberechtigung aber will, warum ist sie dann noch immer nicht Realität in Deutschland?
Männer entlarven sich selbst
Passmann setzt also an, wo es wirklich weh tut, ohne eine abschließende Antwort auf diese Frage zu geben. Das Buch ist weder eine wissenschaftliche Abhandlung, noch ein feministisches Manifest. Es sind kurzweilige, provokante, oft ironische Texte, in denen sich die Männer durch ihre Aussagen nicht selten selbst entlarven. Zum Beispiel wenn sich "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt damit brüstet, bereits elf Ressortleiterinnen bestellt zu haben - und das unter anderem damit begründet, dass er keine Lust habe, in Meetings nur in "Männervisagen" zu schauen.
In anderen Fällen hilft die Autorin nach, indem sie die Zitate ihrer Gesprächspartner um eigene Gedanken ergänzt. Wenn etwa der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt schuldbewusst einräumt, dass er seine Frau die Hausarbeit machen lässt, findet sie das zwar irgendwie sympathisch, stellt dann aber klar:
"Spätestens dann, wenn man versucht, die großen Krisen der Gesellschaft zu lösen, Sexismus zum Beispiel, nützt die argumentative Selbstgeißelung [...] nicht der Sache. [...] Patzelt ist vielleicht kein Vorzeige-Sexist, er ist aber in jedem Falle sehr bequem. Wenn also der Feminismus von ihm verlangt, beim Abwasch zu helfen, weil auch Frauen Menschen sind, scheint er recht lustlos. Wenn er aber einen Job nicht bekommen würde wegen der Frauenquote, ist er nicht abgeneigt. Wohlwollender kann man auch sagen, Patzelt will erst die großen Probleme lösen, ehe er zu Hause auch mal durchfegt."
Wer also ist ein "alter weißer Mann" - und wer nicht? Auch hier liefert das Buch keine abschließende Definition, aber Denkanstöße: Alte weiße Männer genießen auf Grund von Hautfarbe und Geschlecht gewisse Privilegien, wollen sich das aber nicht eingestehen und verhindern so Wandel und Fortschritt. Es ist keine Frage des Alters, aber eine des Verhaltens:
"Eine Sache, die dem alten weißen Mann immer zu Grunde liegt, ist, dass das Gegenüber, das ihn als alten weißen Mann bezeichnet, sich nicht wohl fühlt. Man fühlt sich herabgesetzt, man fühlt sich nicht ernst genommen, man fühlt sich jovial belächelt. Und es war meine Aufgabe, all diese Dinge textlich und literarisch herauszuarbeiten."
Die Machtfrage auf charmante Art
Das gelingt der Autorin. Die Beschreibungen des Gegenübers und der Gesprächssituationen sind brillant, und oft sehr komisch - sie machen das Buch so lesenswert, denn sie richten den Blick auf Nuancen, die immer noch gerne übersehen werden. Mehrfach missachten Passmanns Gesprächspartner grundlegende Regeln der Höflichkeit, unterbrechen die Autorin - oder lassen sie warten.
"Diekmann erbittet sich noch 'zwei Social-Media-Minuten' bei mir, bevor wir unser Gespräch beginnen [...]. Aus den zwei Minuten werden fünfzehn, die er damit verbringt, hoch konzentriert mit leicht zusammengekniffenen Augen über das Display seines Smartphones zu wischen. Ich sitze Kai Diekmann etwas peinlich berührt schweigend gegenüber, während er Bildeffekte über die zu postenden Fotos legt, Kontraste hoch, Sättigung hoch, Helligkeit hoch, alles mehr, alles krasser, die Realität ist Diekmann nicht geil genug. Als das Internet dann endlich erfahren hat, wie sein Vormittag so war, können wir Mittagessen gehen."
Sophie Passmanns Buch "Alte weiße Männer" liefert keine neuen Thesen oder nie gehörte Argumente. Aber der Autorin gelingt ein seltenes Kunststück: Sie führt den Geschlechterkampf mit den Waffen "Humor" und "Ironie", ohne dass sie ihr wichtiges Anliegen dadurch ins Lächerliche ziehen würde. Sophie Passmann stellt die Machtfrage - aber auf die charmante Art.
Sophie Passmann: "Alte weiße Männer. Ein Schlichtungsversuch",
Kiepenheuer & Witsch, 303 Seiten, 12 Euro.