Mittwoch, 24. April 2024

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Sozialisten in Frankreich
"Ein Zeichen von Missverständnissen"

Der deutsch-französische Journalist Gérard Foussier sieht Frankreichs Premierminister Valls trotz der gewonnenen Vertrauensabstimmung in der Nationalversammlung geschwächt. Die Politik in der sozialistischen Partei sei nicht richtig definiert worden, sagte Foussier im Deutschlandfunk. Die Krise könne später wieder aufflammen.

Gérard Foussier im Gespräch mit Martin Zagatta | 17.09.2014
    Frankreichs Premierminister Manuel Valls (l.) und Präsident Francois Hollande
    Frankreichs Premierminister Manuel Valls (l.) und Präsident Francois Hollande (afp / Alain Jocard)
    Frankreichs Premierminister Manuel Valls habe mit der Vertrauensabstimmung in der Nationalversammlung zeigen wollen, wer in der Regierung das Sagen hat. Er habe das Ziel verfolgt, durch die Abstimmung legitimiert zu werden, sagte Gérard Foussier, der Chefredakteur des deutsch-französischen Politikmagazins "Dokumente/Documents" im Deutschlandfunk. Dabei sei die Vertrauensfrage nicht zwingend gewesen, da Valls über das Vertrauen des Staatspräsidenten verfüge, sagte Foussier. Es habe sich um einen Denkzettel gehandelt, der so berechnet gewesen sei, dass die Regierung ihre Arbeit fortsetzen könne.
    Dass Valls die Vertrauensfrage gestellt habe, sei ein Zeichen von Missverständnissen innerhalb der sozialistischen Partei. Einige seien für eine sozialliberale Politik, andere Parteimitglieder lehnten ab, dass die französischen Sozialisten zu Sozialdemokraten würden, sagte Foussier im DLF-Interview. Die Krise, die nun vermieden worden sei, könne später stattfinden. Valls sei zwar gegen die Abschaffung des Sozialstaates, er akzeptiere aber auch nicht alle Empfehlungen des linken Flügels der Sozialisten.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Die Vertrauensabstimmung hat er gestern gewonnen, Manuel Valls, der französische Ministerpräsident. Nachdem sein Chef, Staatspräsident Francois Hollande, kürzlich Tabula rasa am Kabinettstisch gemacht hatte, um seine Kritiker zumindest innerhalb der Regierung zum Schweigen zu bringen, hatte sich Valls entschieden, die Abgeordneten um einen Vertrauensbeweis zu bitten. Aber wie weit kommt eine Regierung, der das Vertrauen der Wähler weitgehend abhandengekommen ist? Die Frage wurde gestern Abend in der Nationalversammlung nicht beantwortet.
    Das neue Kabinett von Manuel Valls hat also das Vertrauen der Nationalversammlung. Aber was ist dieser Vertrauensbeweis in der politischen Realität wert? Darüber hat mein Kollege Martin Zagatta gestern Abend mit Gerard Foussier gesprochen, dem Herausgeber der deutsch-französischen Zeitschrift „Dokumente/documents".
    Martin Zagatta: Herr Foussier, mehr als 30 Abgeordnete der eigenen Partei verweigern Premierminister Valls ihre Stimme. Wie schwer wiegt das, oder kann er damit gut leben?
    Gérard Foussier: Im Moment kann er sehr gut damit leben. Manuel Valls wollte als Regierungschef zeigen, wer das Sagen hat in dieser Regierung, und deswegen wollte er legitimiert werden durch diese Abstimmung in der Nationalversammlung, wobei eine Vertrauensfrage eigentlich nicht zwingend gewesen wäre. Er hat das Vertrauen des Staatspräsidenten, also kann er regieren.
    Zagatta: Ist das ein Zeichen von Schwäche, dass er jetzt schon zum zweiten Mal innerhalb von fünf Monaten diese Vertrauensfrage stellen musste innerhalb von fünf Monaten?
    "Problem der Kommunikation innerhalb der Partei"
    Foussier: Es ist sicherlich ein Zeichen von Schwäche, aber vor allem ein Zeichen von Missverständnissen innerhalb der sozialistischen Partei, da die Politik nicht richtig definiert worden ist. Es ist ein Problem der Kommunikation innerhalb der Partei und es gibt welche, die sagen, wir machen eher eine sozialliberale Politik, und andere, die eben dagegen sind, dass die Sozialisten zu Sozialdemokraten werden.
    Zagatta: Diese Vertrauensabstimmung, die wurde ja praktisch vom linken Flügel der Sozialisten erzwungen, dem die Reformen zu weit gehen. Welche Reformen sind das denn überhaupt, die diesem Flügel zu weit gehen?
    Foussier: Ich habe auch zugehört, wie Valls eigentlich Zugeständnisse gemacht hat, aber so vage formuliert, dass ich nicht sicher bin, dass das Problem, das auch vermieden wurde, die Krise, die vermieden wurde, doch nicht später stattfindet. Wenn er zum Beispiel sagt, ich werde nicht die 35-Stunden-Woche abschaffen oder korrigieren, das ist zwar gut gemeint, aber mehr hat er auch nicht dazu gesagt. Aber gut, für die Linken ist das schon mal ein Zeichen. - Wenn er sagt, ich werde die Rente der kleinen Rentner erhöhen - er hat auch keine Zahlen genannt -, wenn aber die Rentner irgendwann erfahren, dass diese Erhöhung, wenn es hochkommt, acht Euro ausmacht pro Monat, dann wird wieder der linke Flügel der Partei auch protestieren. - Es gibt so viele Punkte, wo er sagt, ich bin nicht derjenige, der den Sozialstaat abbauen will, ich bin nicht Schröder - das muss man auch so formulieren -, aber er ist auch nicht derjenige, der alles akzeptiert, was der linke Flügel eigentlich empfiehlt. Diese Balance, die war auch leicht zu erreichen, weil kein Abgeordneter möchte, seinen Sitz zu verlieren. Wenn es Neuwahlen gibt, werden die Sozialisten sicherlich die Parlamentswahlen verlieren. Also schön brav bleiben. Es sollte ein Denkzettel sein, es sollte eine Warnung sein, aber so gerechnet, dass die Regierung weiter regieren kann. Schlimm wird es natürlich im November wahrscheinlich, wenn die Regierung, wenn der Regierungschef kommt und sagt, so, jetzt ist mein Gesetz zu Budgetfragen, so will ich die Budgetfragen lösen. Da muss er dann eine satte Mehrheit bekommen, eine ganz klare Mehrheit bekommen, und das ist nicht sicher, dass er die bekommt.
    Zagatta: Haben Sie denn den Eindruck, dass er das überhaupt vorhat? Denn aus der deutschen Wirtschaft verlautet ja eigentlich, Frankreich gehöre nach wie vor zu den reformunwilligen Ländern und setze bisher eigentlich nur auf Gesundbeten. Kann man das so sehen?
    "Frankreich sehr schwierig zu reformieren"
    Foussier: Man kann das so sehen und er weiß auch selber, dass Frankreich sehr schwierig zu reformieren ist. Es gibt auch Umfragen, wonach die Franzosen unbedingt Reformen haben wollen, aber bitte, Reformen sollen für die anderen sein und nicht für sie selbst, und das ist natürlich schwierig. Ich weiß es nicht. Es war erst mal hier eine Möglichkeit, den, ich sage es einfach so, Querulanten der Sozialisten zu zeigen, hier bin ich und ich mache weiter, und wenn ihr nicht brav seid, dann werden wir ein neues Parlament haben, und das wird kein linkes Parlament sein. Dieses Signal ist, glaube ich, gut angekommen. Für wie lange, das ist die Frage, die man stellen darf.
    Zagatta: Steht Frankreich da ein heißer Herbst beziehungsweise ein heißer Winter bevor?
    Foussier: Was heißt heiß? Ich glaube nicht. So schlimm wird es wahrscheinlich nicht. Allein diese Woche: eine ganze Woche ohne Flugzeuge von Air France. Streiks hat es immer gegeben. Dramatischer als sonst wird es sicherlich nicht sein. Nur er muss jetzt aufpassen, dass er eine gewisse Mehrheit hinter sich hat. Sonst wird er nicht bis 2017 aushalten können.
    Kapern: Martin Zagatta im Gespräch mit Gérard Foussier, dem Herausgeber der deutsch-französischen Zeitschrift „Dokumente/documents".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.