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Spannende Lektüre

Was die Leser von Kriminalromanen interessiere, das, so schreibt Jörg von Uthmann in seinem Buch, sei nicht das Verbrechen selbst, sondern seine Aufklärung. Und diesem Diktum folgt auch der Autor. So ist "Killer, Krimis, Kommissare" weniger eine "Kleine Kulturgeschichte des Mordes", wie das Buch im Untertitel heißt, sondern vielmehr eine Kulturgeschichte der Kriminalistik.

Von Christel Wester | 21.11.2006
    Jörg von Uthmann beschreibt die Entwicklung der Wissenschaft von der Aufklärung des Kapitalverbrechens. Und: Er verfolgt ihren Niederschlag in Romanen, Filmen und Theaterstücken. Dabei findet er jedoch auch Beispiele, wo nicht nur die Wissenschaft die Kunst beflügelt, sondern umgekehrt. Anna Katherine Greene, die Tochter eines New Yorker Anwalts, veröffentlichte 1878 ihren Roman "The Leavenworth Case", der so sachkundig und lebensnah geschrieben war, dass die Yale University ihn als Lehrmaterial verwendete, um die Fährnisse des Indizienbeweises zu illustrieren. Und der ehemalige Gefängnisarzt und Autor Austin Freeman erfand den ersten streng wissenschaftlich arbeitenden Romandetektiv: Dr.John Thorndyke, der sich niemals ohne sein grünes Köfferchen mit Spezialwerkzeugen und Chemikalien an den Tatort begab. Einige seiner Untersuchungsergebnisse fanden Eingang in polizeiliche Lehrbücher: wie etwa die Frage, ob man Fingerabdrücke fälschen kann oder den Zeitpunkt des Todes verschleiern, indem man die Leiche auf Eis legt.

    Solche Fundstücke sind es, die Jörg von Uthmanns "Killer, Krimis, Kommissare" zu einer spannenden Lektüre machen - zumindest im ersten Drittel des Buches. Kriminalkommissare gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert. Vorher setzte die Justiz auf Gottesurteile und Eideshelfer, die keine Zeugen waren, sondern in der Regel Sippengenossen, die die Glaubwürdigkeit des Angeklagten oder aber des Klägers in rituellen Formeln bezeugten. Und bis tief ins 18. Jahrhundert galt die Folter als sachgerechtes, ja sogar modernes Verfahren, um an wahre Geständnisse zu gelangen.

    Jörg von Uthmann hat eine unglaubliche Fülle an Material zusammengetragen. Er erzählt eine ganze Reihe spektakulärer realer Fälle, die wiederum Eingang in die fiktionale Literatur gefunden haben. Anschaulich und lebendig schildert er die Entstehung von Kriminalpolizei und Gerichtsmedizin und versorgt seine Leser mit einschlägigen Daten und Fakten zu bahnbrechenden Erfindungen wie etwa dem ersten Vorstrafenregister, das 1750 in Frankreich angelegt wurde. Ebenfalls verfolgt von Uthmann die Entstehung eines neuen literarischen Unterhaltungsgenres: den Kriminalroman. So weit mag man ihm gerne folgen - aber dann hat man erst ein gutes Drittel der 290 Seiten zurückgelegt, die sein Buch umfasst.

    Von Uthmann selbst nennt "Killer, Krimis, Kommissare" einen Essay, dazu fehlen dieser umfangreichen Materialsammlung mit ihren zahlreichen Anekdoten, Nacherzählungen von Mordprozessen und Kriminalromanen jedoch tiefer gehende Analysen und eigene Thesen. Stattdessen liefert von Uthmann mitunter arg platte Pointen. Zum Beispiel wenn er die durchaus ernst gemeinte Frage aufwirft, warum wir so gerne Mordgeschichten lesen und dann nur ein paar alte Thesen referiert, die er selbst nicht sonderlich ernst zu nehmen scheint. So erwähnt er, dass der Siegeszug des Kriminalromans mit dem der Psychoanalyse verglichen wurde, um sich über die ach so originelle Erkenntnis zu erfreuen, dass Sigmund Freud und Sherlock Holmes vor allem eins gemeinsam hatten: die Anhängigkeit vom Kokain.

    Generell wird auf die Dauer die bloße Aneinanderreihung von realen und fiktionalen Mordgeschichten ermüdend, zumal von Uthmann sein Material gegen Ende des Buches nicht mehr so anschaulich und systematisch strukturiert wie zu Beginn. Besonders unübersichtlich und vor allem auch willkürlich geht es zu, wenn von Uthmann über Morde in der so genannten Weltliteratur räsoniert und eine krude Mischung von Schiller über Stendhal und Dostojweski bis hin zu Graham Greene und Joyce Carol Oates und vielen anderen mehr präsentiert.

    Da wirft er dem Leser aus dem Kontext gelöste Handlungsbrocken und Namen hin, die er wiederum mit knappen Nacherzählungen der realen Vorbilder verknüpft, ohne dabei jedoch Motive und Erzählstrategien wirklich nachvollziehbar darzustellen. Zudem gibt es zahlreiche Redundanzen, weil der Autor so manches repetiert, was er schon im ersten Drittel seines Buches besser dargestellt hat. Systematisch ist hier nur die Vermeidung jeglichen Tiefgangs, was sich nahtlos im Kapitel über Mord im Theater fortsetzt. Hier wartet der Autor dann mit so überraschenden Erkenntnissen auf wie: "Auch in William Shakespeares Dramen wird fleißig gemordet. Wenige sind im strengen Sinne historisch, einige frei erfunden, die meisten eine Mischung aus Dichtung und Wahrheit."

    Entsprechend dünn ist auch das Kapitel über Mord in Film und Fernsehen. Was den deutschen Fernsehkrimi angeht, da kommt von Uthmann übrigens nicht über den "Kommissar", "Derrick", den "Alten" und den "Tatort" hinaus. So ist man am Schluss dieses Buches leider enttäuscht, sogar verärgert, obwohl die Lektüre doch so viel versprechend begann. Denn der Gerechtigkeit halber muss man sagen: Die ersten hundert, vielleicht auch 120 Seiten dieser "Kulturgeschichte des Mordes" sind ein durchaus informativer und unterhaltsamer Spaziergang durch die Kriminalgeschichte der Realität - und der Fiktion. Dieser anregende Teil des Spaziergangs endet allerdings im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts.