Freitag, 29. März 2024

Archiv

Soziologische Studie
Weniger Religiosität, mehr Wirtschaftswachstum

Wohlstand führt zu einem gesellschaftlichen Wertewandel - das glaubte der französische Soziologe Emile Durkheim. Sein Zeitgenosse Max Weber meinte dagegen: Erst wenn sich religiöse Wertvorstellungen geändert haben, kann die Ökonomie aufblühen. Eine aktuelle Studie scheint ihm Recht zu geben.

Von Volkart Wildermuth | 24.07.2018
    Der Soziologe Max Weber
    Der Soziologe Max Weber war überzeugt: Gesellschaftlicher Wertewandel fördert das Wirtschaftswachstum. Eine Studie im Fachmagazin 'Science Advances' gibt ihm Recht. (imago / ZUMA / Keystone)
    Führt eine boomende Wirtschaft dazu, dass religiöse Werte in einer Gesellschaft an Bedeutung verlieren? Oder kann die Ökonomie erst aufblühen, nachdem die Säkularisierung einen Wertewandel bewirkt hat? Damien Ruck von der Universität Bristol hat sich dieses soziologischen Henne-Ei-Problems angenommen:
    "Unser zentrales Ergebnis steht schon im Titel: Generell schwindet die Religiösität bevor sich die Wirtschaft verändert. Damit ist eines klar: Die ökonomische Entwicklung ist nicht die Ursache der Säkularisierung."
    Die Daten sprechen dafür, dass Max Weber Recht hatte
    Werte beeinflussen also vor allem die Wirtschaft, nicht andersherum. Oder für Soziologen: Die Daten sprechen eher für die These von Max Weber, als die von Emilie Durkheim. Und die Daten sind auch der eigentliche Clou der Arbeit von Damian Ruck. Er wollte langfristige Trends bei Werten und Wirtschaft vergleichen. Das Auf und Ab der Ökonomie wird schon lange systematisch begleitet. Dass sich Forscher für Werte interessieren, ist aber eine jüngere Entwicklung.
    Erst seit 1990 befragen Soziologen im Rahmen der sogenannten Welt-Werte-Umfrage regelmäßig repräsentative Gruppen aus 109 Ländern der Erde dazu - von Albanien bis Zimbabwe. Die Leute sollen zum Beispiel sagen, ob Gott in ihrem Leben eine Rolle spielt, wie sehr sie der Regierung trauen, ob sie bei den Steuern tricksen, wie sie zu Abtreibung oder Homosexualität stehen und wie glücklich sie sich gerade fühlen.
    Rekonstruktion historischer Wertvorstellungen
    Aus den vielen Antworten konnte Damian Ruck die durchschnittlichen Werte jedes Landes ableiten. Aber eben erst ab 1990. Dem Sozialwissenschaftler ist aber ein Kniff eingefallen, um Daten für vergangene Jahrzehnte zu rekonstruieren:
    "Wenn sie wissen wollen, was die Leute in den Vierzigern gedacht haben, müssen sie jemanden fragen, der damals gerade erwachsen wurde. Denn obwohl Menschen ihre Einstellungen im Laufe des Lebens verändern, haben die Wertvorstellungen während ihrer Jugend sie geprägt. Es gibt da deutliche Unterschiede zwischen den Generationen, die es erlauben, Rückschlüsse auf historische Wertvorstellungen zu ziehen."
    Jugendliche aus den Vierzigern Jahren waren bei der ersten Welt-Werte-Umfrage 1990 zwischen sechzig und siebzig Jahre alt. Damian Ruck analysierte die Ergebnisse für jedes Land entlang solcher Generationenlinien und konnte dadurch die langfristigen Veränderungen in den gesellschaftlichen Wertvorstellungen mit der wirtschaftlichen Entwicklung vergleichen.
    Schreitet die Säkularisierung voran, wächst die Wirtschaft
    "Unsere Studie zeigt, Veränderungen in den kulturellen Überzeugungen führen zu ökonomischen Veränderungen. Das ist ein statistischer Trend. Wenn die Religion an Bedeutung verliert, profitiert meist die wirtschaftliche Entwicklung."
    Natürlich gibt es Ausnahmen. Die USA sind reich und religiös. Osteuropa sehr weltlich, aber vergleichsweise arm. Deshalb hat Damian Ruck nach anderen Werten gesucht, die eine engere Bindung zur Ökonomie aufweisen.
    "Kulturelle Werte, die Einstellungen der Massen sind viel wichtiger, als wir derzeit denken. Ein Respekt gegenüber den Rechten des Individuums, und das schließt die Rechte der Frauen ein, ist deutlich enger mit der Ökonomie verknüpft, als die Säkularisierung. Bei den Frauenrechten ist das besonders leicht zu verstehen: Wenn nicht nur Männer, sondern auch Frauen arbeiten gehen dürfen, verdoppelt sich die Zahl der Arbeitskräfte. Und das fördert die wirtschaftliche Entwicklung."