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Soziologe: Autonomie der Wissenschaft ist gefährdet

Der Soziologe Richard Münch warnt vor Kooperationen wie sie die TU Berlin mit der Deutschen Bank eingegangen ist, um einen Eingriff in die Autonomie der Forschung zu vermeiden. Gänzlich rät er aber nicht von derlei Zusammenarbeit ab.

Richard Münch im Gespräch mit Manfred Götzke | 03.06.2011
    Manfred Götzke: Konzerne suchen sich ja immer neue Möglichkeiten, um für ihre Produkte zu werben. Die Deutsche Bank hat da eine sehr innovative Möglichkeit entdeckt: Sie verschickt ihre Werbung über den Mailverteiler der TU Berlin. Das ist möglich und legal, weil die Bank eine Wissenschaftskooperation mit der Hochschule geschlossen hat. Und in dem Vertrag stehen noch ein paar andere Details drin: In dem gesponserten Forschungsbereich darf die Bank zum Beispiel über die Besetzung von Professoren mitbestimmen, und Forschungsergebnisse müssen erst mal von den Bänkern abgesegnet werden. Ist das ein krasser Einzelfall von Einflussnahme der Wirtschaft oder Alltag auch an anderen Hochschulen? Darüber möchte ich mit dem Soziologen Richard Münch sprechen. Er ist Autor des Buches "Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von Pisa, McKinsey und Co". Herr Münch, der Direktor der TU Berlin sagte, solche Verträge wie der zwischen der Hochschule und der Deutschen Bank, die seien durchaus üblich. Stimmt das?

    Richard Münch: Also, das würde ich nicht sagen. Herr Olbertz von der Humboldt-Universität sieht das ja auch etwas anders. Ich würde sagen, es handelt sich da doch um einen Extremfall weitgehender Mitspracherechte des Sponsors.

    Götzke: Das heißt, solche Verträge und mit diesem Mitspracherechten sind eher unüblich und tatsächlich nur ein Einzelfall?

    Münch: Was das Ausmaß der Mitspracherechte des Sponsors betrifft und auch die Frage der Veröffentlichung, die zuerst einmal durch die Bank geklärt sein muss. Ansonsten gibt es natürlich eine wachsende Forschung in Kooperation zwischen Universitäten und Industrie, das sieht man einfach daran, dass der Drittmittelanteil deutlich gestiegen ist. Aber da gibt es eine Spannbreite, eine größere, wie eng da kontrolliert wird durch die Sponsoren.

    Götzke: Es gibt in Deutschland mittlerweile 660 Stiftungsprofessuren, die von der Wirtschaft mitfinanziert sind. Wie weit geht in der Regel dort die Zusammenarbeit und die Mitsprache - wie weit gehen die Mitspracherechte der Wirtschaft bei solchen Verträgen?

    Münch: Eine Stiftungsprofessur kann zunächst einmal völlig frei von Kontrollen des Sponsors sein - und in vielen Fällen ist das auch so -, da hat lediglich der Sponsor ein Interesse, dass ein bestimmtes Fachgebiet vertreten wird. Das kann beispielsweise die Kunstgeschichte sein. Und dann wird es allein der Universität überlassen, wie die Professur besetzt wird und welche Forschung da betrieben wird. Aber es gibt natürlich einen Bereich, wo die Industrie selbst ein Interesse hat an der Art der Forschung, die da betrieben wird, und da wird dann also auch mehr kontrolliert.

    Götzke: Sie haben ja gesagt, da gibt es eine sehr große Bandbreite, die Verträge werden von den Hochschulen einzeln mit den Unternehmen ausgearbeitet. Müsste es nicht eigentlich eine gesetzliche Regelung geben, die den Rahmen absteckt?

    Münch: Eine gesetzliche Regelung könnte möglicherweise helfen, aber im Wesentlichen kommt es darauf an, dass die Universitäten selbst Abmachungen treffen, was eine gute Praxis ist. Es gibt ja beispielsweise von der Deutschen Forschungsgemeinschaft Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, die müssten also auch auf derartige Forschung in Kooperation zwischen Universitäten und Industrie angewandt werden.

    Götzke: Die Kooperationen haben sich immer weiter verstärkt zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, Sie haben das schon angesprochen. Inwieweit hat das die Autonomie der Wissenschaft beeinflusst?

    Münch: Die ist schon gefährdet. Wir haben noch in den 1980er-Jahren ungefähr acht Prozent Drittmittelforschung gehabt, inzwischen sind es 35 Prozent, davon ein Drittel wiederum von der Industrie geförderte Forschung. Und dabei ist auch die Gefahr, dass die Abhängigkeit von industriellen Aufträgen auch auf das ganze Forschungsprofil sich überträgt.

    Götzke: Können Sie der Kooperation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft überhaupt etwas Positives abgewinnen?

    Münch: Grundsätzlich ist das nicht abzulehnen. Es ist so, dass beide Seiten von einander profitieren können, auf der einen Seite bekommen die Universitäten Geld für Forschungen, was sonst nicht verfügbar wäre, auf der anderen Seite wächst das Innovationspotenzial für die Wirtschaft, aber es muss sehr streng darauf geachtet werden, dass dabei weitgehende Forschungsfreiheit besteht, und vor allem auch die Ergebnisse allen zugänglich sind, und Wissen nicht zu einem industriell verwertbaren Privatgut wird.

    Götzke: Wer sollte denn darauf achten?

    Münch: Es ist vor allem eine Sache der Hochschulleitungen und der Hochschulrektorenkonferenz, die untereinander Regelungen treffen können. Und wenn das nicht funktioniert, ist in der Tat der Gesetzgeber gerufen.

    Götzke: Dass es nicht funktioniert, sehen wir im Fall der Deutschen Bank und der Berliner Hochschulen.

    Münch: Es ist mindestens ein Anlass, darüber zu diskutieren, und in der Tat Schritte abzuwägen, die möglicherweise auch zu einer gesetzlichen Regelung führen können.

    Götzke: Ein Problem ist ja, dass diese Verträge zwischen Wirtschaftsunternehmen und Hochschulen oder Lehrstühlen häufig gar nicht an die Öffentlichkeit gelangen, weil es da Verschwiegenheitsklauseln gibt. Inwieweit müsste man das verhindern?

    Münch: Also mindestens ist das eine Sache der Hochschulöffentlichkeiten, aber solche Verträge werden ja selten in der Hochschule öffentlich diskutiert. Es könnte sein, dass auch da und dort noch nicht einmal der Senat daran beteiligt ist. Und das muss natürlich gewährleistet sein! Über die Hochschulöffentlichkeit kann dann auch die weitere Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht werden.

    Götzke: Sagt Richard Münch. Er ist Soziologe an der Uni Bamberg. Vielen Dank!