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Spanien-Wahl
"Keiner hat eine eindeutige Mehrheit"

Keiner wolle, dass Spanien vollkommen unregierbar werde, sagte Wilhelm Hofmeister von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Madrid. Aber auch bei der vierten Parlamentswahl in vier Jahren zeichne sich keine eindeutige Mehrheit ab. Eine Regierungskoalition habe es in Spanien aber noch nie gegeben.

Wilhelm Hofmeister im Gespräch mit Philipp May | 09.11.2019
Das spanische Parlament in Madrid
Das spanische Parlament in Madrid (AFP / Pool / Javier Lizón)
"Die Spanier sind müde, wieder an die Urne zu gehen", sagte Wilhelm Hofmeister von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Madrid. "Wenn es jetzt nicht klappt, werden bei der nächsten Wahl die Extremisten noch stärker. Das würde das Land noch unregierbarer machen und das will keiner."
Die Regierungsbildung sei daran gescheitet, dass der Sozialistenchef Pedro Sanchez alleine regieren wollte. Es sei aber unvermeidbar, eine Koalition zu bilden. Das Problem: "Aber auf nationaler Ebene hat es das noch nie gegeben", so Hofmeister. Aber das spanische Parteiensystem sei genauso zersplittert, wie in ganz Europa.
Wahlkampf im Zeichen des Katalonienkonflikts
Der Katalonienkonflikt sei durch die Urteile gegen die Separatisten wieder angeheizt worden, der Wahlkampf habe dadurch ganz im Zeichen des Katalonienkonflikts gestanden. "Der Konflikt hat der rechtsgerichteten Partei Vox viel Auftrieb gegeben", so Hofmeister. Vox sei groß geworden wegen des Katalonienkonflikts, stehe hier für eine harte Hand gegenüber den Separatisten. Die Partei agiere dabei vollkommen im Rahmen der Verfassung, aber bediene auch rechtsnationale Gruppe, indem sie beispielsweise Ausländerfeindlichkeiten artikuliere. Mit ihrer zentralen Position im Katalonienkonflikt spreche sie aber viele Wählerschichten an.
Es sei die Hoffnung der Spanier, dass sich die Parteien nach der Wahl auf irgendeine Regierung verständigen. Ob es zu einer Großen Koalition komme, sei abzuwarten - das werde von allen Parteien abgelehnt. Weder das rechte noch das linke Lage werde aber eine eindeutige Mehrheit erhalten.

Das Interview in voller Länge:
Philipp May: Im April haben die Spanier ein neues Parlament gewählt, hat aber nichts genützt. Trotz seines Wahlsiegs haben es Ministerpräsident Pedro Sanchez und seine Sozialdemokraten nicht geschafft, ein Regierungsbündnis zu schmieden. Also müssen die Spanier morgen noch einmal an die Urne zum vierten Mal in vier Jahren. Darüber rede ich jetzt mit Wilhelm Hofmeister, Leiter der Madrider Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung. Schönen guten Morgen, Herr Hofmeister!
Wilhelm Hofmeister: Guten Morgen, Herr May!
May: Ist Spanien unregierbar geworden?
Hofmeister: Es sieht so aus, aber ich hoffe, und viele Spanier hoffen es auch, dass nach den Wahlen am morgigen Tag in den nächsten Wochen, vielleicht Anfang des nächsten Jahres, diese gegenseitige Blockierung aufgehoben und eine neue Regierung gebildet wird.
"Sanchez hat den Fehler gemacht, dass er alleine regieren wollte"
May: Woraus schöpft sich diese Hoffnung?
Hofmeister: Die Parteien und vor allem die Spanier sind müde, schon wieder an die Wahlen zu gehen. Die Parteien wissen, wenn sie es jetzt nicht hinbekommen, eine neue Regierung zu bilden, dann werden bei wiederum anstehenden Neuwahlen die Extremisten noch stärker als sie wahrscheinlich morgen ohnehin werden, und das würde das Land dann vollkommen unregierbar machen. Das will keiner.
May: Bevor wir auf die Extremisten, die, wie Sie sie nennen, kommen, schauen wir noch mal ganz kurz auf die Vergangenheit. Pedro Sanchez, Sozialdemokrat, galt als Wahlsieger und hat es trotzdem nicht geschafft, eine Mehrheit zu schmieden, eine linke Mehrheit. Welche Fehler hat er gemacht?
Hofmeister: Ich glaube, Sanchez hat den Fehler gemacht, dass er alleine regieren wollte. Er hat zwar nur 23 Prozent der Stimmen gewonnen und weniger als ein Drittel der Parlamentsmandate, und dennoch hat er versucht, auf jeden Fall eine Alleinregierung seiner sozialistischen Partei zu bilden. Das war in der Vergangenheit immer möglich in Spanien, dass der relative Wahlsieger mit der Unterstützung regionaler Kleinparteien eine Mehrheit im Parlament bekam, aber die vergangenen Wahlen im April haben gezeigt, dass das spanische Parteiensystem genauso zersplittert ist wie viele andere Parteiensysteme in Europa und dass es jetzt unvermeidlich ist, eine Koalition zu bilden. Aber in Spanien gibt es noch keine Erfahrung mit Koalitionen. Interessant ist, dass jetzt erstmals im Grunde genommen nach den Regionalwahlen im Mai in verschiedenen sogenannten autonomen Gemeinschaften, also in Bundesstaaten, wenn man so will, Koalitionsregierungen gebildet wurden, zwar blockweise, das heißt, Koalitionen der linken oder der rechten Parteien, aber immerhin Koalitionen. Auf nationaler Ebene hat es noch nie Koalitionen gegeben, und Sanchez hat weiterhin versucht, eine Alleinregierung zu bilden, aber das ist gescheitert.
"Wahlkampf stand ganz im Zeichen des Katalonienkonflikts"
May: Sie haben gerade schon die Zersplitterung des Parteiensystems angesprochen und auch den Vergleich gezogen mit Europa. Sind da in Spanien die gleichen Fliehkräfte am Werk wie zum Beispiel in Deutschland?
Hofmeister: Ähnlich. Wir wissen ja alle nicht genau, warum bestimmte Wählerschichten heute so unzufrieden sind mit den politischen Systemen und warum sie extreme Parteien auf der Rechten oder der Linken wählen. Es gibt unterschiedliche Beweggründe in allen Ländern, aber der Fakt ist, überall die Parteiensysteme zersplittern sich, und es ist schwieriger, regierungsfähige Mehrheiten zu bilden. Das ist in Deutschland so, das ist in Dänemark so, in Schweden, und das ist nun auch in Spanien so.
May: Welche Rolle spielt der Katalonienkonflikt, der die Fronten ja auf allen Seiten relativ verhärtet hat?
Hofmeister: Ja, der Katalonienkonflikt wurde ja jetzt noch einmal angeheizt, nachdem Mitte Oktober die Urteile gegen die Anführer des Separatismus bekannt wurden, die 2017 die Unabhängigkeitserklärung durchgesetzt hatten. Jetzt stand der Wahlkampf schon wieder ganz im Zeichen des Katalonienkonflikts. In Katalonien gibt es viele Mobilisierungen. Es gab zum ersten Mal auch gewaltsame Aktionen, und es ist vorauszusehen, dass die nächsten Tage sehr unruhig werden in Katalonien. Aber vor allem hat der Katalonienkonflikt jetzt der rechtspopulistischen Partei Vox neuen Auftrieb gegeben, und das macht die ganze Situation, die politische Situation vor den Wahlen sehr schwierig in Spanien.
May: Verhindert der Nationalismus auf allen Seiten, zum einen auf Seiten der Separatisten, aber eben auch auf Seiten der Spanier, sich Spanien sich zugehörig Fühlenden, Sie sprachen den Erfolg von Vox an, verhindert der politische Kompromisse?
Hofmeister: Ja, man muss es sehen. Also ich glaube, die – in Anführungszeichen – positive Veränderung, die durch diese Stärkung der Ränder erzeugt wird, die werden wir vielleicht nach den Wahlen sehen – das ist die Hoffnung vieler Spanier –, dass nämlich am Ende die Sozialisten, die Volkspartei und die nationalliberale Ciudadanos-Partei in irgendeiner Weise sich doch auf eine Regierung verständigen und auf eine regierungsfähige Mehrheit verständigen, sodass das Land in den nächsten zwei, drei Jahren zumindest wieder eine einigermaßen stabile Regierung haben wird.
May: Also Spanien goes GroKo.
Hofmeister: Ob es zu einer GroKo kommt, das muss man abwarten. Also das ist sehr schwierig. Es wird von allen Parteien abgelehnt, aber es könnte sein … Es sieht so aus, aber die Umfragen sind sehr unsicher, weil gerade in den letzte Tagen anscheinend Vox viele Stimmen gewonnen hat, und es sieht so aus, dass die beiden Lager rechts und links ungefähr gleich stark werden. Hinzu muss man allerdings die Regionalparteien rechnen, sodass weder das rechte noch das linke Lager eine eindeutige Mehrheit haben werden, aber sollte Sanchez eine relative Mehrheit gewinnen, könnte es sein, dass er mit Enthaltung von den Konservativen, der Volkspartei und Ciudadanos gewählt wird, aber dass man sich vorher auf bestimmte Regierungsprojekte verständigt.
"Vox bedient auch rechtsnationale Gruppen"
May: Jetzt haben wir schon so viel über Vox gesprochen, wie müssen wir uns eigentlich diese Partei auf der rechten Seite vorstellen? Ist das sozusagen die spanische AfD, kann man die vergleichen?
Hofmeister: Also es ist schwierig zu vergleichen. Vox ist vor allem großgeworden wegen des Katalonienkonflikts, weil Vox sagt, die anderen Parteien sind nicht mit diesem Konflikt fertiggeworden, wir müssen eine harte Hand zeigen gegenüber den Separatisten. Vox ist auch für eine Zentralisierung Spaniens, eine Verfassungsänderung. Vox agiert vollkommen im Rahmen der Verfassung, aber Vox bedient auch rechtsnationale Gruppen, indem Vox beispielsweise Ausländerfeindlichkeit artikuliert. Das ist in Spanien bisher nicht so ein großes Thema gewesen, aber Vox versucht, auf dieser Welle sozusagen zu reiten und vor allem auch ärmere Schichten, auch in den Arbeiterschichten und so weiter, Stimmen zu fangen, indem Vox sagt, das, was wir den Ausländern geben, das wird euch abgenommen, wobei die Leistungen in Spanien ohnehin sehr gering sind. Dazu werden noch ein paar andere, eher traditionelle, konservative Themen bedient. Der Vergleich ist schwierig mit der AfD, aber Vox versucht diese traditionellen rechtspopulistischen Themen zu bedienen.
May: Auf der anderen Seite haben wir die konservative Volkspartei, also das, was in Deutschland die CDU wäre, der Partido Popular, die würden mit Vox kooperieren. In Andalusien oder in Madrid gibt es diese Kooperation schon. Warum gibt es da in Spanien weniger Berührungsängste als zum Beispiel in Deutschland?
Hofmeister: In Deutschland die AfD artikuliert ja Themen, die in Deutschland tabu sind. Das ist dieser Rechtsnationalismus, der Xenophobismus, das sind andere Themen. In Spanien ist es vor allem der Widerstand gegen die Nationalisten in Katalonien, und dafür gibt es eine breite Zustimmung in der Bevölkerung, bei vielen Schichten, auch bei den Wählern der Sozialisten und selbst der Linkspopulisten. Insofern ist das große Thema, das Vox bedient, nicht strittig bei der Mehrheit der Spanier, und die anderen Themen, die werden eher als folkloristisch abgetan. Daher ist es für die Konservativen und auch für Ciudadanos einfacher, mit Vox auf regionaler Ebene zu regieren, und wenn sie zusammen auf nationaler Ebene jetzt eine Mehrheit bekommen, dann wird es mit Sicherheit auch in irgendeiner Weise zu einer Regierung kommen zwischen diesen drei Parteien.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.