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Späte Anerkennung für einen Widerstandskämpfer

Peter Yorck von Wartenburg war neben Helmuth James von Moltke der führende Kopf im Kreisauer Kreis, eine Widerstandsgruppe zur NS-Zeit. Aufgrund der mageren Quellenlage stand er lange im Schatten seiner Mitstreite - mit der auch der Autor der ersten Biografie Yorcks zu kämpfen hatte.

Von Volker Ullrich | 19.03.2012
    Einfühlsam schildert der Autor zu Beginn das schlesische Herkunftsmilieu. Wie Moltke entstammte Yorck einem berühmten preußischen Adelsgeschlecht – sein Ururgroßvater war der General Yorck, der im Dezember 1812, ohne Wissen und Billigung des preußischen Königs, mit dem russischen General von Diebitsch die Konvention von Tauroggen abgeschlossen und damit das Signal zum Befreiungskampf gegen Napoleon gesetzt hatte. Der "Geist von Tauroggen" wurde in der Familie als verpflichtendes Erbe hochgehalten. Während Moltke durch die liberal-angelsächsischen Anschauungen seiner aus Südafrika stammenden Mutter Dorothy geprägt wurde, blieb Yorck viel stärker der konservativen väterlichen Welt verhaftet. Noch im Februar 1941, als beide Freunde bereits eng im Widerstand zusammenarbeiteten, machte Moltke in einem Brief an seine Frau auf den Unterschied aufmerksam:

    "Yorck und ich können doch sehr gut miteinander, wenn ich auch doch ein ganzes Stück weiter links stehe als er."

    Auf die Prägung durch das Elternhaus führt Brakelmann auch die unterschiedliche Reaktion der beiden gelernten Juristen auf den 30. Januar 1933 zurück. Moltke war von Anfang an ein kompromissloser Gegner des Nationalsozialismus und verzichtete bewusst auf eine Anstellung im Staatsdienst. Yorcks Haltung war weniger eindeutig. Zwar trat er nicht der NSDAP bei, doch hatte er keine Probleme damit, als Regierungsassessor unter dem alten Nationalsozialisten Josef Wagner, dem Oberpräsidenten und Gauleiter in Schlesien, zu dienen. Als Wagner im Oktober 1936 zum Reichskommissar für Preisbildung ernannt wurde, nahm er den jungen Verwaltungsjuristen von Breslau mit nach Berlin. Wie sich Yorcks Distanzierung vom Nationalsozialismus und seine Hinwendung zum Widerstand vollzog, das konnte der Autor aufgrund der spärlichen Überlieferung nicht ermitteln. Er vermutet, dass der Pogrom vom 9. November 1938 und die Besetzung der Rest-Tschechoslowakei im März 1939 Yorck die Augen öffneten über den wahren Charakter des Regimes. Endgültig aber dürfte ihn das Wissen um die deutschen Verbrechen in Polen und im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion in seiner unbedingten Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus bestärkt haben. Im Herbst 1941 schrieb er seiner Mutter:

    "Ich höre so viel Schreckliches und Trauriges, dass es ein Verschließen nicht mehr gibt, gleichgültig ob man es unmittelbar zu erleben gezwungen ist oder nur davon hört. Es wird ein Teil des eigenen Lebens."

    Im Januar 1940 war Yorck zu einem ersten Meinungsaustausch mit Moltke zusammengetroffen: die Geburtsstunde des Kreisauer Kreises, in dem sich Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft, politischer Überzeugungen und konfessioneller Bindungen zusammenfanden, um sich auf ein gemeinsames Programm für die Zeit nach Hitler zu verständigen. Brakelmann hebt besonders die integrierende Rolle Peter Yorcks hervor. Darüber hinaus nahm Yorck auch, wie der Autor nachweist, großen Einfluss auf den wirtschaftspolitischen Teil des Programms. Im Anschluss an die Freiburger Nationalökonomen um Walter Eucken und Adolf Lampe strebte er eine soziale Marktwirtschaft an, welche die Vorzüge der persönlichen Freiheit und des Wettbewerbs mit denen der sozialen Sicherheit und der Verpflichtung des Eigentums in Einklang bringen sollte. Im Juni 1942 wurde Yorck in den Wirtschaftsstab-Ost versetzt – eine Behörde, die zu dem Zweck gegründet worden war, die eroberten Gebiete im Osten systematisch auszuplündern. Scharf beleuchtet Brakelmann das moralische Dilemma, das mit der neuen Stellung verknüpft war: Wer Widerstand leisten wollte, der konnte das am ehesten von innen heraus tun, als Angehöriger einer Institution des NS-Staates. Damit setzte er sich jedoch der Gefahr aus, selbst in die Verbrechen des Regimes verstrickt zu werden. Yorck war sich der Problematik bewusst, wie ein Brief an seine Mutter vom Februar 1943 zeigt:

    "Man fragt sich doch immer auch, welchen Teil der Verantwortung man selbst trägt."

    Nach der Verhaftung Moltkes im Januar 1944 führte Yorck die Arbeit der Kreisauer weiter. An den Staatsstreichvorbereitungen seines Vetters Claus Schenk von Stauffenberg war er intensiv beteiligt. Am 20. Juli wurde er in der Bendlerstraße verhaftet. Unerschrocken trat er im Prozess vom 7. und 8. August dem Präsidenten des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, gegenüber. In seinem allerletzten Brief an seine Mutter sprach der die Hoffnung aus:

    "Vielleicht kommt doch einmal die Zeit, wo man eine andere Würdigung für unsere Haltung findet, wo man nicht als Lump, sondern als Mahnender und Patriot gewertet wird."

    Bekanntlich hat es einige Zeit gebraucht, bis sich diese Wertung des Widerstands in der Bundesrepublik durchsetzte. Und noch länger sollte es dauern, bis sich die historische Forschung des Themas annahm. Mit seinen Arbeiten zu den Protagonisten des Kreisauer Kreises hat Günter Brakelmann seinen Teil zur Aufklärung beigetragen. Gewiss, man hätte wie schon der Moltke-Biografie auch seinem jüngsten Werk mehr stilistischen Ehrgeiz gewünscht; doch dass Peter Yorck von Wartenburg nun den Platz einnehmen kann, der ihm neben Helmuth von Moltke gebührt, das ist ein großer Gewinn.

    Günter Brakelmann: "Peter Yorck von Wartenburg. 1904-1944. Eine Biografie", Verlag C. H. Beck, 336 Seiten, 24,95 Euro, ISBN: 978-3-406-63019-4