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Sophokoles "Antigone"
Maßvoll modern

Mit starken Bildern und einem homogenen Ensemble inszeniert Ivo van Hove am Luxemburger Théâtre de la Ville Sophokles Antigone. Dabei gelingt ihm eine solide Version dieser antiken Geschichte vom Widerstand der Moral gegen die Macht.

Von Michael Laages | 26.02.2015
    Juliette Binoche auf der Eröffnungsfeier der 65. Berlinale
    Juliette Binoche auf der Eröffnungsfeier der 65. Berlinale (dpa / picture alliance / Kay Nietfeld)
    Das letzte ist ein wirklich starkes Bild. Die Welt ist gerade untergegangen für Kreon, diesen antik-archaischen Monster-Potentaten mit der angemaßten Macht, Gattin, Sohn und Schwiegertochter sind tot, alle gestorben von eigener Hand, aber wie auf seinen Befehl; nun versteht er, wie fürchterlich falsch er gewütet hat, und will nicht mehr. Irgendwer soll ihn wegholen aus Theben, und sei es der Tod – aber das geht nicht. Um ihn herum beginnt das "business as usual", der Chor der Subalternen nimmt die Arbeit wieder auf an den Schreibtischen der Macht; und zur ziemlich apokalyptischen Musik von Lou Reed verwandelt sich die große Projektionswand, die Jan Versweyveld hinter Ivo van Hoves Inszenierung gesetzt hat, von unscharfen Wüsten- und Großstadtbildern zur funkelnden Nachtansicht von New York oder sonst einer Welt-Metropole. Was sagt dieses Finale? Selbst wenn die, die da irre geworden sind in und an der Macht, die eigenen Fehler erkennen, wird nichts sich zum Besseren ändern.
    Bis dahin ist eine maßvoll moderne Version dieser antiken Geschichte vom Widerstand der Moral gegen die Macht zu sehen; mit der ganz in wehendes Schwarz gewandeten Juliette Binoche im Zentrum. Aber was heißt schon "im Zentrum" ... schon das Original des Sophokles entwirft ja mehr gedanklichen Horizont für den schillernd-schlimmen König Kreon; er durchlebt den Wandel der Seele, Antigone nicht. Sie ist der Humanität verpflichtet, der familiär-schwesterlichen Menschenliebe, die kein Gesetz welcher aktuellen Macht auch immer außer Kraft setzen kann.
    Kämpferische Wortgefechte der Macht
    Klar und kraftvoll geht sie auf diesem Weg Schritt für Schritt voran, bestenfalls von Sorge darüber erfüllt, ob sie wohl nicht nur recht tun, sondern auch Recht bekommen wird, nicht im Leben, sondern vor den Göttern – so begräbt sie den von Kreon als Kriegsgegner und Rebell verfluchten Polyneikes (und verstößt so, bei Strafe des Todes, gegen geltendes Recht), und so nimmt sie danach bis zum Tod keine Hilfe mehr an. Zweifellos arbeitet sich Juliette Binoche sehr eindrucksvoll und konzentriert an dieser unerbittlichen Persönlichkeit empor, in kämpferischem Monolog wie in bitterscharfen Wortgefechten mit der Macht.
    Die neue englische Fassung von Anne Carson spitzt klug zu, verschärft den Ton – vor allem Kreons Paranoia der Macht: vor der "Anarchie" hat er Angst, wenn sein Wort nicht mehr gilt, und wer nicht denkt wie er, ist "Terrorist". Demgegenüber gewinnt auch Antigone an Klarheit und Kraft; und auch der antike Chor findet eine kluge, neue Form: geformt aus allen übrigen Figuren des Textes, Ismene und Eurydike, Haimon, Teiresias und den Boten. Hinter der Szene geht riesengroß die Sonne auf nach der Nacht, in der Antigone den toten Bruder begrub; danach kommt weiß und kalt wieder die Nacht - und das Nichts.
    Antigone ist zum Glück keine abendfüllende Solo-Heldin, sie ist nur der Impuls für die Tragödie; und so gerät diese internationale Produktion denn auch nie in Gefahr, sich zum Showcase nur für Juliette Binoche zu entwickeln. Patrick O'Kane zeigt den König im Wahn der Macht allemal auf gleicher Höhe; und überhaupt ist hier (akustisch gestützt für die sehr großen Bühnen der bevorstehenden Festival-Reisen) ein äußerst homogenes Ensemble am Werk. Das unterscheidet gutes Theater fast immer vom Kino – niemand denkt hier an Prominenz und rote Teppiche.