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"Spanien hat eine echte Bankenkrise"

Das spanische Bankensystem sitze auf einer großen Schuldenblase, sagt Sven Giegold, finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. Um Ansteckungseffekte auf andere Staaten zu verhindern, sei es daher dringend notwendig, die Banken zu stabilisieren - allerdings nicht ohne Bedingungen.

Sven Giegold im Gespräch mit Gerd Breker | 27.04.2012
    Gerd Breker: Im Grunde war es klar: Die Ruhe, sie war nur trügerisch. Mitnichten ist die Euro-Krise gelöst und vorbei. Fiskalpakt hin oder her – die Ratingagentur Standard & Poor’s hat Spanien herabgestuft, trotz aller Sparbemühungen, trotz aller Reformbemühungen der Regierung. Vielleicht aber auch genau deswegen, denn die spanische Wirtschaft, sie liegt danieder, die Arbeitslosigkeit, insbesondere die Arbeitslosigkeit unter den jungen Spaniern, liegt gar über 40 Prozent, fast die Hälfte der Jugend sucht Arbeit. Die Euro-Krise ist wieder da, Spanien wird wohl den Weg unter den Rettungsschirm suchen müssen und damit ungewollt Italien in den Fokus der Märkte rücken.
    Wenige Tage nach dem Rücktritt der niederländischen Regierung hat das Parlament in Den Haag umfangreichen Sparmaßnahmen zugestimmt. Der Haushalt für das kommende Jahr mit den darin enthaltenen Maßnahmen wird die Kriterien der Europäischen Union erfüllen. Im Streit um diese Sparmaßnahmen war die Minderheitsregierung von Mark Rutte gescheitert. Die Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders, sie hatte sich dem Sparen verweigert. Am Abend dann hatten sich drei kleinere Parteien mit Ruttes Rechtsliberalen und den Christdemokraten aus einer bisherigen Regierung auf wichtige Haushaltskürzungen geeinigt. Wie auch immer: Der Grund des Scheiterns ist eigentlich weg, aber die Euro-Krise, sie hat eine weitere Regierung scheitern lassen.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Grünen-Europaabgeordneten Sven Giegold, finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion und auch Mitbegründer von Attac Deutschland. Guten Tag, Herr Giegold.

    Sven Giegold: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Die Abstufung Spaniens – lassen Sie uns mit Spanien beginnen – bedeutet, dass es für dieses verschuldete Land noch teurer wird, sich Geld zu beschaffen – ein Drama.

    Giegold: Ja. Zunächst mal ist ja erfreulich, dass die Urteile der Ratingagenturen an den Märkten nicht mehr den gleichen scharfen Einfluss hatten. Aber noch interessanter als die Abstufung ist die Begründung, und die Begründung der Ratingagentur ist sehr klar. Sie sagt nämlich, die Schuldenziele und Defizitziele sind nicht zu erreichen, wenn es nicht gleichzeitig eine Politik für mehr Wachstum gibt, und davon ist nach wie vor wenig zu sehen und deshalb rutscht Europa immer tiefer in die Krise.

    Breker: Herr Giegold, wann wird Spanien unter den Rettungsschirm schlüpfen müssen?

    Giegold: Solche Vorhersagen bringen nicht sehr viel. Aber man kann es so sagen: Das spanische Bankensystem sitzt auf einer großen Blase an Schulden, die beruhen auf der Nichtabwertung von Immobilienkrediten. Die Preiskorrektur bei den Immobilien ist auf dem Weg und dann irgendwann werden die Banken die entsprechenden Verluste zu tragen haben, und deshalb ist dringend notwendig, dass wir europäisch, um diese Ansteckungseffekte auf die Staaten zu verhindern, auch die Banken stabilisieren.

    Breker: Das heißt, die Banken sollten Zugriff auf die Gelder des Rettungsschirms haben?

    Giegold: Ganz genau, aber natürlich nicht ohne Bedingungen, sondern eben mit Bedingungen. Was wir im Moment haben ist: Die Europäische Zentralbank hat mit Zustimmung der Mitgliedsländer im Rat, mit faktischer Zustimmung, in großem Maße über 1000 Milliarden Euro ohne Bedingungen an das Bankensystem übergeben, für drei Jahre mit ein Prozent Zins. Damit ist nicht sehr viel in der mittleren Frist erreicht worden. Die Banken hatten keine Bedingungen. Wenn sie Geld aus dem EFSF bekommen, sollten sie genauso Bedingungen erfüllen wie die Staaten, nämlich die Realwirtschaft mit Kredit versorgen und ihre Geschäftsmodelle verändern.

    Breker: Wenn nun Spanien den Rettungsschirm in Anspruch nehmen müsste, wenn die Banken den Rettungsschirm in Anspruch nehmen, dann ist doch eins gewiss: Der nächste Kandidat ist Italien und der Rettungsschirm auf jeden Fall ist zu klein dimensioniert.

    Giegold: Der Rettungsschirm ist zu klein dimensioniert. Das Problem beginnt auch schon recht schnell mit Spanien, weil die effektive Ausleihkapazität trotz aller Zahlen-Jonglage beim letzten Ecofin nicht ausreichend groß ist. Dass Italien automatisch dann auch darunter landet, würde ich so noch nicht unterschreiben. Ich halte es auch nicht für seriös, die beiden Länder in einen Topf zu werfen, denn Spanien hat eine echte Bankenkrise, Italien hat keine Bankenkrise. Wenn Sie in die Daten der beiden Länder schauen: Italien hat nach wie vor eine starke Industrie, Spanien hat riesige Probleme. Aber was beide Länder tatsächlich gemeinsam haben ist: Sie sind in großem Maße abhängig von Öl- und Gasimporten und waren immer mehr, was von der letzten Verschuldungswelle zu erklären gewesen ist, auf letztlich Öl- und Gasimporte angewiesen. 63 Prozent der Verschuldung, die Spanien derzeit aktuell hat, neu angehäuft hat, kommt nur aus dem Anstieg der Öl- und Gasimporte, und das zeigt, ohne eine Lösung dieser Knappheiten werden die aus dem Problem auch nicht herauskommen.

    Breker: Herr Giegold, im Euro-Land, also den Staaten, die den Euro als Währung haben, da ist eine Haftungsgemeinschaft eingetreten, ohne dass es offen gesagt wird. Warum traut man sich nicht, den Menschen, den Bürgern, den Wählern gegebenenfalls offen zu sagen, wir leben in einer Haftungsgemeinschaft?

    Giegold: Wir trauen uns das ja schon die ganze Zeit zu sagen. Die Wahrheit ist doch die: Europa steht jetzt vor der Entscheidung, ob wir eine echte gemeinsame Wirtschaftspolitik machen, inklusive endlich auch Maßnahmen bei den Steuern, inklusive niedrige Zinsen für alle europäischen Staaten, oder ob wir weiter uns der Illusion hingeben, jeder könne alleine die Probleme lösen. Und wir sehen jetzt, wenn jeder alleine versucht zu sparen, dann sparen wir uns immer tiefer in die Krise, und ohne eine echte gemeinsame Wirtschaftspolitik geht das nicht. Wir sagen das schon die ganze Zeit, wir bewegen uns auch in Trippelschritten in diese Richtung, die Regierung Merkel hat Schritt für Schritt sich in die Richtung bewegt, Herr Schäuble ist ja schon lange dieser Meinung und wird dort vor allem von der FDP an einer klugen Politik gehindert, die immer teurer wird, und das Ganze hat mehr wahltaktischen Charakter, als dass es da um solide Wirtschaftspolitik ginge.

    Breker: Kommen wir zur Regierung Merkel. Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, hat heute noch einmal betont, dass an diesem Fiskalpakt nichts geändert werden soll, nichts geändert werden kann aus Ihrer Sicht. Doch mit diesem Pakt scheint irgendwas nicht zu stimmen, denn das Einschwören aufs Sparen allein stürzt eine Regierung nach der anderen.

    Giegold: Mit dem Pakt stimmt auch einiges andere nicht. Das Hauptproblem ist, dass der Pakt außerhalb echter demokratischer Kontrolle steht, denn in Zukunft soll nach diesem Pakt die Wirtschaftspolitik hinter verschlossenen Türen durch die Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder gemacht werden und nicht unter Kontrolle des Europäischen Parlaments. Aber ich muss sagen, dieses Interview von Frau Merkel heute in der "Rheinischen Post" hat mich sehr verwundert und ich halte es für unklug, denn Francois Hollande hat eigentlich ein Angebot gemacht, was Frau Merkel hätte annehmen können. Er hat gesagt, wir wollen gleichzeitig Maßnahmen für Wachstum. Ich hätte mir da grüneres Wachstum vorgestellt in dem, was er dort formuliert hat, aber gut, er hat eine Wachstumskorrektur gefordert, um dieses Sparen in die Krise aufzubrechen, und er hat Vorschläge gemacht, die eigentlich für Frau Merkel durchaus annehmbar gewesen wären. Und in der Situation gießt sie mehr Öl ins Feuer und macht damit die Verhandlungsspielräume von Francois Hollande für einen neuen deutsch-französischen Kompromiss, der weniger einseitig ist als unter Sarkozy-Merkel, umso schwerer. Er hat jetzt natürlich reagiert und gesagt, die Europapolitik wird nicht nur von Deutschland bestimmt, und genau auf diese Weise rudern sich die beiden jetzt in Eskalation und aus dieser Eskalationsspirale muss man dringend ausbrechen, wenn wir mehr gemeinsame Wirtschaftspolitik tatsächlich machen wollen.

    Breker: Vielleicht könnte man ja ausbrechen, indem man sagt, wir ändern den Pakt nicht, aber wir ergänzen ihn.

    Giegold: Ganz genau, und das war ja das Angebot von Francois Hollande. Er hat gar nicht mehr gefordert, den Fiskalpakt will er nicht, sondern er hat die Worte so gewählt, dass Neuverhandlung auch Ergänzen bedeuten konnte. Genau deshalb hätte sie jetzt eigentlich sagen können, in diese Richtung könnte man weitergehen. Sie hätte auch schweigen können bis zur Wahl, das wäre vermutlich das klügste gewesen. Aber das hat sie nicht gemacht, sondern sie hat jetzt weiter eskaliert und setzt nach wie vor auf das schon, sage ich mal, stark strauchelnde Pony Sarkozy.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Position von Sven Giegold. Er ist finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Grünen-Fraktion und auch Mitbegründer von Attac Deutschland. Herr Giegold, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.

    Giegold: Vielen Dank, Herr Breker.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.