Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Soziologe: Ein-Euro-Jobs kein Einstieg in feste Arbeitsverhältnisse

Für den Soziologen Martin Bongarts bewegt sich die Chance, durch Ein-Euro-Jobs wieder in feste Arbeitsverhältnisse zu gelangen, im Promillebereich. Arbeitslose würden sogar mit großem Interesse nach Ein-Euro-Jobs nachfragen, da sie darin eine Art letzte Hoffnung sähen, doch nach kurzer Zeit würde sich Frustration einstellen, meinte Bongarts, der eine Initiative für Erwerbslose in Marburg leitet.

Moderation: Hans-Jochim Wiese | 07.11.2005
    Hans-Joachim Wiese: Mitten in die Berliner Koalitionsverhandlungen platzte kürzlich die Hiobsbotschaft, dass die Hartz IV Reform, die ja eigentlich Geld einsparen sollte, das genaue Gegenteil bewirkt hat: Die Ausgaben sind deutlich höher als vom Gesetzgeber erwartet, weshalb die geplante große Koalition sicherlich sämtliche Regelungen auf den Prüfstand stellen muss. Ein Bestandteil der Reform war die Einführung der so genannten Ein-Euro-Jobs. Aber auch die scheint ihr Ziel, mehr Menschen in feste Arbeit zu bringen, nicht zu erreichen. Am Telefon begrüße ich jetzt einen, der es genau wissen muss. Martin Bongards ist Politikwissenschaftler und Mitarbeiter des Arbeitskreises Erwerbslose im DGB Marburg. Wenn ein Arbeitloser in Ihre Beratungsstelle in Marburg kommt und Sie fragt, ob er einen Ein-Euro-Job annehmen soll. Was raten Sie ihm?

    Martin Bongards: Ich rate ihm ganz dringend ab, denn das ist nicht die Autobahnauffahrt in den ersten Arbeitsmarkt, sondern eher die Abfahrt auf das endgültige Abstellgleis.

    Wiese: Gibt es denn überhaupt ein großes Angebot an diesem Ein-Euro-Jobs, so dass die Leute tatsächlich sich bemüßigt fühlen, zu Ihnen zu kommen und danach zu fragen?

    Bongards: Wir vermitteln keine Ein-Euro-Jobs. Das macht die jeweilige Agentur oder Optionskommune eben selber. Aber hier allein im ländlichen Landkreis Marburg-Biedenkopf gibt es sehr viele Ein-Euro-Jobs und die Nachfrage ist von den Erwerbslosen sogar noch größer. Die Erwerbslosen greifen da nach dem letzten Strohhalm und versuchen in diese Maßnahmen hineinzukommen. Nur: Nach ein paar Monaten erleben sie dann die Enttäuschung, wenn sie dann feststellen, dass es eben nicht der Beginn einer Arbeitsmarktintegration ist, sondern einfach nur ausläuft.

    Wiese: Erklären Sie uns das ein bisschen genauer, Herr Bongards, was wissen Sie über die Übernahme von Ein-Euro-Jobbern in feste Arbeitsverhältnisse? Wie oft kommt so was vor? Oder kommt das gar nicht vor?

    Bongards: Allenfalls im Promillebereich. In diesem einen Punkt sind die Träger solcher Maßnahmen ehrlich. Sie sagen den Erwerbslosen, die sich an sie wenden, sofort, dass eine Übernahme nach dem Ein-Euro-Job nicht möglich ist. Übernahme nach Ein-Euro-Jobs sind wirklich die absolute Ausnahme. Es mag zwar hier und da Einzelfälle geben. Aber normalerweise werden keine Leute übernommen in feste Beschäftigungsverhältnisse. Die Argumentation hat sich da auch völlig verschoben.

    Wiese: Erklären Sie bitte welche Argumentation?

    Bongards: Die Argumentation der Arbeitsverwaltung, die Argumentation auch der Kommunalpolitik und die Argumentation auch der Träger. Ging es am Anfang darum zu behaupten, diese Ein-Euro-Jobs seien eine Integrationsmaßnahme, so wird heute vor allen Dingen argumentiert, diese Ein-Euro-Jobs schafften ein anderes Selbstwertgefühl der Erwerbslosen, da sie nun endlich wieder gebraucht würden. Und außerdem wäre es für sie ganz gut, wenn sie mal wieder regelmäßig einer Tätigkeit nachgehen würden. Von einer wirklichen Integration redet heute niemand mehr.

    Wiese: Und dieser zweite Aspekt: Können Sie den denn wenigstens bestätigen?

    Bongards: Das kann ich überhaupt nicht bestätigen. Am Anfang mag das in den ersten Wochen vielleicht sein, aber umso größer ist dann der Frust, wenn die Leute dann feststellen, dass nach einigen Monaten einfach gar nichts mehr kommt. Und wenn dann einfach die Maßnahme ausläuft und sie wieder zu Hause herumsitzen und davon überhaupt nichts haben.

    Und was man auch feststellen kann: Es hieß am Anfang diese Maßnahmen sollen auch Qualifikationsmaßnahmen sein. Das ist also wirklich durch die Realität komplett widerlegt. Die Verdi-Bundesvorstandsverwaltung hat da mal recherchiert und festgestellt, dass der übergroße Teil der Ein-Euro-Jobber ein mittleres bis hohes oder sehr hohes Qualifikationsniveau verfügen, hat. Und dass da also von einer Qualifizierung keine Rede sein kann. Dass eher im umgekehrten Fall eine bestehende Qualifikation einfach ausgenutzt wird. Und die Leute einfach in reguläre Tätigkeiten hineingedrängt werden. Und ja... man irgendwie erkennen kann, dass die öffentliche Hand da einfach nur Geld sparen will.

    Wiese: Das heißt Ein-Euro-Jobber, wenn ich Sie recht verstanden habe, werden zum Teil jedenfalls in durchaus qualifizierte Tätigkeiten vermittelt. Aber sie werden eben nur als Ein-Euro-Jobber bezahlt. Letzten Endes sind sie dann billige Lückenfüller, die noch dazu staatlich bezuschusst werden?

    Bongards: Ja, das kann man so sagen. Die Medienberichte über die Einsatzfelder von Ein-Euro-Jobs lesen sich wie Auszüge aus dem Regelaufgabenkatalog von Kommunen oder Einrichtungen der Kommunen und der freien Wohlfahrtspflege. Also Unterstützung von Hausmeistern bei Reparatur von Gebäuden, Unterstützung bei der Pflege und Instandhaltung von Wegen und Spielplätzen, Unterstützung bei der Stadtreinigung, Unterstützung beim Betrieb von Universitätsbibliotheken, ja... bei wissenschaftlichen Versuchen, bei der Betreuung von Kindern und bei hauswirtschaftlichen Arbeiten in Schulen, Kindertagesstätten und ja Pflegeeinrichtungen. Ich denke, dass man da klar erkennen kann, dass es auf die Substitution von regulären Arbeitsplätzen hinausläuft. Und vielleicht noch zum Hintergrund von 1991 bis 2003 wurde der Personalbestand des öffentlichen Dienstes durch Kürzungen und so weiter um fast 2 Millionen Personen reduziert. Was liegt da näher als die Erwerbslosen, die teilweise sehr hoch qualifiziert sind, einfach als Lückenfüller einzusetzen wie früher die Zivildienstleistenden im Pflegebereich.

    Wiese: Herr Bongards, ich erwähnte eingangs die viel höheren Ausgaben, die Hartz IV verursacht, als der Gesetzgeber erwartet hat. Ist diese Reform, zu der ja auch die Ein-Euro-Jobs gehören, aus Ihrer Sicht gescheitert?

    Bongards: Das kommt darauf an, was man als Ziel definiert. Erstens, dass die Reformen sehr hohe Kosten verursachen würde, hat jeder Kritiker vorhergesagt. Denn man konnte dies am Vorbildmodell ablesen. Eines der Vorbildmodelle war Wisconsin Works eben in Wisconsin in den USA, und selbst von dort war bekannt, dass es zu einer enormen Kostensteigerung gekommen ist. Einfach durch den bürokratischen Aufwand, durch die zusätzlichen Maßnahmen, und durch die Umstellung insgesamt. Das wurde von allen Kritikern vorhergesagt und jetzt ist jetzt hier eingetreten. Zweitens diese Kostensteigerung muss man auch relativieren, in diese Kostenrechnung ist nicht miteingegangen was auf anderer Seite eingespart wurde zum Beispiel beim Wohngeld. Und man muss halt sehen, durch diese Reform ist erstmals beim Bund zentralisiert, also in einer großen Öffentlichkeit zusammengefasst, was an Armut längst existierte und jetzt wird sie halt sichtbar. Und deshalb ist diese Kostensteigerung, diese angebliche, nicht überraschend, und ja wie gesagt das war absehbar.

    Wiese: Danke für das Gespräch. Das war in den Informationen am Morgen der Politikwissenschaftler Martin Bongards. Schönen Dank und auf Wiederhören!

    Bongards: Danke!