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Später Familientraum

Der Schriftsteller John von Düffel hat einen neuen Roman veröffentlicht, der ein aktuelles gesellschaftliches Thema aufgreift und es gleichzeitig von einer sehr persönlichen Perspektive erzählt. Was passiert, wenn man sich in späten Jahren noch ein Kind wünscht? Kann der Familientraum noch zur Wirklichkeit werden?

Von Annette Brüggemann | 24.09.2007
    " Wenn meine Frau und ich in fünf Jahren die Augen aufschlagen und auf uns heute zurückblicken, wird unser Leben nicht mehr dasselbe sein. Wir werden uns gegenseitig ein bisschen damit aufziehen, wie wir damals die ersten Ultraschall-Bilder zur Hand genommen und angestarrt haben, fassungslos und verzückt. Meine Frau wollte sie rahmen lassen, werde ich behaupten, obwohl das meine Idee war und sie wird sagen, ich hätte mir eines aus ihrem Mutterpass geklaut, um es immer bei mir zu tragen, obwohl ich nur Witze gemacht hatte. Doch all das wird sehr lange her sein und fast schon nicht mehr wahr. Unser Kind wird einen richtigen Namen tragen und nicht mehr "Obsklappt" heißen, wie wir es damals nannten, wo wir noch nicht wussten, ob es klappt. Also, es gab den Vorschlag, das ganze Buch "Obsklappt" zu nennen, aber das hätte seitens der Presse vielleicht auch Kommentare herbeibeschworen, die nicht ganz so günstig gewesen wären. "

    Humor kommt in John von Düffels neuem Roman nicht zu kurz. Er nähert sich einem prekären Zeitgeisthema ohne in Klischees oder Posen zu verfallen, mit der nötigen Distanz und Ironie.

    So besitzt auch der Titel des Romans eine gewisse Doppelbödigkeit, sind doch biologisch gesehen die besten Jahre schnell vorbei. Mit 20 lässt angeblich die männliche Virilität nach und für Frauen tickt spätestens mit 40 die biologische Uhr. Lisa und ihr Mann wollen mit Anfang Vierzig noch ein Kind bekommen und auf Kommando ist da leider nichts zu machen.

    "Ich habe mich für einen Weg entschieden, mich dem Thema erstmal mit Humor zu nähern, aber nicht um dem Thema auszuweichen, sondern um auch an die Bereiche ranzukommen, die vielleicht dann auch ein bisschen weh tun oder schön unschmerzlich zugleich sind."

    Wieder einmal greifen bei John von Düffel Recherche, Leben und Roman eng ineinander. Für sein Buch "Ego", das unseren Körper- und Fitnesskult parodiert, veranstaltete er ein Selbstexperiment mit Langstreckenläufen und Hanteltraining. Dass John von Düffel ein passionierter Schwimmer ist, wurde mit seinem wunderbar atmosphärischen Roman "Vom Wasser" offensichtlich. Der übliche Hinweis, dass sämtliche handelnde oder auch nicht handelnde Personen, einschließlich des Ich-Erzählers, frei erfunden sind, erhält für "Beste Jahre" eine besondere Bedeutung: Der 40-jährige John von Düffel und seine Frau haben vor ein paar Monaten eine Tochter bekommen. Von trockenem Romanstoff kann da keine Rede sein.
    Während John von Düffel sich in seinem Familienroman "Houwelandt" noch mit dem "Sohnsein" auseinandergesetzt hat - sein neues Buch taucht psychologisch in die Vaterrolle ein. Und während in "Houwelandt" und in "Vom Wasser" Familie noch etwas Selbstverständliches war, so ist sie jetzt schlichtweg eine Möglichkeit.

    "Früher war das eine Selbstverständlichkeit, dann hatte man dann irgendwann Kinder, also spätestens so Ende 20 war das dann soweit. Heute ist es die Option und für die meisten auch die ewig aufgeschobene Option. Es ist ja immer so das Kind, was ich in zwei Jahren haben werde. Und das schiebt man dann aus verschiedenen Gründen hinaus, erstens das Studium, dann denkt man, naja, ich muss mich im Beruf ein bisschen festigen, dann sagt man, ah, jetzt hab ich grad bei diesem Betrieb angefangen oder in dieser Firma oder in diesem Theater oder wo auch immer und jetzt muss ich mich hier noch ein bisschen mehr verwurzeln, setteln. Und das heißt also auch, dass diese Absurdität entsteht, dass wir in den Jahren, wo wir eigentlich am Fruchtbarsten wären, die ganze Zeit damit beschäftig sind, Kinder zu verhindern, um sie dann in den Jahren, wo es eigentlich schon nicht mehr so gut funktioniert, mit aller Macht wieder zu ermöglichen."

    Mit einem klaren und sinnlichen Ton taucht John von Düffel in die intime Beziehung von Lisa und dem Ich-Erzähler ein. "Truman Show" nennen sie ihre Beziehung, die so beängstigend harmonisch dahinplätschert, als wäre wie im gleichnamigen Kinofilm die Realität von der Fiktion nicht mehr zu trennen.

    Und auch die Geschichte einer Männerfreundschaft wird erzählt, die des Ich-Erzählers und seines Jugendfreunds HC. An wichtigen Wegkreuzungen ihrer Biographie begegnen sie sich immer wieder, so auch dann, als beide feststellen, wie lange sie die "Option Familie" bereits aufgeschoben haben. Sie treffen sich nach 20 Jahren - wie der Zufall so will - beim Urologen, lassen sich die Spermien zählen und treten gemeinsam an im Fruchtbarkeitswettbewerb.

    "Für mich ist das genau das Thema Möglichkeiten. Eigentlich sind die beiden wie Möglichkeiten ein und derselben Person. Es gibt diesen Punkt am Anfang vom Studium, wo der eine sich entscheidet, den von den Vätern empfohlenen Weg zu gehen und Jura zu studieren und Jurist zu werden. Und der Andere ist so ein bisschen das Enfant terrible, der Ungezogene, nicht ganz strahlende, glänzende Sohn und der geht den anderen Weg über das Theater, über die Kunst und natürlich auch über die Provokation. Und in gewisser Weise messen die sich ja auch und vergleichen die sich ja auch immer, sie stehen in einer gewissen Rivalität. Und diese Rivalität hat auch etwas Zerstörerisches, zumindest in Gedanken. Ich will jetzt den Schluss nicht verraten, aber darauf läuft es hinaus, dass zumindest die eine Möglichkeit die andere Möglichkeiten ausschalten, umbringen muss."

    Der Familienwunsch wird zur Schicksalsfrage. Ihr Glück hängt schlichtweg von den Genen ab und HC rückt zum Schluss mit einer ungeheuren Bitte heraus, die zum Belastungstest für beide wird.

    Spielerisch durchleuchtet John von Düffel in seinem Roman eine Gesellschaft, die sich dem "Möglichkeitssinn" verschrieben hat und die Leichtigkeit eines "everything is possible" feiert. Dabei wird vergessen, dass so mancher Wunsch, der auf die lange Wartebank geschoben wurde, auf biologische Grenzen stößt.

    "Man denkt ja immer, die Technik kann da alles machen, aber tatsächlich ist es so, dass in der medizinischen Realität die Quote derer, die dann wirklich schwanger werden, ein Kind bekommten, nur bei 30 Prozent liegt. Das heißt, die Chancen stehen noch nicht mal 50:50, dass dann, wenn man es sich überlegt, alles klappt. Diese Verfügbarkeit ist also in gewisser Weise auch wieder eine Lüge. "

    Für Lisa und ihren Mann geht alles noch einmal gut aus: "Obsklappt" ist nicht nur eine schöne Hoffnung geblieben, sondern zu einem faszinierenden Fötus auf dem Ultraschallbild geworden, der ihre eingespielte Zweierbeziehung in Zukunft auf den Kopf stellen wird.
    Im Vergleich zu John von Düffels letztem Roman "Houwelandt", der trotz und vielleicht gerade aufgrund des rhetorischen Geschicks des Autors in mancher Hinsicht konstruiert erschien, ist "Beste Jahre" mit Leben und einer erzählerischen Dringlichkeit erfüllt, witzig und tiefgründig.
    Und auch wenn der Roman mit einem Happy End endet, ist es kein Plädoyer fürs Kinderkriegen und John von Düffel keine "Ursula von der Leyen der Literatur", wie er selbst im Interview scherzte. Die Fragilität des Modells Familie wird an keiner Stelle vergessen. So ist "Beste Jahre" zu guter Letzt eine zärtliche Geschichte über das Leben und den Mut zum Risiko.

    "Es wird einem bewusst, dass man nicht selbst der Autor seiner Geschichte ist, sondern dass man natürlich auf viele äußere Faktoren angewiesen ist, gesellschaftliches Umfeld, Freunde, Bekannte und dann auch so ein bisschen so was wie ein Segen. Denn natürlich kann niemand auf sein Kind oder auf das werdende Leben so acht geben, dass sicher ist, dass dem nichts passiert. Und das heißt, was mit dem Phänomen Familie, mit dem Phänomen Kind verbunden ist, ist einfach ein Gefühl für die unglaubliche Verletzlichkeit auch. Und ich hoffe, dass man so ein bisschen auch diese Bereiche berührt, weil das ist so etwas, was, glaube ich auf dem Weg vom Paar zur Familie der größte Sprung ist, dass man merkt, man ist viel mehr angewiesen auf eine Form von Gesellschaft, auf ein Umfeld. Man ist viel abhängiger, verletzbarer, angreifbarer, als man das so als Single oder als Paar zu sein scheint."


    Der Roman "Beste Jahre" von John von Düffel ist am 30. August im DuMont-Verlag erschienen und umfasst rund 300 Seiten zum Preis von 19,90 Euro. (ISBN 978-3-8321-8035-5)