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Spaniens Sozialisten
Enttäuschung absehbar

Bislang haben sich Spaniens Sozialisten bei der Regierungsbildung geweigert, dem konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy entgegenzukommen. Jetzt scheint der einzige Weg nach vorne der in die Opposition zu sein. Doch Parteibasis und Wähler könnten das als Verrat empfinden.

Von Hans-Günther Kellner | 06.10.2016
    Der Kandidat der spanischen Sozialisten bei der Parlamentswahl, Pedro Sanchez, während einer Wahlkampf-Veranstaltung im spanischen Zaragoza.
    Generalsekretär Pedro Sánchez war nicht mehr zu halten - doch wie sollen die Sozialisten den geplanten Kurswechsel ihren Wählern und der Parteibasis erklären? (picture alliance / dpa / Javier Cebollada)
    Rund 50 Mitglieder der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens lassen ihrem Unmut bei einer spontanen Demonstration vor der Parteizentrale in Madrid freien Lauf. Der Rücktritt von Generalsekretär Pedro Sánchez hat sie wütend gemacht:
    "Ich habe doch nicht vier Jahre lang gegen die Politik von Rajoy demonstriert, gegen die Arbeitsmarktreformen, gegen die Kürzungen, damit am Ende Rajoy mit Hilfe von uns Sozialisten weiterregiert. Wenn es soweit kommt, trete ich aus der Partei aus."
    Rajoy die Wahl zum Regierungschef durch eine Stimmenthaltung ermöglichen oder Neuwahlen – das sind die beiden Alternativen, vor der die spanischen Genossen stehen. Für Javier Fernández, Sprecher des neuen, provisorischen Parteivorstands, ein Dilemma:
    "Eine Lösung für eine Regierungsmehrheit in Spanien hängt von uns Sozialisten ab. Und welchen Weg wir auch wählen, er wird uns zu weiteren Verlusten führen. Was wir auch machen, wir schaffen uns immer auch ein neues Problem. Ich finde aber weiterhin: Das Schlimmste, was Spanien passieren kann, sind Neuwahlen."
    Geht kein Weg dran vorbei: Sozialisten in die Opposition
    In der sozialistischen Parlamentsfraktion rumort es schon lange. In den vielen Abstimmungen im Kongress über die Kandidatur von Mariano Rajoy haben sie stets mit Nein abgestimmt. Der 45-jährige Wirtschaftsprofessor Julian López aus Alicante sagt nicht ausdrücklich, dass er dabei lediglich dem Fraktionszwang gefolgt ist. Doch seine Argumente sprechen eher für eine Stimmenthaltung:
    "Natürlich ist das schwer für uns. Wir wollen nicht, dass Rajoy regiert. Er übernimmt seit Jahren für nichts Verantwortung. Dabei ist er verantwortlich für die vielen Korruptionsfälle in seiner Partei. Aber er hat nun mal die letzten beiden Wahlen gewonnen. Und wir sind nicht in der Lage, eine alternative Regierungsmehrheit zu bilden. Wir können doch nicht immer wieder neue Wahlen ansetzen, bis wir endlich die gewünschten Stimmen beisammen haben."
    López ist erst seit Dezember Abgeordneter. Aus seiner Heimatregion Valencia weiß er, dass in der Politik auch Zugeständnisse gemacht werden müssen. Denn dort regieren die Sozialisten in Koalition mit Podemos. Im spanischen Parlament will er hingegen keine Koalition. Er schlägt vor:
    "Wir können es der Volkspartei ermöglichen, eine Regierung zu bilden und gleichzeitig im Parlament eine Opposition anführen, um die konservative Politik zu bremsen, oder gar rückgängig zu machen. Oder wir bekommen Neuwahlen, aus denen die Volkspartei gestärkt hervorgeht. Das ist die Wahl, vor der wir stehen.
    Spanien bleibt wirtschaftlich stabil
    Beide Alternativen wären in Spanien unpopulär. Ein großer Teil der Parteibasis und der linken Wähler würde es als Verrat an den eigenen Prinzipien verstehen, würden die Sozialisten Rajoy die Steigbügel für den erneuten Sprung in die Regierung halten. Noch einmal wählen – ein drittes Mal – will in Spanien aber auch kaum jemand. Zumal Spanien auch gegenüber den EU-Partnern die Zeit davonläuft:
    "Spanien hat sich gegenüber der EU Kommission verpflichtet, bis Mitte Oktober einen Haushaltsplan vorzulegen. Tut sie das nicht, wird es wohl keine Geldbuße geben, aber Strukturfonds könnten zurückgehalten werden. Aber gut, selbst wenn wir im Dezember schon wieder wählen müssten, hätten wir bis zum Ende des Jahres eine neue Regierung. Bis dahin könnte man wohl auf eine flexible Haltung der Union hoffen."
    Rajoy wolle vom Chaos bei Sozialisten profitieren
    Immerhin, Spanien scheint auch ohne gewählte Regierung wirtschaftlich stabil zu bleiben. Der Weltwährungsfonds hat seine Wachstumsprognose für Spanien für 2016 gerade noch einmal auf 3,1 Prozent nach oben korrigiert. Unter diesem Eindruck scheint sich auch Mariano Rajoy zu überlegen, dass Neuwahlen vielleicht nicht das Schlechteste wären, glaubt Anabel Diez, die für die spanische Tageszeitung "El País" das Geschehen im spanischen Parlament analysiert:
    "Mariano Rajoy reicht es wohl nicht mehr, einfach nur Regierungschef zu werden. Er will von den Sozialisten jetzt auch eine Vereinbarung über einen neuen Haushalt. Rajoy denkt, dass er bei Neuwahlen noch einmal besser abschneiden würde. Mit 150, 160 Abgeordneten der Volkspartei wären die Mehrheitsverhältnisse vielleicht klarer."