Freitag, 19. April 2024

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Spanien, Portugal, Griechenland
Europas vergessene Diktaturen

Diktaturen in Europa? Alles lange her. Spätestens nach der Zeitenwende um 1989 sind fast alle verschwunden. Doch wer jetzt nur nach Osteuropa blickt, dem geraten die anderen Diktaturen, die auch noch nicht lange Geschichte sind, aus dem Blickfeld: Spanien, Portugal und Griechenland. Ihr Weg in die Demokratie war kaum einfacher.

Von Henry Bernhard | 10.11.2016
    Spaniens Ex-Diktator Francisco Franco während einer Militärparade
    Spaniens Ex-Diktator Francisco Franco während einer Militärparade (imago/United Archives International)
    Nur sehr wenige Länder in Europa seien im 20. Jahrhundert ohne diktatorische Erfahrung geblieben, keinesfalls könne man also die Demokratie als den Normalfall und die Diktatur als den Betriebsunfall betrachten, erklärte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Ettersberg, Jörg Ganzenmüller, zu Beginn der Tagung. Aus den Übergangs-Erfahrungen verschiedener Diktaturen in die Demokratie aber könne man lernen. Ganzenmüller fiel auf:
    "Dass wir den Eindruck hatten, in den südeuropäischen Ländern mit rechten Diktaturen, Spanien, Portugal, Griechenland, ist heute der Linkspopulismus sehr stark, in den ehemals staatssozialistischen Diktaturen im östlichen Europa haben wir es mit einem starken Rechtspopulismus zu tun. Und da haben wir uns die Frage gestellt: Gibt es da einen Zusammenhang zwischen Diktaturerfahrung und Diktaturaufarbeitung auf der einen Seite und eben populistischen Bewegungen, antieuropäischen Bewegungen heute."
    Griechenland hat seine Militärherrschaft nur wenig aufgearbeitet
    Griechenland zum Beispiel hat seine siebenjährige Militärherrschaft nur wenig aufgearbeitet. Seine Geheimdienstakten hat man 1989 verbrannt, um die Erinnerung an die Verbrechen auszulöschen. Aus milden Urteilen gegen Mörder und Folterer erwuchs ein mörderischer Linksterrorismus, um vermeintlich "Gerechtigkeit" herzustellen. Linke Deutungsmuster dominierten die Darstellung der griechischen Geschichte. Verschwörungstheorien, nachdem "das Ausland" und allen voran die USA an allem Übel in Griechenland von 1940 bis 1975 schuld seien, bildeten noch immer das zentrale Narrativ in der Erklärung nationaler Probleme, führte Adamantios Theodor Skordos von der Universität Leipzig aus. Ununterbrochen seit 1975 gebe es so den jährlichen "Marsch zur amerikanischen Botschaft" mit Hunderttausenden Teilnehmern.
    "War es in den 1970er- und 1980er-Jahren die ungelöste Zypern-Frage, die den Antiamerikanismus der Demonstranten speiste, geriet in den 1990er-Jahren die Politik Washingtons in der Jugoslawien-Krise in den Mittelpunkt der Proteste, insbesondere nach der Bombardierung Serbiens durch die NATO."
    In Spanien wollte man geeint in der Demokratie ankommen
    In Spanien habe man auf die Aufarbeitung der Franco-Diktatur zunächst ganz verzichtet, habe die alte Elite größtenteils in Verantwortung belassen und gar von einer Kollektivschuld von Rechten und Linken an Bürgerkrieg und Diktatur gesprochen. Man wollte unbedingt die Gräben, die die Gesellschaft zutiefst spalteten, zuschütten und geeint in der Demokratie ankommen. Man erkaufte sich damit den Terror der ETA und anderer Gruppen und den schließlich gescheiterten Militärputsch 1981. Xosé Núñez Seixas von der Universität München konstatierte:
    "Sowohl Sozialisten beziehungsweise Sozialdemokraten als auch Konservative bevorzugten, die ganze Periode 1931-1975 auszublenden, indem sie als Ausnahmen auf dem Weg des Fortschritts und der Normalität der spanischen Geschichte betrachteten. Und die Wiederaufnahme in Europa 1986 als das Ende des spanischen Sonderweges."
    Seit der Jahrtausendwende jedoch fragt die nachgeborene Generation nach dem Spanischen Bürgerkrieg, nach der Diktatur und deren Opfern, bemüht sich um die Exhumierung von Gefallenen in Massengräbern, kurz, um die Wiedererlangung eines historischen Gedächtnisses. Zunächst ganz anders ist der Übergang aus der Diktatur in Portugal verlaufen. Der Putsch der Offiziere gegen die Militärdiktatur 1974 verwandelte sich in eine Revolution, die so weit nach links driftete, dass US-Außenminister Henry Kissinger Portugal schon aufgeben, aus der NATO ausschließen und ähnlich Kuba als schlechtes Beispiel herausstellen wollte. Westeuropa, hier vor allem Willy Brandts SPD, band jedoch die linken Kräfte in demokratische Strukturen ein. Die Beseitigung der portugiesischen Diktatur-Vergangenheit begann zunächst stürmisch, steigerte sich fast bis zur Hexenjagd gegen die Wirtschaftselite, zerstörte Denkmäler und änderte Straßennamen, um nach nur zwei Jahren abrupt abzubrechen, wie Teresa Pinheiro von der TU Chemnitz erläuterte.
    Keine Räume für das Gedenken an die Diktatur
    "Die Notwendigkeit der Versöhnung und auch die Konzentration auf den Aufbau, die neuen Möglichkeiten, die die Annäherung an Europa brachten, Reisen, Bildung, Konsum, Reichtum, all das ließ die Menschen von "blühenden Landschaften" im Wohlstandsschoß Europas träumen und die Zeiten der Rückständigkeit und der Entbehrungen vergessen. Sie haben die Diktatur verurteilt, sie haben die Eliten ersetzt, sie haben die Erinnerung an den Estado Novo aus den Straßen verbannt. Und hier liegt ironischerweise auch das Versäumnis dieser Phase: Die Politiker haben es versäumt, Räume für das Gedenken an die Diktatur zu kreieren."
    Erst in den letzten Jahren seien Bürgerinitiativen entstanden, die für eine kritische Aufarbeitung und Erinnerung der Salazar-Diktatur eintreten. Die drei jungen Demokratien Spanien, Portugal und Griechenland waren alle gleichermaßen sehr an einem Beitritt zur EG interessiert, auch als Zeichen der Zugehörigkeit, der Modernität und der Anerkennung, die Diktatur überwunden zu haben. Die neuen osteuropäischen Mitglieder aber nach dem Zusammenbruch des Ostblocks traten mit einem anderen Selbstbewusstsein auf, wie der polnische Publizist Adam Krzeminski ausführte.
    "Die Bundesrepublik, Italien, aber auch das Frankreich von Petain wollten ihre Vergangenheit durch das vereinte Europa übertünchen. "Souveränitätsgewinn durch Souveränitätsverzicht" hieß es bei Adenauer. Dies war für die Ostmitteleuropäer nicht selbstverständlich. Die Polen lagen zwar '89 wirtschaftlich am Boden, aber in einer völlig anderen mentalen Kondition als die Deutschen '45! Sie waren keine Geschlagenen, die sich in die Europa-Idee einhüllen mussten; sie waren stolz auf ihren Beitrag zum Niederringen des Kommunismus. Sie hielten es für eine Fortsetzung des Widerstandes im Krieg und sahen keinen Grund für eine Reedukation durch die EU. 'Mia san mia! Und über unsere politische Kultur entscheiden wir und keine Politkommissare.' Ich zitiere die Argumentationsweise."
    Die europäische Gemeinschaft sei zu Beginn eine "Notgemeinschaft geschrumpfter Nationen" gewesen; damit könnten aber die Osteuropäer nichts anfangen, die erst wieder zu ihrer souveränen Nation zurückgefunden hätten. Der Weg ins geeinte Europa war also im Süden sehr verschieden von dem im Osten. Die Spätfolgen der Diktaturen werden uns weiter beschäftigen, auch im Populismus von Links und Rechts.