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Soweit die Photonen tragen

Astronomie. - Noch einmal wird das Hubble-Weltraumteleskop in der Umlaufbahn technisch überholt – dann bleibt es sich selbst überlassen. Der Nachfolger, das James-Webb-Weltraumteleskop, ist bereits in Bau und soll ab 2013 Hubble ablösen. Europa steuert die wissenschaftlich bedeutendste Kamera bei. Sie wird gerade in Ottobrunn gebaut.

Von Dirk Lorenzen | 05.05.2009
    Wenn Ralf Maurer zur Arbeit geht, nimmt er zunächst eine Dusche der besonderen Art.

    "Hier machen wir eine Luftdusche, damit wir schön sauber sind."

    Der Ingenieur ist Projektleiter für den Bau von NIRSpec, das Superauge des neuen James-Webb-Weltraumteleskops. Frisch abgepustet geht es in die Montagehalle von EADS Astrium im Münchner Vorort Ottobrunn. Viel technisches Gerät, Arbeitstische, zahllose Kabel. Durch die Halle laufen Ingenieure und Mechaniker in weißen Ganzkörper-Schutzanzügen, die nur die Augen frei lassen. Zudem weht in der Halle ein kühler Wind.

    "Sie fühlen das jetzt hier auch den Luftstrom. Das ist die reine Luft, die aus der Filterwand hier hinten heraus kommt und uns entgegen weht. Damit ist sichergestellt, dass es wirklich absolut sauber ist. Denn bei Optiken, das ist wie bei der Brille, dürfen absolut keine Staubpartikel darauf sein. Das sind alles dann Streulichtquellen, die die Empfindlichkeit stören würden."

    In der Montagehalle ist es sauberer als in jedem Operationssaal: Nicht einmal fünf Staubteilchen schweben in einem Liter Luft – in normalen Räumen sind es Hunderttausende. Mitten in der Halle thront ein Instrument, das gut eineinhalb Meter Durchmesser hat und 70 Zentimeter hoch ist: NIRSpec, der Nah-Infrarot-Spektrograph.

    "Mit NIRSpec werden Sterne und Galaxien in der Entstehungsphase spektroskopisch untersucht. Das ist eine besondere Art von Spektrograph, eine völlig neuartige Instrumentenkategorie. Das ist ein Spektrograph, der Spektren von bis zu 100 Objekten gleichzeitig aufnehmen kann. Was dann natürlich die verfügbare Zeit verhundertfacht."

    Was die Astronomen geradezu elektrisiert. Denn bisher mussten sie mühsam Objekt für Objekt untersuchen. Doch NIRSpec nimmt künftig 100 Sterne oder Galaxien gleichzeitig aufs Korn. Während die Hauptkamera des James-Webb-Teleskops, die die Nasa bauen lässt, schöne Bilder macht, sorgt NIRSpec für die wichtigen wissenschaftlichen Informationen. Das Instrument zerlegt das Licht der Himmelskörper in seine Farben und bestimmt so, aus welchen Elementen die Objekte bestehen, welche Temperatur sie haben und wie sie sich bewegen. Dabei erreicht die Infrarotkamera eine fast unglaubliche Empfindlichkeit.

    "Wenn man NIRSpec nehmen würde und würde damit von der Erde aus auf den Mond schauen, dann könnte man, wenn es sie geben würden, die Mondmännchen erwischen, wie sie sich eine Zigarette anzünden. Das würde man sehen, also die Glut der Zigarette."

    Um so geringe Wärmestrahlung registrieren zu können, wird das Instrument auf fast minus 250 Grad Celsius gekühlt. Für Ralf Maurer und sein Team geradezu ein Albtraum: Denn normale Metalle oder Kunststoffe halten solche Temperaturen kaum aus oder verformen sich beim Abkühlen sehr stark.

    "Deswegen ist man hier einen völlig neuen Schritt gegangen und hat Keramik eingesetzt. Und zwar Keramik sowohl als Struktur als auch als Spiegelmaterial. Somit ist 80 Prozent des Instruments aus Keramik. Das ist einzigartig. Diese Keramik ist sehr leicht, sehr fest, übersteht somit gut die Lasten beim Start, auf der einen Seite, auf der anderen Seite kann man es abkühlen, ohne dass sich große Deformationen einstellen."

    Nur so wird NIRSpec tiefgekühlt buchstäblich bis an den Rand des Kosmos blicken. Das Hubble-Teleskop zeigt den Astronomen bisher Objekte im schon eine Milliarde Jahre alten Kosmos. James Webb soll dank NIRSpec noch viel weiter zurück reichen:

    "Mit James Webb sollte man bis auf 300 Millionen Jahren an den Urknall heran kommen. Das ist also ein Faktor drei in der Zeit. Das ist aber eine Grenze, die man erreichen wird, die eine grundsätzlich Grenze für optische Instrumente ist. Denn vor dieser Zeit gab es etwas, was man die Dark Area nennt. Da gab es dann noch kein Licht."

    Das Astrium-Team liefert im kommenden Jahr NIRSpec an die Nasa ab. 2013 soll das Instrument dann mit dem James-Webb-Teleskop ins All starten und so weit hinaus blicken, wie die Photonen tragen.