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Sotschi 2014
Festnahmen während der Olympiaeröffnung

Mittlerweile steht der Sport in Sotschi im Mittelpunkt, die Kritik an den Spielen und dem Gastgeberland Russland ist in den Hintergrund gerückt. Die Behörden aber gehen auch weiterhin mit aller Härte gegen Regierungskritiker vor.

Von Gesine Dornblüth | 10.02.2014
    Polizisten auf dem Olympia-Gelände von Sotschi
    Polizisten auf dem Olympia-Gelände von Sotschi (dpa/picture alliance/Michael Kappeler)
    Freitag Abend, 20:14 Uhr russischer Zeit. Während in Sotschi die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele beginnt, versuchen neun überwiegend junge Leute, auf dem Roten Platz in Moskau die russische Nationalhymne zu singen. Dazu halten sie russische Fahnen hoch und ein paar Regenbogenfähnchen, Symbol der Homosexuellenbewegung. Die Polizei nimmt die Singenden fest, kaum dass sie den Mund aufgemacht haben. Auf der Polizeiwache folgen Schläge und Erniedrigungen. Rejda Lin, Studentin und Teilnehmerin der Aktion:
    "Auf der Wache sagten sie uns, man müsse uns aus Moskau wegschaffen oder am besten gleich verbrennen. Sie nannten uns entartet, sie haben uns sexuell beleidigt und gesagt, wir sollten ihre Penisse lutschen. Später haben sie uns in eine Zelle geprügelt und mit Handschellen ans Gitter gefesselt."
    Nach vier Stunden kamen alle frei. Unter den Festgenommenen waren auch zwei Schwedinnen. Das russische Gesetz sieht vor, Ausländer, die in Russland sogenannte Propaganda für sexuelle Minderheiten machen, abzuschieben. In diesem Fall verzichteten die Behörden offenbar darauf. Doch die Festnahmen machen deutlich: Regenbogenfahnen zu zeigen, reicht aus, um in Russland Schwierigkeiten zu bekommen.
    Russlands Präsident Wladimir Putin hatte noch am Freitag versucht, das umstrittene Homophobie-Gesetz herunterzuspielen. Dem Premierminister der Niederlande sagte er in Sotschi, man solle weniger aggressiv mit dem Thema umgehen. Schon früher hatte Putin betont, Homosexuelle würden in Russland nicht diskriminiert. Lena Kostjutschenko, Organisatorin der Aktion auf dem Roten Platz, weigert sich, diese Sichtweise zu akzeptieren. Es gehe darum, sich überhaupt Gehör zu verschaffen.
    "Wir haben unsere Nationalhymne gesungen. Wir hatten keine Plakate dabei. Wir haben nichts gefordert, nur gesungen. Wir wollten zeigen, dass auch wir Teil dieses Landes sind. Auch in diesem Moment. Und dass die Olympischen Spiele auch für uns da sind."
    Für das Singen der Nationalhymne eine behördliche Genehmigung einzuholen, sei absurd. Die Studentin Rejda Lin stimmt ihr zu.
    "Unsere Verfassung sagt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Und sie garantiert allen Menschen das Recht auf freie Meinungsäußerung. Was wir gemacht haben, war legal."
    Die Festnahmen auf dem Roten Platz waren nicht die einzigen nach der Olympia-Eröffnung. Am Samstag trafen sich Dutzende Moskauer auf dem Manege-Platz am Kreml, um Solidarität mit dem unter Druck geratenen unabhängigen Fernsehsender Doschd auszudrücken. Ihr Erkennungszeichen: ein Regenschirm. Doschd heißt Regen. Alle wurden festgenommen. Die Behörden reagierten immer hysterischer auf Kritik, auch während Olympia, meint Lena Kostjutschenko:
    "In den Polizeiprotokollen steht: Sie hatten einen Regenschirm aufgespannt, obwohl es nicht regnete. Jetzt wird ihnen Verletzung der öffentlichen Ordnung vorgeworfen."
    Den meisten russischen Medien waren die Festnahmen am Wochenende keine Meldung wert. Sogar kremlkritische Zeitungen hielten sich zurück.
    "Ein paar Reporter haben mich am Freitagabend angerufen und gefragt, ob alles in Ordnung sei. Und dann haben sie gesagt, dass sie über unsere Aktion nicht berichten werden, weil es in der Redaktion eine Anweisung gäbe, zumindest am ersten Tag der Olympischen Spiele keine kritischen Informationen zu veröffentlichen."