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SPD-Basis in NRW gegen Große Koalition

Angela Merkels Politikstil würde den Sozialdemokraten nur schaden: Darin ist sich die SPD-Basis in NRW einig und warnt vor der Koalition mit einer Partei, die ihre Partner ausbluten lasse. Auch Hannelore Kraft, NRW-Ministerpräsidentin und Landesvorsitzende, spricht sich für den Gang in die Opposition aus.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 27.09.2013
    "Ja, Liebe Genossinnen, liebe Genossen, ich begrüße euch sehr herzlich zu unserer heutigen Mitgliederversammlung, vier Tage nach der Bundestagswahl …"

    Papierberge, Listen und Tabellen mit Wahlergebnissen und direkt vor sich eine Frikadelle in zerknitterter Alufolie: Karl Heinz Walter, der Ortsvereinsvorsitzende, ist bisher nicht dazu gekommen, wenigstens einmal reinzubeißen. Seit einer geschlagenen Stunde schon diskutiert hier jeder mit jedem, und Radio und Fernsehen sind auch noch da.

    "Wir sind heute nicht der größte Kreis, aber ich glaube, das liegt daran, dass einige noch darniederliegen. Und wir haben in den letzten Wochen ja sehr viel Wahlkampf gemacht, haben sehr viel auf der Straße gestanden, und nicht allen ist das so gut bekommen."

    Immerhin, ein gutes Dutzend Frauen und Männer zwischen 20 und 70 ist in den Vringstreff gekommen, zur Sitzung des SPD-Ortsvereins in der Kölner Südstadt. Nur knapp 24 Stunden vor Beginn des Parteikonvents in Berlin heute Abend.

    "Also, wenn Sie mich als Basis fragen, dann sage ich Ihnen, ich will keine Große Koalition! Punktum!"

    Das klingt, als habe Karl-Heinz Walter zu diesem Thema nicht mehr zu sagen. Weit gefehlt! Bevor es mit der Tagesordnung bei den Genossen richtig losgeht, will der 54-Jährige doch noch ein paar Botschaften loswerden. Zum Beispiel, warum die SPD auf gar keinen Fall in ein Boot steigen dürfe mit der CDU:

    "Naja, also, wenn man sich das Ergebnis von 2009 anguckt mit unseren damals historisch niedrigen 23 Prozent, und wenn man sich jetzt das Ergebnis der FDP anschaut, dann muss man sagen, dass Angela Merkel irgendwie was Vampireskes hat. Sie werden sozusagen ausgesaugt, bis Sie dann nach den Wahlen kraftlos sind. Ganz schön brutal!"

    "Das ist der Punkt. Da ist sehr viel eingebracht worden, und übergeblieben ist gar nichts. Gut, ich kenne die anderen Argumente, dass gesagt wird, es geht um Deutschland, und es geht nicht um die Partei … "

    … seufzt Adelheid Schulte, 71 Jahre alt und seit 40 Jahren in der SPD. Auch sie ist überzeugt, dass der Politikstil von Angela Merkel den Sozialdemokraten nur schaden würde:

    "Ich find’s eine verfahrene Situation und sehe da eine bestimmte Attraktivität in der Großen Koalition, aber eben auch die Gefahr, dass weiter dieses Wohlfühlgefühl an erster Stelle steht und dieses Einlullen weitergeht. Dass die SPD sich auch mit wieder reinziehen lässt und dass dann Positionen auch zu sehr aufgeweicht werden und keine klare Linie mehr bleibt. Das ist schon meine Sorge, ja."

    Nordrhein-Westfalen gilt in diesen Tagen als Hort des Widerstands. Große Koalition – oder abgekürzt: "Gro-Ko, nein danke" heißt eine Netzinitiative, auf der bis gestern Nachmittag, 16:29 Uhr, 123 SPD-Gliederungen aus der ganzen Republik ihren Protest erklärt haben, knapp die Hälfte davon aus NRW.

    "Wir haben nächstes Jahr Kommunalwahlen, und ich glaube, dass eine Große Koalition dafür nicht förderlich wäre."

    Das ist schon mal ein Grund, den Karl Heinz Walter da nennt für die geballte Renitenz an Rhein und Ruhr. Der andere Grund heißt Hannelore Kraft:

    "Wieso? Ich glaube, dass ich auch vorhin gesagt habe, es ist für uns keine Schande, in die Opposition zu gehen. Es braucht eine starke Opposition. Ich meine, auch das unter Demokratiegesichtspunkten, glaube ich, wenn man darauf schaut … Bitte?"

    "Es können nicht alle in die Opposition!"

    Die Vorsitzende des mitgliederstärksten Landesverbandes Anfang der Woche in Düsseldorf. Noch deutlicher wird Krafts Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag, Norbert Römer, der auf dieser Pressekonferenz direkt neben ihr sitzt:

    "In der NRW-SPD gibt es überhaupt niemand, der, die eine Große Koalition will. Wir streben sie auch nicht an. Und am Ende, davon bin ich überzeugt, wird es sie wohl auch nicht geben können."

    Hannelore Kraft ist Vizevorsitzende der Bundespartei, und sie trägt den inoffiziellen Titel "Hoffnungsträgerin der SPD". Im Moment aber nimmt sie im Berliner Koalitionspoker mindestens ebenso sehr die Interessen ihrer rot-grünen Landesregierung in den Blick. Ein Grund ist die angespannte Haushaltslage in Düsseldorf, immer wieder fordert Rot-Grün mehr Geld vom Bund, zum Beispiel für die darbenden Kommunen. Daran erinnert CDU-Landeschef Armin Laschet in diesen Tagen:

    "Also, der Frau Kraft wird es nicht mehr so leicht fallen, alles, jedes, was sie nicht kann, sagen, ja, das soll der Bund regeln! Wenn sie da selbst in der Regierung säße, ist das etwas schwieriger."

    Bei allem Widerstand gegen die Große Koalition hat Hannelore Kraft ebenso ihren Landesverband im Blick: Mühsam hat sie die NRW-SPD, die nach der Landtagswahlniederlage 2005 am Boden lag, in den letzten Jahren wieder aufgerichtet. Eine Große Koalition könnte das neu erlangte Selbstbewusstsein schnell wieder zerstören!

    "Ich kann mir vorstellen, dass es dann in Nordrhein-Westfalen tatsächlich zu einer Zerreißprobe kommt beziehungsweise, dass die Partei dafür bluten würde hier in NRW."

    Glaubt Robert Fuchs, Basis-Mitglied aus dem Kölner Süden:

    "Also, das hat man im Wahlkampf gemerkt, wenn man mit den Leuten gesprochen hat, das hat man bei den Leuten gemerkt, die Wahlkampf gemacht haben. Die haben Wahlkampf für eine ganz bestimmte Koalition gemacht, Rot-Grün! Und entsprechend denke ich, dass das durchaus zu inneren Konflikten führen würde."

    Das Verhältnis zwischen SPD und CDU ist in Nordrhein-Westfalen seit Langem schlecht. 2010 gab Hannelore Kraft Jürgen Rüttgers einen Korb und brachte statt der Großen Koalition lieber eine rot-grüne Minderheitsregierung auf den Weg. Die wurde letztes Jahr durch Neuwahlen beendet. Dass es so am Ende auch im Bund kommen könnte, schreckt manche Genossen aus dem Kölner Severinsviertel allerdings schon:

    "Zunächst mal hat die CDU ja auch Option auf die Grünen. Darüber hinaus hat sie eine sehr schöne Option, sie kann eine Minderheitsregierung bilden und sich die Mehrheiten suchen, so wie das ja zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen SPD und Grüne vorgemacht haben. Das könnte die CDU ohne Weiteres auch machen. Aber nein, also, Neuwahlen und die FDP käme wieder in den Bundestag, das wäre ja ganz fürchterlich!"

    "Das ist nicht zwangsläufig gesagt!"

    Meint wiederum Robert Fuchs. Und was ist nun mit der Linkspartei? Angesprochen auf Rot-Rot-Grün, jetzt oder in Zukunft, verziehen die Kölner Genossen alle das Gesicht. Erst mal den Parteikonvent abwarten, heißt es schließlich. Über alles andere, zum Beispiel auch eine Mitgliederbefragung, könne man dann ja immer noch diskutieren.

    "Nein, Revolution kommt auf keinen Fall. Wir sind keine revolutionäre Partei in dem Sinne, sondern wir sind eine staatstragende Partei. Aber wir müssen natürlich auch auf uns selbst achten und sehen, dass wir dabei nicht untergehen ..."

    Das klingt kämpferisch, doch eigentlich wirken die Kölner Südstadtgenossen an diesem Abend eher verhuscht. Selbst der alte Satz von Franz Müntefering gilt nur noch bedingt:

    "Opposition ist sicherlich Mist. Aber Alternative, regieren, ohne Inhalte durchsetzen zu können, als Steigbügelhalter zu fungieren, um dann hinterher noch abgestraft zu werden, das ist auch Mist!"