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Späte Würdigung von NS-Opfern

Nach 20 Jahren Diskussion und Planung wird nun das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin eingeweiht. Lange Debatten um die Notwendigkeit eines Mahnmals für Sinti und Roma, den Standort und sogar um die Inschrift gingen dem voraus.

Von Melanie Longerich | 23.10.2012
    "If you have this stone and you don’t have a better one, you can put it like that or like that. Ja?"

    Berlin. Tiergarten. Mitte September. Auf einer kleinen Lichtung gegenüber dem Reichstagsgebäude wird unter Hochdruck gearbeitet. Morgen wird das Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma endlich eingeweiht. Mittendrin: Der israelische Künstler Dani Karavan. Der schmächtige Weißhaarige schaut konzentriert auf einige Steinplatten, die sich um eine große Wasserschale fügen.
    Der 81-Jährige hat ein Bündel Schablonen in der Hand. Die ausgestanzten Buchstaben setzen sich zu Namen zusammen: Auschwitz, Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau, Majdanek, Ravensbrück, Treblinka, Warschau …

    "Im Moment sind wir dabei, 71 Namen von verschiedenen Konzentrationslagern hier auf die Steinplatten zu verteilen und einzugravieren. Eigentlich sind es 300 Lager gewesen, in denen Sinti und Roma während der NS-Zeit ermordet wurden ... Da in der Becken-Mitte sieht man einen dreieckigen Stein, der an den Winkel erinnern soll, den Sinti und Roma in den Lagern tragen mussten. Der hebt sich jeden Tag mit einer frischen Wiesenblume aus dem schwarzen Wasser empor und senkt sich dann zu einem festen Zeitpunkt wieder ab."

    Der Künstler wünscht sich jeden Tag eine frische Wiesenblume. Wegen der Blumen muss das Mahnmal täglich gepflegt werden, jeder Tag soll so zum Gedenktag werden, erklärt Karavan.

    Morgen wird Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Einweihung des Mahnmals reden. Gäste aus ganz Europa und den USA werden erwartet. Romani Rose scheint es noch nicht glauben zu können, dass der große Tag nun tatsächlich bevorsteht. Der Vorsitzende des deutschen Zentralrats der Sinti und Roma trägt schwarzen Anzug, seine frisch geputzten Schuhe sind mit Schlamm bespritzt. Den 66-jährigen Sinto aus Heidelberg beschäftigt das Mahnmal seit 20 Jahren. Immer wieder kam es zu Querelen: Erst um den Standort, dann um die Inschrift. Und 2008 zerstritten sich schließlich Künstler und Berliner Senat.

    "Natürlich hat es in den zwei Jahren keine Entwicklungen gegeben. Und wir haben heute einen schönen Tag. Die Arbeiter arbeiten. Es gibt den konkreten Termin mit der Zusage, die Bundeskanzlerin kommt. Die Bundesrepublik und die Bundesregierung stellen sich damit eben auch diesem Teil der Geschichte. Für mich ein schöner Tag."

    Je nach Schätzung wurden von den Nationalsozialisten europaweit zwischen 200.0000 und 500.000 Sinti und Roma ermordet. Auch in Deutschland habe es kaum eine Familie gegeben, die nicht betroffen war, sagt Romani Rose: Von Zwangssterilisationen, von der Deportation in die Vernichtungslager.

    Etwa 70.000 Sinti und Roma zählt man heute in Deutschland - Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien, die in den 1970er-Jahren als Gastarbeiter ins Land kamen, noch nicht eingerechnet. Viele der Überlebenden des Nazi-Terrors sind jedoch längst verstorben, nur noch etwa 90 Personen können noch über die schreckliche Zeit damals erzählen. Rose will, dass sie miterleben, wie die Bundesregierung ihr Versprechen umsetzt und auch an die Opfer der Sinti und Roma erinnert.

    Sagt er - und weicht einem Bagger aus.

    Rose hat lange dafür gekämpft: Jeder Berlin-Tourist, auch jeder Politiker, der künftig vom Reichstag aus direkt auf das Mahnmal blickt, soll wissen, dass die Nazis nicht nur an den Juden, sondern auch an den Sinti und Roma einen systematischen Völkermord begangen haben, legitimiert durch den sogenannten "Auschwitz-Erlass" des SS-Chefs Heinrich Himmler vom 16. Dezember 1942. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg wollte sich die neu gegründete Bundesrepublik Deutschland damit lange nicht befassen.

    "Der Holocaust an den 6 Millionen Juden ist von Adenauer mit der Gründung der Bundesrepublik anerkannt worden, das war 1949. Das war eine wichtige Voraussetzung, damit die neu gegründete Republik wieder in die Zivilisation der internationalen Staatengemeinschaft aufgenommen wird. Moralische und finanzielle Wiedergutmachung zu leisten und die Verbrechen anzuerkennen. Im Falle unserer Minderheit hat das für den deutschen Staat zunächst überhaupt keine Rolle gespielt."

    Sinti und Roma galten lange als "sozial" und nicht als "rassistisch" Verfolgte. Deshalb waren die Überlebenden vom Bundesentschädigungsgesetz ausgeschlossen. Und obwohl auch ihre Vorfahren – vornehmlich Sinti - schon seit dem 14. Jahrhundert in Deutschland lebten, bestimmen bis heute Vorurteile das Bild: Die vom fahrenden Volk, das stiehlt und bettelt, tanzt und musiziert. Dabei waren damals und heute die meisten integriert, betont Romani Rose. Sie waren Arbeiter und Angestellte, sie waren sogar Soldaten in der Kaiserlichen Armee.

    Dass sie Sinti und Roma waren, verschwiegen die meisten – aus Angst vor Verfolgung und Diskriminierung. Die Historikerin Karola Fings, stellvertretende Direktorin des Kölner NS-Dokumentationszentrums, beschäftigt sich schon lange mit der Minderheit:

    "Anders als bei der jüdischen Gruppe gab es nach 1945 keine wirksame Tabuisierung des Rassismus gegen Sinti und Roma. Es gab eine auffallend hohe Kontinuität genau innerhalb der Behörden, die für die Verfolgung der Sinti und Roma verantwortlich waren, und es gab gesamtgesellschaftlich nach wie aktive Diskriminierung gegen diese Minderheit."

    Dass es nicht nur die Shoa gab, sondern auch den Porajmos - den Völkermord an den Sinti und Roma – das erkannte die Bundesregierung unter Helmut Schmidt erstmals im Jahr 1982 an.

    Die Entscheidung für ein Mahnmal fiel zehn Jahre später unter Bundeskanzler Helmut Kohl. Der CDU-Politiker wollte jedoch die Erinnerung an einem Ort bündeln. Schinkels "Neue Wache" in Berlin sollte pauschal allen Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft gewidmet sein: Den NS- und Stasi-Opfern ebenso wie gefallenen SS-Männern, erzählt die Historikerin Karola Fings. Doch Ignatz Bubis, damals Vorsitzender des Zentralrats der Juden, stellte sich quer – man könne nicht an einem Ort gleichzeitig an Kriegs- und Verfolgungsopfer erinnern, kritisierte er.

    Kohl versprach ein separates Holocaust-Mahnmal. Dann überzeugte die Publizistin Lea Rosh jedoch die Regierung, den jüdischen Verfolgten ein eigenes Mahnmal zu widmen. Der millionenfache Mord an ihnen sei ein einzigartiger Vorgang gewesen, argumentierte sie. Rosh’ Förderverein sammelte Geld. Und Romani Rose als Vertreter der Sinti und Roma fühlte sich übergangen. Die Historikerin Karola Fings:

    "Es gab eine lange Debatte, es gab eine lange Reihe von Argumenten für und wider, kann man für beide Opfergruppen ein Denkmal machen und aufgrund der doch unterschiedlichen Vorstellungen und natürlich auch der anderen – ich will nicht sagen der besonderen – aber der anderen Stellung des Holocaust allein aufgrund der Quantität der Opfer war natürlich klar, dass wenn auch die Sinti und Roma ein Denkmal bekommen sollen, dass es nur in Form eines zweiten Denkmals sein kann."

    Der Zentralrat der Juden betonte die Einmaligkeit der Shoa – der Zentralrat der Sinti und Roma monierte, dass ihre Minderheit auch vom NS-Regime ausgerottet werden sollte. Die damalige Bundesregierung wollte diese schmerzhafte Diskussion um die Hierarchisierung von Opfern beenden und versprach den Sinti und Roma schließlich am 24. April 1992 ein eigenes Mahnmal. Daraufhin sicherte der Berliner Senat informell ein Grundstück gegenüber dem Reichstag zu. Es war das erste und einzige Mal, dass ein Mahnmal ohne Zustimmung des Bundestages beschlossen wurde.

    Dieser Beschluss von oben herab und die Debatte um den Wert einer Opfergruppe sind für die Historikerin Karola Fings bis heute die Hypotheken, die das Denkmal zu tragen hat. Und eine weitere kommt hinzu: Anders als beim Holocaust-Mahnmal für die ermordeten Juden zeigten wechselnde Regierungen und Minister kaum Engagement für das Gedenken an Sinti und Roma:

    "Es gab für das Holocaust-Mahnmal einen Förderkreis, ohne den nie dieses Denkmal realisiert worden wäre, das ist vollkommen klar, das gab es für das von den Sinti und Roma nicht. Da merkt man, dass von vorneherein gesagt wurde, dann machen wir für die auch etwas. Da fehlt mir als Bürgerin – und nicht nur als Historikerin das Herzblut, das muss ich ehrlich sagen."

    Dass es an politischer Unterstützung fehlt, zeigte sich schnell. Während für das Mahnmal der jüdischen Opfer der Standort Nahe des Brandenburger Tores gesetzt war und die erste Ausschreibung des Architektenwettbewerbs schon lief, stritt sich der Zentralrat der Sinti und Roma mit Berlins Regierendem Oberbürgermeister Eberhard Diepgen um den Standort.

    Einige Senatsmitglieder hatten dafür zwar den Tiergarten zugesagt, doch der CDU-Politiker wollte das Mahnmal an den Stadtrand verbannen. Berlin dürfte nicht zur "Erinnerungsmeile" verkommen, begründete er seinen Vorschlag. Daraufhin lancierte der Zentralratsvorsitzende Romani Rose im Sommer 2000 einen Appell für das Mahnmal, den viele Prominente im In- und Ausland unterschrieben. Diepgen lenkte schließlich ein.

    "Wir sind der Meinung, dass es tatsächlich eine Aufarbeitung braucht, dass sie sichtbar sein muss, dass sie Gestalt annehmen muss. Und da kann man nicht einzelne Opfergruppen hierarchisch anderen unter- oder überordnen, insofern ist es jetzt seit 20 Jahren Konsens, dass auch die Sinti und Roma hier ihren Platz brauchen."

    Die CDU-Bundestagsabgeordnete Monika Grütters. Ihr Büro im Paul-Löbe-Haus liegt nur einen Steinwurf vom neuen Denkmal entfernt. Die Vorsitzende des Kulturausschusses saß im Berliner Abgeordneten-Haus, als Eberhard Diepgen die Stadt regierte:

    "Es wird Zeit, dass es nun endlich fertig und öffentlich zugänglich wird. Dann hat es natürlich eine positive Aussage, während es bislang ein Problemthema war."

    Während nämlich das Stelenfeld zum Gedenken an die ermordeten Juden im Jahr 2004 langsam aber sicher Gestalt annahm, und auch das Mahnmal für die homosexuellen Opfer der NS-Diktatur längst beschlossen war, ging bei den Sinti und Roma der Streit in die nächste Runde. Jetzt zerstritten sich die Opfergruppen bis aufs Mark.

    Der Zankapfel: Die Inschrift am Mahnmal. Der Zentralrat wollte den ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zitieren. Er hatte 1997 gesagt, dass der Völkermord an den Sinti und Roma – Zitat - aus demselben Motiv des Rassenwahns und mit der gleichen Endgültigkeit geschah wie bei den Juden. Zitat Ende. Doch die Kölner Sinti-Allianz – eine kleine Opfervertretung mit unbekannter Mitgliederzahl - lehnte diese Inschrift ab. Sie grenze andere Stämme aus, argumentierte die Vorsitzende Natascha Winter damals und forderte, den Begriff "Sinti und Roma" durch die Bezeichnung "Zigeuner" zu ersetzen:

    "Dieses Denkmal ist nicht für Sinti und Roma, dieses Denkmal ist für alle Zigeuner. Ich definiere mich stolz als Zigeunerin, weil meine Eltern, meine Großeltern, meine Verwandten sind als Zigeuner verfolgt worden. Und dieses Wort Zigeuner tragen wir mit Stolz."

    Den Begriff Zigeuner wiederum empfand der Zentralrat als beleidigend – gerade weil die Nationalsozialisten ihn missbraucht hatten.

    Die damalige Kulturstaatsministerin Christina Weiss war überfordert. Skurrile Randgeschichten machten die Runde: Weiss’ hilfloser Vorschlag etwa, das Wort "Zigeuner" doch einfach durch das englische Fremdwort "Gipsy" zu ersetzen, führte bei allen Beteiligten zu Kopfschütteln. Im Jahr 2005 übernahm Bernd Neumann das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien – doch er machte keine bessere Figur. Die Historikerin Karola Fings:

    "Man hat die Verantwortung an die Opfer delegiert, man hat gesagt 'einigt Euch, sonst gibt es nichts'. Da sind wir wieder an dem Punkt, dass diese Verantwortung fehlt, dass es natürlich, selbstverständlich eine Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft ist, also mit den Opfern und den Nachfahren der Opfer zusammen, hier einen gemeinsamen Vorschlag zu entwickeln und den dann auch starkzumachen."

    Monika Grütters, Vorsitzende des Kulturausschusses, ist anderer Meinung:

    "Wenn sich die Opfergruppe selbst nicht einigen kann, wäre es ja eine Anmaßung gewesen, wenn jemand von Bundesseite versucht hätte, diesen Streit durch ein autoritäres Wort zu schlichten. Bis zum Bundespräsidenten-Ebene zweimal Roman Herzog und auch Johannes Rau haben ihre Hilfe angeboten, indem sie Textentwürfe geliefert haben, und wir – finde ich – können schon erwarten, dass die Opfergruppen ihre Interessen gemeinsam artikulieren."

    Im Jahr 2008 dann endlich der Kompromiss: Statt des Herzog-Zitats einigten man sich auf eine Chronologie der Verfolgung, die Karola Fings vom NS-Dokumentationszentrum in Köln gemeinsam mit Historikern vom Institut für Zeitgeschichte in München erarbeitet hat. Auf zwei großen Glastafeln neben dem Mahnmal wird nun über die Deportation der Sinti und Roma zwischen 1933 bis 1945 informiert und genau beschrieben, wer von den Nazis als "Zigeuner" verfolgt wurde.

    Der Streit hätte nicht derart eskalieren dürfen, kritisiert Volker Beck, erster parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen. Beck sitzt im Kuratorium der Stiftung "Denkmal für die ermordeten Juden Europas". Die Stiftung wird künftig auch das neue Mahnmal betreuen. Der Kulturstaatsminister Bernd Neumann hätte viel früher vermitteln müssen:

    "Ich hab ihm damals auch mehrmals geschrieben, weil ich das Gefühl hatte, dass man gar nicht undankbar war, dass man sich nicht einigen konnte und damit das ganze Projekt anhalten konnte. Und das fand ich nicht verantwortlich, weil ich finde, es gibt ein Interesse der Bundesrepublik Deutschland dieser Geschichte zu gedenken."

    Kulturstaatsminister Bernd Neumann will sich zur Debatte um das Mahnmal nicht äußern. Aus seinem Umfeld heißt es, Neumann wolle einfach nur die Eröffnungsfeier hinter sich bringen - ohne neuen Streit.

    Angesichts der Vorgeschichte geht das vielen Beteiligten ähnlich – sie wollen ihren Ärger aber nicht ins Mikrofon sprechen. Aus dem Umfeld der Stiftung "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" heißt es, viele Dinge seien noch immer nicht geklärt: Ist das Denkmal behindertengerecht? Oder anderes Beispiel: Wo sollen die – vom Künstler gewünschten - Wiesenblumen herkommen, die auf dem Stein im Wasserbecken des Mahnmals liegen werden? Diese Blume soll täglich erneuert werden – doch von wem ist bis heute nicht geklärt.

    Fragen, die weder Romani Rose und noch der Künstler Dani Karavan beantworten. Karavan hat sich zwischen Rose und dem Wasserbecken aufgebaut und zieht mit seinen Armen große Kreise:
    "Sie sehen die Reflexion von der Reichstag. Bumm. Im der schwarze Wasser, in der dunkle Wasser. Das ist so eine Beethoven-Eröffnung von einer Symphonie. Papaaa!"

    "Ja. Wissen Sie, das genau entspricht, Herr Karavan, unseren Vorstellungen."

    Ein Mahnmal, das zum Meditieren und Innehalten einladen soll, stellt sich Rose vor. Der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma scheint froh, dass mit der Einweihung alle Streitigkeiten endlich ein Ende haben. Mit dem morgigen Tag wolle er nicht mehr daran denken. Zumal er sich in den vergangenen Wochen mit anderen Dingen beschäftigen musste.

    Zum Beispiel mit der Tatsache, dass ihn das Neumann-Büro lange Zeit nicht als Redner bei der Eröffnung vorsah. Angeblich, so heißt es von verschiedenen Seiten, weil der Kulturstaatsminister auf der Feier keinen neuen Streit zwischen den Opfergruppen riskieren wollte. Die Vorsitzende der Kölner Sinti-Allianz, Natascha Winter, ist im Frühsommer gestorben. Jetzt darf Romani Rose reden.

    Doch damit nicht genug: Die Einladungen zur Eröffnungsfeier wurden erst vor drei Wochen verschickt. "Unangenehm sei das", war aus dem Zentralrat in Heidelberg zu hören. Besonders, weil geladene Gäste aus dem Ausland Flüge buchen mussten. Besonders ärgerlich aber sei, dass die eingeladenen Zeitzeugen mit einem Bahnticket zweiter Klasse nach Berlin reisen müssen. Viele der Auschwitz-Überlebenden aber sind so alt, dass sie kaum noch laufen können.

    Dagegen scheinen die Querelen zwischen dem israelischen Künstler Dani Karavan und der Berliner Bauverwaltung fast grotesk. Die stritten sich seit Grundsteinlegung 2008 um Material, die Schwärze des Beckens und um die Anzahl der Flugtickets nach Berlin. Derweil ging die Baufirma pleite, ein Baustopp folgte. Im letzten Sommer übernahm dann der Bund die Verantwortung für die Bauausführung – bei keinem anderen Denkmal ist das je vorgekommen.

    Auch diese Querelen wären vermeidbar gewesen, kritisiert die Historikerin Karola Fings. Dann nämlich, wenn der international renommierte Künstler Dani Karavan nicht von Beginn an auf Wunsch Romani Roses gesetzt gewesen wäre.

    Man hätte vom Mahnmal für die jüdischen Holocaust-Opfer lernen können, davon ist die Historikerin überzeugt. Dort gab es gleich zwei Wettbewerbe. Auch dieses Denkmal sei lange umstritten gewesen, auch hier sei schmerzhaft diskutiert worden. Aber diese Diskussionen hätten ein neues Bewusstsein für jüdisches Leben in Deutschland geschaffen:

    "So ein Denkmal ist ja auch ein öffentlicher Ort der Vergewisserung, das heißt, es können sich da Gedenktraditionen etablieren. Und es kann ein Ort des Nachdenkens werden und ein Ort der Anregung, über solche Themen nachzudenken, über die Minderheit nachzudenken."

    Die Historikerin hofft, dass das Mahnmal für die Opfer der Sinti und Roma in fünf Jahren eine ähnliche Erfolgsgeschichte haben wird wie das für die jüdischen Opfer – Letzteres zählt heute zu den meistbesuchten Denkmälern in Deutschland. Und sie hofft, dass mit dem neuen Mahnmal eine Debatte darüber angestoßen wird, wie man in Europa mit den aktuellen Herausforderungen der Roma aus Südosteuropa umgehen sollte. Ähnliches wünscht sich auch Volker Beck von den Grünen:

    "Wenn wir uns als deutsche Politik und auch als europäische Politik nicht begreifen, dass die Roma ein europäisches Volk sind, sie kann man nicht einem Land zuordnen, aber sie gehören zu uns, sie sind seit Jahrhunderten in Europa und daran arbeiten, dass sie Chancen bekommen, setzen wir diese soziale Ausgrenzung, die Stigmatisierung und die Verzweiflungsstrategien, die dann auch wieder zu Ablehnung führen, weil sie sozial auffällig sind, setzt sich das immer weiter fort."

    Darüber will Romani Rose morgen mal nicht nachdenken. Bei der offiziellen Einweihung des Mahnmals geht es dem 66-Jährigen darum, dass den, von den Nazi ermordeten Sinti und Roma endlich würdig gedacht wird.

    "Ich hoffe, dass dieses Denkmal von der deutschen Gesellschaft nicht als eine Übertragung oder Zementierung von Schuld gesehen wird. Aber wir haben eine gemeinsame Verpflichtung – und da beziehe ich uns mit ein – die Demokratie zu schützen. In der Demokratie können wir alles kritisieren, und die Kritik trägt oftmals dazu bei, dass es besser wird."