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Sorry mit "925"
Der Rock'n'Roll der Streaming-Ära

Hip-Hop regiert die Streaming-Charts. Doch wenn es ein Gesetz im Pop gibt, dann jenes, dass alles wiederkommt. Und tatsächlich greifen Kids wieder vermehrt zur Gitarre und machen damit das Auslaufmodell "Rockband" erneut salonfähig. Allerdings gehen sie dabei ganz anders als ihre Vorgänger vor.

Von Christian Lehner | 28.03.2020
Die Musiker Asah Lorenz und Louis O'Brian blicken ruhig in die Kamera. Sie sehen ein wenig müde aus.
Louis O’Bryen und Asah Lorenz von der britischen Band Sorry (Christian Lehner)
Es gibt sie noch – und es wird sie wohl immer geben – die jungen Menschen, die nicht so recht wissen, was sie wollen. "Ich will mehr, mehr, mehr", singen Asah Lorenz und Louis O’Bryen von Sorry in dem Song "More", "doch bitte gib mir nicht zu viel davon." So leidenschaftlich ambitionslos hat Rockmusik nicht mehr seit den Slacker-Tagen des Grunge, Indie- und Alternative Rock der 1990er Jahre geklungen.
Leidenschaftlich ambitionslos
Leidenschaftlich ambitionslos wirken Asah Lorenz und Louis O’Bryen auch beim Interview in Berlin. Allzu viel von sich preisgeben wollen die beiden 22-Jährigen aus dem Norden Londons nicht. Seit ihrer Mittelschulzeit sind sie dicke Freunde. Auch in den Songs wirken sie unzertrennbar. Die Texte werden gemeinsam gesungen, wobei Lorenz im Vordergrund steht und O’Bryen ihr wie ein leiser Schatten folgt.
Asah Lorenz: "Wir mochten uns auf Anhieb wegen unserer Frisuren. Louis trug langes Haar, ich kurzes. Heute ist es umgekehrt. Damals hatte er so Strähnen."
Louis O’Bryen: "Musik war schon wichtig, das Skateboard-Fahren war aber wichtiger. Wir sind zusammen aufgewachsen, haben viel entdeckt, das verbindet uns bis heute."
Zunächst treten Lorenz und O’Bryen als Jimi-Hendrix-Coverband auf und nennen sich Fish. Bald kommt der 1990er-Jahre Sound von Nirvana und den Smashing Pumpkins als wesentlicher Einfluss dazu. Doch das Rockformat wird den beiden, die sich als Duo schließlich Sorry nennen, bald zu eng. Ihr Debütalbum "925" wartet auch mit Referenzen an Jazz, Post-Punk und New Wave auf. Sorry holen einerseits die im Pop etwas angestaubte E-Gitarre aus dem Koffer, andererseits haben Lorenz und O'Bryen keine Lust, als Retro-Truppe ins Scheinwerferlicht zu treten, so wie das Anfang der Nullerjahre noch Bands wie Interpol oder The Strokes getan haben.
Asah Lorenz: "All diese Bands hatten eine sehr starke Identität. Das war wirklich cool. Wir wollen das auch, aber wir wollen diese Identität über viele Genres ausspielen. Und auch über viele Medien. Wir drehen unsere eigenen Videos, entwerfen unser eigenes Artwork. Es geht über die Musik hinaus, nur so kann sich Kultur heute bewegen."
Keine begnadeten Selbstdarsteller
Anders als viele Gleichaltrige sind Sorry keine begnadeten Selbstdarsteller. Die für Pop-Promotion so wichtigen Social-Media-Kanäle bespielen sie nur unwillig und weil ihre Plattenfirma sie darum gebeten hat. Die Präsenz im Internet ist ihnen dennoch wichtig. Musikdienste wie SoundCloud werden mit Song-Demos geflutet. Sorry basteln audiovisuelle Mixtapes, die sie ebenfalls ins Netz stellen.
Asah Lorenz: "Am Anfang haben wir die Songs bloß hochgeladen, damit sie unsere Freunde hören können. Es gab nie die Absicht, damit Menschen aus der Industrie anzulocken. Wir sind ziemlich lausige Kommunikatoren. So konnten wir uns mitteilen, ohne den Mund aufmachen zu müssen."
Louis O’Bryen: "Heute muss man möglichst viele Kontaktpunkte schaffen im Netz, damit dich die Menschen überhaupt wahrnehmen. Die vielen Songs, die wir hochgeladen haben, sind wie ein Mixtape so wie man sie früher für Freunde gemacht hat, mit all den Lieblingssongs drauf."
"925" ist eines der besten Debütalben einer Rockband seit langer Zeit. Gekonnt verdichten Sorry ihre mittelständischen Coming-Of-Age-Dramen zu krachenden Popsongs und launigen Balladen.
Asah Lorenz: "Der Titel des Albums leitet sich von einem Gütesiegel ab. '925' ist die Kennzahl für fast reines Silber. Für uns ist es eine passende Metapher für das Ende der Jugend. Du hast es geschafft, aber es ist trotzdem nicht perfekt."
Das Digitale ist ihre gewohnte Lebenswelt
So klingt der Rock'n'Roll der Streaming-Ära. Dass die jungen Londoner in der digitalen Gesellschaft aufgewachsen sind, müssen sie nicht mehr ästhetisch mit elektronischen Sounds und Verfremdungseffekten betonen. Das Digitale ist ihre gewohnte Lebenswelt. Vielleicht greifen ja auch deshalb immer mehr junge Musikerinnen und Musiker wieder vermehrt zur guten alten Gitarre.