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Soziale Netzwerke wie "Parler"
Neue digitale Heimat für Trump-Anhänger

Tweets mit Warnhinweisen, gelöschte Profile oder gesperrte Gruppen – seit der US-Wahl gehen Facebook und Twitter massiv gegen Falschinformationen vor. Die Anhänger von Wahlverlierer Trump wechseln deshalb zu alternativen Sozialen Netzwerken. Experten warnen vor neuen Gefahren.

Von Sinje Stadtlich | 17.11.2020
Ein Anhänger von Donald Trump trägt eine Maske Trumps und hält ein Smartphone in die Höhe
Seit der Wahl protestieren Anhänger von Donald Trump öffentlich gegen das Ergebnis (picture alliance/Artur Gabdrahmanov/Sputnik/dpa)
Moderatorin Maria Bartiromo verkündete vergangene Woche auf ihrem Sender Fox News begeistert, das soziale Netzwerk Parler sei nach der Wahl an die Spitze der App-Stores vorgerückt. Sie selbst habe auch schon einen Account dort und werde sich die Zensur bei Twitter nicht länger gefallen lassen.
Es folgte ein Interview mit Parler-Gründer John Matze, der den Erfolg seines Netzwerkes erklären durfte: Er biete eben freie Meinungsäußerung. Und dazu zählt Matze auch Falschinformationen. So verbreitet sich bei Parler ungehindert der Post von Trumps Wahlkampfteam, der Präsident habe den Bundesstaat Pennsylvania gewonnen. Matze sagte dazu auf Nachfrage des Fernsehsenders Cheddar:
"Noch gibt es dort keine offizielle Entscheidung in Pennsylvania, und es gibt einen Rechtsstreit. Natürlich darf der Präsident dazu eine Meinung haben. Es wäre wirklich falsch, so eine Aussage zu löschen – lasst doch die User selbst entscheiden, ob sie das glauben."
Zulauf für alternative Netzwerke
Mitglieder der Facebook-Gruppe "Stop the steal" hatten falsche Informationen darüber verbreitet, wie Joe Biden vermeintlich die Wahl "gestohlen" habe. Seitdem Facebook diese Gruppe mit ihren bis dahin 365.000 Mitgliedern gelöscht hat, treffen sich Trump-Unterstützer verstärkt bei Netzwerken wie Parler, dem als Anti-Facebook beworbenen MeWe und bei Gab, das auch als Sammelbecken für Neonazis gilt.
Falschinformationen zur US-Wahl: Stresstest für Soziale Medien
Bei der US-Wahl 2016 waren die Sozialen Netzwerke von verschiedenen Desinformationskampagnen kalt erwischt worden. In diesem Jahr sollte das anders werden. Doch die Wahlnacht am 3. November war ein echter Stresstest – mit unterschiedlichen Ergebnissen.
Es ist nicht das erste Mal, dass solche alternativen Netzwerke versuchen, den Silicon Valley-Giganten Konkurrenz zu machen. Wenn sie überhaupt eine Chance haben, dann vielleicht jetzt, meint Jeremy Blackburn, Computerwissenschaftler von der Binghamton University:
"Momentan wechseln sogar bekannte Politiker wie der Republikaner Newt Gingrich zu Parler. Facebook und Twitter machen jetzt Ernst, und wenn ihre neuen Regelungen genügend User abschrecken, könnte das eine Chance für diese alternativen Netzwerke sein, sich mehr im Mainstream zu verankern. In der Vergangenheit haben sie das nicht geschafft, aber jetzt gerade haben sie einige prominente Unterstützer."
Bedrohung für Facebook und Twitter?
Dazu zählen Republikaner wie der Senator Ted Cruz, Fox-News-Persönlichkeiten wie Sean Hannity oder Trump-Unterstützer wie seine Söhne Eric und Donald Junior. Adam Chiara, Kommunikationswissenschaftler an der Hartford University, glaubt trotzdem nicht, dass alternative Netzwerke Facebook oder Twitter wirklich gefährlich werden können.
"Die Herausforderung ist, dass sie sich an eine sehr spezielle Zielgruppe richten. Ab einem bestimmten Punkt können sie einfach nicht mehr weiterwachsen. Twitter hat 187 Millionen User täglich, Facebook hat 1,8 Milliarden. Sie stellen damit Netzwerke wie Parler komplett in den Schatten. Deswegen bin ich skeptisch, dass es wirklich eine Massenbewegung zu den alternativen Netzwerken geben wird."
Medien-Organisation "PragerU": Wachsende Reichweite mit rechtsextremen Inhalten
Die US-amerikanische Internet-Plattform "PragerU" hat in den sozialen Netzwerken Erfolg mit Videos zu Politik, Gesellschaft oder Geschichte. Die Clips sind professionell gemacht und zielen vor allem auf Jugendliche. Aber nach Ansicht von Forschenden werden darin auch rassistische Argumente verbreitet.
Neue Gefahren, alte Probleme
Doch auch wenn es keine Massenbewegung gibt, bergen diese oft fast komplett unmoderierten Plattformen Gefahren, sagt Jeremy Blackburn, der zu Online-Extremismus forscht: "Wir haben gerade eine Studie gemacht, die gezeigt hat: Wenn man diese gefährlichen Gruppen von Facebook entfernt, dann hat das einen Effekt: Facebook wird sauberer. Aber diese Gruppe gehen dann eben zu alternativen Netzwerken. Vielleicht nicht alle Mitglieder, aber diejenigen, die das tun, radikalisieren sich noch mehr. Und das ist natürlich gefährlich."
Und Kommunikationswissenschaftler Chiara betont, Falschinformationen seien und blieben ein grundlegendes Problem in den Sozialen Netzwerken: "Wir dürfen uns durch diese alternativen Plattformen nicht von dem Grundproblem ablenken lassen. Nur weil Facebook jetzt etwas genauer hinguckt und einige Gruppen löscht, bietet die Plattform ja trotzdem private Gruppen und Messenger, die nicht überwacht werden, wo Nutzer in einem geschützten Raum Falschinformationen verbreiten können. Auch die großen Mainstream-Plattformen haben das noch längst nicht gelöst."