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Sozi auf Bestellung

Um sich ein Bild von der Lebensrealität der Menschen und ihren Problemen zu machen, lassen sich Bremens SPD-Politiker zu Brennpunkten und sozialen Baustellen einladen. Ohne Krawatte und Anzug sollen sie Vertrauen schaffen. Ob das bei der Lösung der Probleme hilft, ist umstritten.

Von Franziska Rattei | 07.11.2013
    Klaus Möhle ist ein Politiker ohne Schlips und Kragen. Der SPD-Abgeordnete der Bremer Bürgerschaftsfraktion trägt Jeans und Anorak. Gerade hat er sich noch eine Zigarette angesteckt; zur Beruhigung, weil er doch ein bisschen aufgeregt ist an diesem Abend. Er steht vor der Tür der "Kinderräume", einer privaten Kita im Stadtteil Schwachhausen. Die Elternsprecher haben Möhle eingeladen, ihn als "Sozi frei Haus" bestellt – ein Service der Bremer Sozialdemokraten bis Ende November. Möhle hat schon eine Ahnung, warum er ausgerechnet hier gelandet ist:

    "Ich denke, es wird vor allem darum gehen, wie denn solche Einrichtungen besser gefördert werden können, wie die besser gestellt werden können und was man da machen kann. Und da bin ich mal gespannt, was da so bei rauskommt."

    Der 60-Jährige ist sozialpolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion. Bis vor ein paar Jahren war er Grüner. Doch als ihm Sozialpolitik wichtiger als Ökothemen wurde, wechselte er das Parteibuch. Dass die Bremer Sozis nun zum Diskutieren einladen können, findet er gut.

    "Ich mach das saugerne. Ich rede gern mit den Bürgern darüber, warum die Bürgerschaft welche politischen Entscheidungen trifft und warum und wieso und weshalb. Kann man das mal ein bisschen erklären, und da können die da auch mal ihren Frust ablassen. Und ich hör mir am Liebsten auch an, was für Wünsche da sind. Also, ich geh da nicht hin, um zu erzählen, wie ich find`, wie rum sich der Globus dreht, sondern die Leute sollen mir erzählen, welche Probleme sie haben und ich guck dann, was ich da machen kann."

    Wenn Möhle "frei Haus" unterwegs ist, wollen die Bremer meistens über landespolitische oder lokale Themen mit ihm reden, sagt er. Aber oft führen die Gespräche dann weiter und enden bei den Flüchtlingen auf Lampedusa oder ganz generell bei Krieg und Frieden. – Die Zigarette ist aufgeraucht. Möhle stapft zur Eingangstür der KiTa und wird dort auch schon erwartet.

    "Kommen Sie rein, draußen ist es kalt."

    Constanze Wornikat und Isabea Fewson bieten dem Sozi auf Bestellung erstmal eine kurze Führung durch ihre Kinderräume an; vorbei an Mini-Kinder-Garderoben und über bunte Teppiche.

    "Sie sind ja das erste Mal bei uns, und damit Sie überhaupt wissen, wo Sie gelandet sind, dass wir Ihnen erst mal das Haus zeigen, ja?"

    Die beiden Erzieherinnen haben ihre Kita vor fünf Jahren als GbR gegründet; als Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Genau wie städtische oder kirchliche Einrichtungen erfüllen sie alle Auflagen– der Unterschied ist: Die Kinderräume werden allein durch Elternbeiträge finanziert. Von der öffentlichen Hand bekommen sie keinen Cent. Dazu soll Klaus Möhle an diesem Abend Stellung beziehen und einen Vorschlag machen, wie auch das Privatunternehmen künftig gefördert werden könnte.

    Im Gruppenraum für die ganz Kleinen wartet schon eine Handvoll Eltern auf den SPDler, unter anderem Fenna van Foree. Die Mutter sitzt ganz vorn auf der Stuhlkante; gespannt und ein bisschen ungeduldig.

    "Jetzt sprechen wir endlich mal mit der Politik und hoffen natürlich, dass die Politik wirklich was machen kann."

    Van Foree arbeitet Vollzeit. Hätte sie die private Betreuung mit flexiblen Öffnungszeiten nicht gefunden, müsste sie zu Hause bleiben. Ihr Sohn ist noch kein Jahr alt; den nimmt keine öffentliche Krippe, sagt sie. Über das, was SPD und Union derzeit in Berlin verhandeln, kann sie nur müde lächeln. Was bringt es, einen Rechtsanspruch durchzusetzen, der zusichert, von Teil- auf Vollzeit umzusteigen, wenn die Kinder nicht ganztags versorgt sind. Möhle sieht das anders. Er denkt sehr wohl, dass die schwarz-rote Koalition etwas bewirken kann.

    "Ich sag mal so: Wir haben einen Gesetzesanspruch U-3-Betreuung. Und wir müssen Plätze, gesetzlich vorgeschrieben, schaffen. Und hier werden Plätze geschaffen. Das ist ein Teil der Lösung. Also, pädagogisch-inhaltlich ein Teil der Lösung. Und das Finanzielle – da müssen wir jetzt quasi drum kämpfen, dass das jetzt auch so gemacht wird, dass das gehen kann."

    Der Bürgerschaftsabgeordnete verspricht, sich für die finanzielle Förderung der privaten Einrichtung einzusetzen. Die Eltern und Erzieherinnen sind fürs Erste zufrieden. Der Sozi auf Bestellung konnte Punkte bei ihnen sammeln. Aber ob die Bundespolitik seiner Partei ihnen weiterhilft – Isabea Fewson, eine der Leiterinnen der "Kinderräume", ist unsicher:

    "Also, ich find‘s wichtig, dass da was passiert und dass da in der Familienpolitik sich was verändert. Aber das dauert ewig, und es wird natürlich immer vorher viel darüber gesprochen und viel versprochen: Wir müssen da was tun für die Erziehung und die Bildung und unsere Kinder – die sind unsere Zukunft. Das sind alles Wörter, die man ja ständig hört. Aber dann in der Umsetzung – ich glaub das dann erst, wenn konkret was passiert."

    An kostenlose KiTas – wie die SPD sie im Wahlkampf gefordert hat - mag die Sozialpädagogin noch nicht recht glauben. Vielleicht sind auch die Vorschläge der Union gar nicht so schlecht, meint ihre Kollegin, Constanze Wornikat. Die schlage schließlich vor, das Kindergeld und den Kinderzuschlag zu erhöhen – Gelder, die Eltern in die private Kinderbetreuung investieren könnten. Und auch gegen das Betreuungsgeld hat Wornikat grundsätzlich nichts.

    "Die wenigsten wissen wahrscheinlich, dass sie das bekommen können, wenn das Kind eine nicht öffentlich geförderte Einrichtung besucht. Das wird dann immer weggelassen."

    Klaus Möhle nickt und schaut auf die bunte Kinderuhr an der Wand. Eineinhalb Stunden Redezeit sind um. Zeit für eine Zigarette und Zeit, um sich zu überlegen, wie er die Sozialsenatorin zur Förderung der privaten KiTa bewegen könnte. In der kommenden Woche will er sich bei den Kinderräumen melden.