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SPD-Generalsekretär und Examenskandidat

Himmelrath: Wenn ein 33-Jähriger auf einer Party erzählt, dass er noch studiert, dann erntet er in der Regel mitleidige Blicke. Die sagen dann, ach Dauerstudent, ach, der hat's nicht geschafft. Wenn Hubertus Heil auf einer Party erzählt, dass er noch studiert, dann sind das eher bewundernde Blicke, die er erntet, denn der 33-Jährige hat noch einen Nebenjob, der deutlich Zeit frisst. Er ist nämlich SPD-Generalsekretär und bestreitet derzeit drei Landtagswahlkämpfe und hat sich gerade zu seinem Examen an der FernUniversität Hagen angemeldet. Guten Tag, Herr Heil.

Interview mit Armin Himmelrath | 14.02.2006
    Heil: Tag, Herr Himmelrath.

    Himmelrath: Wie macht man das, als SPD-Parteigeneral, wahrscheinlich mit einer 60-Stunden-Woche und dann nebenher noch studieren?

    Heil: Es war Gott sei Dank so, dass ich mich, bevor ich Generalsekretär wurde, scheinfrei gebracht habe. Ich bin relativ früh, mit 24 zum Bundestag nominiert worden. Damals war ich mit dem Studium noch nicht fertig, ich war an der Uni Potsdam immatrikuliert und musste mich dann in diesen neuen Job einfügen, in das Amt als Bundestagsabgeordneter, und habe dann auch ein paar Freisemester gemacht. Danach dann an der FernUniversität in Hagen eingeschrieben und habe dann Stück für Stück mich scheinfrei geschossen, das war schon ein harter Akt, aber das war notwendig, weil, ich wollte das fertig bringen.

    Himmelrath: Was studieren sie genau?

    Heil: Politikwissenschaften und Soziologie an der FernUni Hagen.

    Himmelrath: Und worüber schreiben Sie jetzt Ihre Arbeit? Hat das was mit Ihrem Beruf direkt zu tun?

    Heil: Ja, das hat es. Es ist ein spannender Prozess. Ich schreibe über den deutschen Wohlfahrtsstaat im Wandel, in den letzten Jahren, in dem Zeitraum 1998 bis 2005. Das ist eine Analyse die etwas zu tun hat mit europäischen Wohlfahrtsstaatsmodellen, das ist insofern ganz spannend und auch für meine praktische Arbeit gut zu nutzen.

    Himmelrath: Aber wie kann man das hinbekommen, dass Sie tatsächlich, Sie sind ja im Land unterwegs, Sie reisen herum, Sie haben Wahlkampfveranstaltungen, Sie haben Parteiveranstaltungen rauf und runter, wo finden Sie da in diesem engen Zeitraster noch die Zeit um zu studieren?

    Heil: Man muss das sehr, sehr diszipliniert tun. Ich musste mich da auch immer zu zwingen und meiner Frau auch klar machen, dass zwischen Weihnachten und Neujahr, in der Zeit, wo man sonst Skilaufen war, man sich ans Laptop setzt, auch vorher versucht zu recherchieren und im Internet und in Bibliotheken unterwegs zu sein. Das geht, aber man muss sich ziemlich zusammenreißen. Ich bin froh, dass mir das gelungen ist.

    Himmelrath: Kommen Sie mit besonders wenig Schlaf aus?

    Heil: Ja, also ich bin noch in einem Alter, wo man nicht mehr im Wachstum ist aber auf der anderen Seite, wenn man sich zusammenreißt, das auch geht. Also, es ist manchmal so, dass man da bis in die Nacht muss, aber das kenne ich auch aus anderen politischen Situationen und dann muss man gucken, wenn man es hinter sich hat, kann man sich auch ausschlafen, aber vorher nicht.

    Himmelrath: Wenn Sie jetzt auf Ihre parteipolitische Arbeit gucken, Sie sind nun noch Student, kennen die Erfahrung eines Studenten, haben noch einen gewissen Bezug zum Studentenleben, spielt das eine Rolle auch in der Parteipolitik? Können Sie sich da anders einbringen, als das vielleicht Kollegen von Ihnen können?

    Heil: Ich will das nicht übertreiben, weil ich an der FernUni Hagen nicht das typische Studentenleben kennen gelernt habe. Es ist nicht so, dass man dann mit Kommilitonen unterwegs ist und sich da auch in Arbeitsgruppen austauschen kann, das habe ich an der Uni in Potsdam erlebt, das ist aber schon ein paar Jahre her. Insofern maße ich mir das nicht an, immer zu sagen, dass ist das was Studierende heutzutage bewegt. Aber dass man so was wie Fernuni nutzen kann und auch weiß, dass das ein ganz, ganz wichtiger Punkt ist für junge Berufstätige, sage ich mal, sich auch weiter zu qualifizieren, das habe ich erlebt. Also wichtig ist, dass man das noch weiß und kann und die Möglichkeiten habe ich da genutzt.

    Himmelrath: Trotzdem natürlich die Frage, welche bildungspolitischen Reformen in der Debatte sind jetzt die wichtigsten, die im Moment diskutiert werden? Das ist ja ein ganz heißes Thema.

    Heil: Das fängt gar nicht bei Unis in erster Linie an. Die wichtigsten Reformen sind am Anfang der Bildungskette, also das betrifft schon Kindergärten, Unter-Dreijährigen-Betreuung, dann unser Schulsystem, dann auch Schulen, Hochschulen, berufliche Bildung und nicht zuletzt Weiterbildung. Aber in der Reihenfolge. Wir haben in Deutschland die Neigung dazu, beispielsweise Kinderbetreuungseinrichtungen nicht als Bildungsinstitution zu begreifen. Das muss sich ändern. Und die Lehre aus der PISA-Studie, die wir immer so viel zitieren in Deutschland, ist ja, dass wir vor allem breiten Zugang brauchen, dass soziale Herkunft nicht über Bildungs- und Lebenschancen entscheiden kann. Das ist leider in Deutschland noch zu stark der Fall verglichen mit anderen Ländern. Und zum Zweiten, dass nur aus der Breite auch Spitze wachsen kann.

    Himmelrath: Wir haben es am Anfang gesagt, Sie haben sich gerade angemeldet für die Examensarbeit, das heißt, Sie haben jetzt wahrscheinlich drei Monate Bearbeitungszeit. Was sind denn Ihre Pläne für danach? Wollen Sie noch eine Promotion nebenberuflich anhängen?

    Heil: Also ich will mir das in Ruhe angucken, ich finde das ganz spannend, was es da auch an Angeboten gibt. Ich kann mir das vorstellen, auch langfristig, berufsbegleitend etwas im wissenschaftlichen Bereich zu machen, das ist eine unglaubliche Möglichkeit auch, gerade als politischer Akteur sich hin und wieder mit Wissenschaft zurück zu koppeln. Ich will, wenn ich das erst mal jetzt hinter mir habe, in den nächsten drei Monaten mich umschauen, was es da an Möglichkeiten gibt, mich da auch nicht unnötig unter Zeitdruck setzen, sondern gucken wie ich das einfügen kann. Interessieren würde es mich schon. Also ich habe da Feuer gefangen.

    Himmelrath: Herzlichen Dank. Hubertus Heil war das, der SPD-Generalsekretär und Student, Noch-Student, in drei Monaten wird er seine Examensarbeit abgelegt haben. Herzlichen Dank nach Berlin.