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SOS Kinderdorf als Luxussanierer
Münchner Mieter fühlen sich abgezockt

Eigentlich ist der gemeinnützige Verein SOS-Kinderdorf für seinen Einsatz in Dritte-Welt-Ländern bekannt. In München sorgt er aber derzeit als Hauseigentümer für Ärger. Der Verein entmietet dort offenbar ein Haus, in dem unter anderem Familien mit Kindern wohnen. Das Ziel: Luxussanierungen.

Von Susanne Lettenbauer | 24.08.2017
    Das Gebäude in München-Untergiesing. Der Verein SOS-Kinderdorf lässt hier gerade diverse Dinge sanieren.
    Der Altbau in München-Untergiesing wurde 1897 errichtet. Hier wohnen Rentner, Alleinerziehende und Familien mit Kindern. Die aktuellen Sanierungsarbeiten geschehen offenbar ohne dringende Notwendigkeit. (Deutschlandradio/Susanne Lettenbauer)
    Maximilian Heisler steht vor dem hellbraunen Mietshaus Hans-Mielich-Strasse 1A in München-Untergiesing und zeigt nach oben. Das Baugerüst rund um das vierstöckige Gebäude reicht seit einigen Wochen bis zum Dach:
    "Das da oben werden 150 Quadratmeterwohnungen, zwei bis drei ..."
    Maximilian Heisler vom Münchner Bündnis "Bezahlbares Wohnen" hat schon viele Münchner Mieter bei Mieterhöhungen beraten, aber dieser Fall sei doch unglaublich, meint er.
    "Es gab sogar zwischendrin ein Bußgeldverfahren, weil hier Baumaßnahmen begonnen wurden, die von der Landeshauptstadt gar nicht genehmigt waren."
    Heisler ist in dem Viertel aufgewachsen, beobachtet seit Jahren die Luxussanierungen im früheren Arbeiterstadtteil. Die 2015 verstorbene Alteigentümerin des hellbraunen Hauses in der Hans-Mielich-Strasse kannte man in der Nachbarschaft. Dass sie ihr Haus an daen Verein SOS-Kinderdorf vermacht hatte, erfuhren die Mieter erst, als die eine Schwabinger Edelimmobilienfirma per Aushang Baumaßnahmen ankündigte und gleich loslegte – trotz Erhaltungssatzung:
    "Mittlerweile stellt sich die Situation so dar, dass Anwälte im Namen von SOS-Kinderdorf schreiben und sagen: Hey, wir machen hier komplette, energetische Modernisierungsmaßnahmen, wir wollen euch Balkone hinmachen, wir wollen euch ein Fenster zumauern, damit wir einen Aufzug installieren können, wir möchten aber - in Klammern, weil wir wissen, dass wir das sonst nicht durchführen können – dass ihr das alle unterschreibt und zwar alle Mieter. Wenn ein Mieter nicht unterschreibt, dann bekommt ihr, nach den gesetzlichen Möglichkeiten die Mieterhöhungen und die Mieter müssen hier mit Mieterhöhungen rechnen von bis zu 300 Euro - pro Monat."
    Das Gebäude: Heimat von Familien, Rentnern, Alleinerziehenden
    Der Altbau, von dem derzeit alle Nachbarn reden, wurde 1897 errichtet. Nichts Besonderes. Ein schlichtes Eckgebäude. Heimat von Familien, Rentnern, Alleinerziehenden. Dass SOS-Kinderdorf der Neueigentümer sei, wurde anfangs positiv aufgenommen, sagt eine allein erziehende Mutter zweier Töchter, die seit elf Jahren im Haus wohnt und in der Nachbarschaft aufwuchs. Bis die erste Mieterhöhung von 15 Prozent kam.
    Wie alle Mieter will sie sich nicht öffentlich äußern aus Angst, dass sie ihre Wohnung dann gar nicht mehr halten kann. Ihr wären von SOS-Kinderdorf bereits Angebote gemacht worden, dass sie mit ihren Kindern für eine gewisse Summe aus dem Haus zieht – seitdem hilft ihr ein Anwalt, der ihr der Pfarrer von der nahen Kirche vermittelt hat.
    Beim zuständigen Bezirksausschuss von Untergiesing-Harlaching sieht man den Eigentümerwechsel äußerst kritisch. Clemens Baumgärtner, Bezirksausschussvorsitzender und selbst Anwalt, versuchte, Kontakt zur Hilfsorganisation aufzunehmen:
    "Natürlich haben wir versucht, das ist ja unsere Aufgabe, mit der Eigentümerin, der SOS-Kinderdorf Kontakt aufzunehmen. Es kam auch vereinzelt Schriftverkehr zurück, der sinngemäß so lautete: Wir müssen dafür sorgen, dass wir für die Kinder, die wir vertreten und deren Belange wir zu wahren haben, die bestmöglichste Rendite aus einem solchen Objekt zu ziehen."
    Dagegen sei ja grundsätzlich erstmal nichts zu sagen, so der CSU-Politiker. Aber bestehende Mieter mit Kindern hinauszukomplimentieren, um anderen Kindern zu helfen, das passe irgendwie nicht zusammen:
    "SOS-Kinderdorf renoviert – zumindest nach den Informationen, die wir haben - ohne Not dieses Objekt. Man könnte jetzt von Luxussanierung sprechen, das ist ein dehnbarer Begriff, aber auf jeden Fall wird dieses Gebäude umgewandelt, wird das Gebäude mit Aufzügen und Balkonen versehen, etwas, was es eigentlich nicht bräuchte."
    20 Euro pro Quadratmeter und fast sieben Euro über dem Mietspiegel
    Besonders ängstigt die Mieter erste Mietangebote, die bereits im Internet auftauchten, jetzt aber, nachdem Medien den Fall aufgreifen, wieder verschwunden sind: Da wurde eine, im Haus noch nicht existente 131 Quadratmeter-Wohnung für 2380 Euro Kalt- beziehungsweise 2630 Euro Warmmiete angeboten. Das macht satte 20 Euro pro Quadratmeter, fast sieben Euro über dem Mietspiegel in diesem Viertel.
    Aus Sicht der Münchner Zentrale vom SOS-Kinderdorf stellt sich die Situation ganz anders dar.
    "Um die Wohnungen zu erhalten und an den allgemein üblichen Standard anzupassen, sind entsprechende Arbeiten vorgenommen worden und auch in Zukunft geplant", heißt es in einer Stellungnahme für den Deutschlandfunk.
    Es seien keine Mietverhältnisse gekündigt worden, heißt es weiter. "Mögliche Mietanpassungen werden nur und ausschließlich im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben erfolgen."
    Eine erste Mietanpassung bis zur rechtlich vorgeschriebenen Obergrenze von 15 Prozent erfolgte gleich nach der Übernahme durch SOS-Kinderdorf. Weitere dürften gestaffelt folgen, befürchten die Mieter. Denn die vor zwei Jahren in München in Kraft getretene Mietpreisbremse entfällt nach umfangreichen Modernisierungen, wie sie der Anbau von Balkonen und ein neuer Aufzug bedeuten dürfte.
    Die betroffenen Mieter mit Kindern fühlen sich nur abgezockt. Sie kommunizieren nur noch per Anwalt mit dem Hilfsverein.