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Spanische Balkanpolitik
Kosovo bleibt Niemandsland

Noch bevor der offizielle Teil des Balkangipfels in Sofia beginnt, will der spanische Premier Mariano Rajoy wieder abreisen. Dass der kosovarische Präsident Hashim Thaçi teilnimmt, ist der Grund dafür. Spanien erkennt die Republik Kosovo nicht an und das hat auch mit der Krise in Katalonien zu tun:

Von Hans-Günter Kellner | 16.05.2018
    Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy
    Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy (Juan Carlos Hidalgo, Pool Photo via AP)
    Der Balkan spielt in Spanien keine große Rolle mehr. Die Politologin Ruth Ferrero-Turrión von der Madrider Complutense-Universität bedauert das. Sie liebe den Balkan, wie sie gesteht. Ihr ganzes akademisches Leben hat sie Südosteuropa gewidmet. Schon deshalb stimmt es sie traurig, dass die Region so völlig aus dem Bewusstsein der spanischen Öffentlichkeit - wie auch der Politik - verschwunden ist.
    "Diese starre Haltung Spaniens ist nicht sehr klug. Die Unabhängigkeit des Kosovo ist wie die Zahnpasta - die kriegt man auch nicht mehr in die Tube zurück. Wir sind weniger flexibel als Russland oder Serbien. Selbst Serbien hat diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen mit dem Kosovo. Und unsere Diplomaten dürfen einen Kollegen aus dem Kosovo nicht einmal grüßen, wenn sie ihn zufällig in einem Café treffen!"
    Die Wissenschaftlerin musste sogar schon einen Kongress mit Kollegen in Spanien absagen.
    Kontakte unerwünscht
    Der Grund: Spanien erkennt auch die Pässe des Kosovo nicht an, in die die Einreisevisa gestempelt werden müssten. Dabei zeigte sich Spanien nicht immer so unnachgiebig. Doch schon vor der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo 2008 änderte sich das.
    "Die Europäer diskutierten lange vor 2008, wie sie mit dem Kosovo umgehen sollen. Die Regierung Zapatero war flexibel, wollte den Unabhängigkeitsprozess anerkennen. Aber parallel dazu begann in Spanien die Debatte um die katalanische Autonomie. Die Volkspartei klagte schließlich 2006 gegen das Statut vor dem Verfassungsgericht und die Haltung der spanischen Regierung änderte sich radikal."
    Jugoslawien war lange ein Spiegel, in dem sich Spanien wiedererkannte: Einer der letzten Vielvölkerstaaten Europas. Vor Beginn der Jugoslawien-Kriege hoffte Spanien sogar, die Föderation könne eines Tages Mitglied der damaligen Europäischen Gemeinschaft werden, erzählt die Politologin.
    Furcht vor der "Balkanisierung" Spaniens
    In der Debatte um Katalonien warnten die Konservativen hingegen vor einer angeblichen Balkanisierung Spaniens – eine Befürchtung, die bis heute offenbar anhält. Die Professorin mag schon das Wort nicht:
    "Wir haben in Spanien weder vergleichbare geographische noch politische ähnliche Bedingungen. Spanien mag seine Probleme haben, aber es ist ein Rechtsstaat, eine Demokratie. Das war Jugoslawien nicht."
    Spanien stand mit seiner Haltung, die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo sei völkerrechtswidrig, anfangs nicht alleine. Anders als Kroatien oder Bosnien war das Kosovo keine jugoslawische Teilrepublik, sondern eine Provinz. Von einer Unterdrückung des Kosovo habe man spätestens nach dem Eingreifen der Nato nicht mehr sprechen können, sagt die Professorin. Anfangs lehnte auch sie die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo darum ab:
    "Ich fand den Weg, wie es zur Unabhängigkeit gekommen ist, kritikwürdig. Ich habe keine Probleme mit dem Selbstbestimmungsrecht. Aber die Unabhängigkeit wurde einseitig, nur auf Druck der US-Amerikaner durchgesetzt. Die Minderheiten innerhalb des Kosovo wurden überhaupt nicht berücksichtigt. Das hat sich ja auch in all diesen Jahren als Problem erwiesen."
    Kein Veränderungsdruck
    Inzwischen aber bezeichnet die Professorin die Haltung der spanischen Regierung als radikal, sogar radikaler als die Serbiens, Griechenlands oder Zyperns. Lange Zeit waren sie die stärksten Gegner eines unabhängigen Kosovo. Doch für diese Länder geht es in der Debatte auch um eigene Interessen. Anders ist das im Falle Spaniens:
    "Für die spanische Regierung gibt es auf dem Balkan nichts zu gewinnen, aber auch nichts zu verlieren. Hierher kommen keine Armutsflüchtlinge aus der Region, es gibt keine spanischen Investitionen dort, es gibt keine kulturellen Verbindungen, auch kein Sicherheitsrisiko. Es gibt deshalb aber auch nichts, das die spanische Haltung ändern könnte."