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Sozialer Wohnungsbau
Speckgürtel von Hamburg: Mietpreisbremse mal anders

Hohe Mieten sind nicht nur ein Problem in Großstädten, auch in den Vororten ist bezahlbarer Wohnraum knapp. Norderstedt, vor den Toren Hamburgs, will deshalb den Neubau von Sozialwohnungen fördern, mit einer Sozialquote von 50 Prozent. Diese Idee findet im Stadtrat breite Zustimmung.

Von Johannes Kulms | 22.10.2019
Gerüst Norderstedt Neubau
Im Speckgürtel von Hamburg, zu dem auch Norderstedt gehört, ist der Wohnraum knapp geworden (Deutschlandradio/Johannes Kulms)
Am Norderstedter Exerzierplatz steht an der Ampel eine Seniorin. Die 73-Jährige will ihren Namen für sich behalten. Sie weiß, dass sie Glück hat. Denn sie besitzt ein Eigenheim. Doch von ihren Kindern und anderen Leuten hört sie immer wieder: Auch in Norderstedt ist der Wohnraum inzwischen knapp und teuer. Dass hier künftig 50 Prozent der neugebauten Wohnungen gefördert werden sollen, findet sie gut.
50 Prozent der Neubauwohnungen sollen gefördert werden
"Ob das dann wieder so kommt und durchgesetzt wird ist eine andere Sache. Aber die Idee ist vielleicht ganz gut."
Mit knapp 80.000 Einwohnern gehört Norderstedt inzwischen zu den größten Städten in Schleswig-Holstein. Die unmittelbare Nähe zu Hamburg ist sowohl Segen als auch Fluch. Nur eine knappe halbe Stunde braucht die U-Bahn von hier zum Hamburger Hauptbahnhof. Diese Lage lässt allerdings seit Jahren die Immobilienpreise kräftig steigen.
Derzeit liege die Miete pro Quadratmeter bei Neubauwohnungen bei 12 bis 13 Euro kalt, in manchen Fällen sogar bei 16 Euro, sagt Miro Berbig. Er ist Fraktionschef der Partei Die Linke im Norderstedter Stadtrat. Bisher gilt bei Neubauprojekten eine Sozialquote von 30 Prozent. Doch das reiche nicht, sagt Berbig.
"Hamburger Randlage ist einfach begehrt. Und wenn wir da nicht gegensteuern, dann haben wir demnächst keine Wohnung mehr für die jetzt noch lebenden Menschen in Norderstedt und dann werden wir tatsächlich nur noch Reiche und Schöne in Norderstedt haben."
Ziel: Sechs Euro Kaltmiete pro Quadratmeter
Auch die Fraktionen von SPD, Grünen und CDU im Stadtrat tragen die neue 50-Prozent-Vorgabe mit. Die soll sowohl den ersten als auch den zweiten Förderweg einbeziehen. In Norderstedt würde das bedeuten: Haushalte mit niedrigen Einkommen und Wohnberechtigungsschein zahlen etwa sechs Euro Kaltmiete pro Quadratmeter. Unter den zweiten Förderweg fallen Haushalte mit mittleren Einkommen. Also solche, die die Einkommensgrenze um bis zu 20 Prozent überschreiten. Diese Haushalte würden knapp acht Euro pro Quadratmeter zahlen.
"Das Problem wird dadurch natürlich nicht gelöst. Sondern wir mildern es bestenfalls ab."
In der Wohnungswirtschaft hat die Idee allerdings viel Ärger ausgelöst. Der Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen zählt über 300 Mitglieder. Zu ihnen gehören Wohnungsgenossenschaften aber auch kommunale Wohnungsunternehmen. In bestimmten Stadtteilen könne eine Quote von 40 oder auch 49 Prozent sogar sinnvoll sein, sagt Verbandschef Andreas Breitner. Doch bei festen Bindungen verschwinde die Flexibilität. Und würden 50 Prozent Sozialwohnungen vorgeschrieben, werde der Druck noch größer, das Geld wieder bei den anderen 50 Prozent der neuen Wohnungen auf dem freien Markt reinzuholen.
"Denn der geförderte Wohnungsbau in seiner jetzigen Gestalt, der trifft eben auch auf extrem steigende Baukosten. Und vieles finanziert sich über den freien Anteil also die anderen 50 Prozent. Und 50 Prozent zur, ich sage mal Quersubventionierung vom geförderten Wohnungsbau, ist vielleicht ein bisschen wenig, sagen die Experten."
Vor allem stört sich Breitner daran, dass die Parteien im Stadtrat mit der neuen Quote vorpreschen. Schließlich stehe mit dem "Bündnis für Wohnen" genau für solche Fragen seit anderthalb Jahren ein Forum zur Verfügung.
Ausgerufen hatte dieses Bündnis Elke Christina Roeder kurz nach ihrer Wahl zur Norderstedter Oberbürgermeisterin.
"Wenn man nur die 50 Prozent hört, dann könnte man sagen, ‚Oh ja, toll!‘ Aber ich glaube, das ist an der Stelle einfach zu kurz gesprungen."
Quote als Belastung für Neubauprojekte?
Es müsse gebaut werden, in unterschiedlichen Qualitäten und für verschiedene Segmente. Doch eine feste Quote helfe da nicht weiter, findet auch die SPD-Politikerin. Roeder sieht die neue Quote nicht nur als Belastung für das Wohn-Bündnis. Sondern auch für künftige Bauvorhaben.
"Im worst case werden bauwillige Firmen sagen ‚Norderstedt? Nee, da machen wir einen großen Bogen drum!‘ Und damit haben wir natürlich nichts gewonnen."
Natürlich kennt auch Peter Holle diese Argumente. Doch der CDU-Fraktionschef im Norderstedter Stadtrat meint, nach anderthalb Jahren habe das "Bündnis für Wohnen" immer noch keine konkreten Ergebnisse gebracht. Daher unterstützt auch seine Partei den Beschluss, künftig 50 Prozent Förderung bei Neubauten vorzuschreiben.
"Die Ängste verstehe ich auch. Die Ängste gehen aber dahin, was ist, wenn die Baupreise in der Zukunft noch mehr steigen? Derzeit ist es durchaus realistisch, mit einer Nullprozent-Finanzierung einen Quadratmeter-Preis von acht Euro zu erzielen. Und dabei nicht draufzulegen."