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SPD-Hausvisite in der Eifel
Mit Andrea Nahles im Bürgerdialog

Überall in Deutschland schwärmen die SPD-Bundestagsabgeordneten in dieser Woche aus und suchen das Gespräch mit den Bürgern. Allen voran ist die neue Fraktionsvorsitzende, Andrea Nahles im Land unterwegs. Sie zieht in ihrem Wahlkreis von Haus zu Haus und begrüßt im Eifeler Dialekt.

Von Frank Capellan | 15.11.2017
    Andrea Nahles klingelt an einer Haustür in der Eifel.
    Andrea Nahles unterwegs in ihrem Wahlkreis in der Eifel: "Könne mer jet schwätze?" (dpa)
    Klingel – Sprechanlage: "Hallo? – Andrea Nahles hier, haben Sie einen Moment Zeit? – Oh, das ist schlecht, ich steh gerade fast unter der Dusche – oh das ist schlecht, dann stecke ich Ihnen was hier rein …"
    Die Fraktionschefin grinst in die Gegensprechanlage, tja so kann's gehen, am Montagmorgen um 10 in der Eifel. SPD-Haustürbetreuung ist um diese Zeit nicht ohne Risiko. Und in Nickenich, einem Nest von 3.000 Seelen in der Nähe von Andernach, scheint die Welt noch in Ordnung. Der Mann auf Arbeit, die Frau im Bad oder im Garten. Im Haus gegenüber bepflanzt eine ältere Dame trotz des kalten Novemberwetters gerade ihre Blumenkästen.
    "Machen Sie ruhig, Stiefmütterchen gehen vor, sieht auch gut aus, darf ich Ihnen trotzdem was hier lassen?"
    Krankendiagnose kurz nach der Wahl
    Nahles steckt einen SPD-Kugelschreiber auf eine Postkarte: "Sagen Sie uns ihre Meinung!" steht darauf: "Welche Themen sollen wir zur Sprache bringen, um welche Probleme soll sich die SPD-Fraktion kümmern?" Unfrankiert in den Briefkasten, so wünschen sich das die Genossen, sie erwarten Antworten auf die Frage, warum die stolze Volkspartei nur noch 20,5 Prozent der Wähler von sich überzeugen konnte. Krankendiagnose kurz nach der Wahl.
    "Guten Tag! Andrea Nahles, kann ich kurz mit Ihnen sprechen? – Ich bin schwer erkältet, aber ich lasse Sie trotzdem rein – Das ist sehr nett."
    Diesmal hat Nahles Glück. Die 47-Jährige geht ins Treppenhaus, öffnet den Reißverschluss ihrer himmelblauen Outdoorjacke und begrüßt eine Rentnerin.
    "Wir sammeln Ihre Meinung ein, was Sie uns mit auf den Weg geben würden in den nächsten Jahren."
    "Ich will nicht stören" – "Das tun Sie aber schon!"
    Nahles streift mit entschlossenem Schritt von Haus zu Haus. Finstere Fassaden aus dunklem Lavagestein prägen den Ort. Vor einer Haustür stehen verblichene Plastikblumen, daneben ein Quad, Nahles schmunzelt, "Hier muss ein alleinstehender Mann wohnen!" Ein wenig weiter die Durchgangsstraße hoch schrauben zwei andere an einem Auto.
    "Könne mer jet schwätze", ruft Nahles im Eifeler Dialekt über den Zaun, doch nach Schwätzen ist den beiden Bastlern nicht zumute.
    Nahles: "Ich will nicht stören" – Mann: "Das tun Sie aber schon!" – Nahles: "Ja, heißt das, ich soll lieber wieder verschwinden?" –" Besser wäre das!"
    Wenig Glück hat sie auch an der nächsten Tür:
    "Wissen Sie, wer ich bin? Von der SPD die Fraktionsvorsitzende?" –" Ja, wir sind CDUler"
    Die nächste Kanzlerkandidatin?
    "CDUler", vier Jahre hat Nahles mit denen in Berlin zusammengearbeitet, vorbei! In vier Jahren könnte sie diejenige sein, die fürs Kanzleramt kandidiert. Der Kampf darum hat Wochen nach dem Wahldesaster in der Vulkaneifel schon begonnen. Und an der nächsten Tür immerhin wird sie von einem redseligen Menschen begrüßt, der sich mit ihr auseinandersetzen mag.
    "Ich war nicht wählen, hätte sonst AfD gewählt, das mag Sie schockieren. Man muss sich als Deutscher doch identifizieren können!"
    Schockiert ist Andrea Nahles nicht, genau deswegen ist sie ja hier, auch um mit AfD-Sympathisanten zu reden, die sich vielleicht zurückholen lassen.
    "Also Sie meinen, dass die Kulturen dann auch nicht zusammenpassen, dass das nicht geklappt mit der Integration ja?" –" So ist es, das war die Botschaft! Danke!"
    AfD bekam in Mayen fast zwölf Prozent
    Es geht weiter nach Mayen, dorthin, wo die AfD fast zwölf Prozent geholt hat. Bevor Andrea Nahles in den dunklen Dienstwagen steigt, denkt sie laut darüber nach, was der Mann ihr gerade gesagt hat.
    "Er hat ja offensichtlich Angst, dass wir in Deutschland verlieren, unsere eigene Identität, wenn neue Leute dazu kommen. Und tatsächlich ist es oft so, wenn neue Leute dazukommen, verändert sich was, und damit haben die Leute ein Problem, darüber müssen wir reden!"
    Reden und nach Antworten suchen in einer Gegend, in der sich Ressentiments breit machen, obwohl es die direkte Begegnung mit den Fremden hier nur selten gibt.
    "Also ich bin noch viel in der Stadt unterwegs, wenn man da sitzt im Cafe oder so, ich würde jetzt nicht sagen, dass bei uns plötzlich mehr Ausländer rumlaufen als früher", meint Dirk Meid, der örtliche SPD-Vorsitzende.
    Nusseckendialog
    Meid und seine Kollegen haben Kaffee zum Aufwärmen mitgebracht. Ein paar Nussecken machen die Runde. Nahles ist angetan von ihrer Fraktion im Dialog. Neben der Flüchtlingspolitik kommt immer wieder die Rente zur Sprache, das Gesundheitssystem, das zu teuer ist, oder auch die schlechten Straßen.
    "Vor der Wahl rumgelaufen, nach der Wahl. Vor der Wahl hat man immer bei den Leuten den Reflex ausgelöst, man will was von ihnen, nämlich 'ne Stimme. Und jetzt haben sie ja nicht das Gefühl, wir wollen was von ihnen, und jetzt kommen einfach mehr Themen!"
    "Ach, Morgen! Wir kennen uns doch" – "Ich dachte, Ihr wolltet Kaffee trinken kommen." – "Nee, wir haben ja selber einen mitgebracht …"
    Nahles im Dialekt
    Der rüstige Rentner mit den Wanderstöcken kennt die SPD-Abgeordnete offenbar gut. Immer wieder trifft Nahles auf Menschen, die schon ihren Vater schätzten, einen Maurer, der auch als Unterhaltsmusiker übers Land tingelte.
    "Mir han ja ken goot Ergebnes, mer wolle halt wisse, wat mer besser machen könne."
    Nahles blickt zur Uhr, wenn sie zu Haus in der Eifel ist, kocht sie selbst für ihre sechsjährige Tochter. Rührei mit Spinat gibt es heute, Zeit die sozialdemokratische Hausvisite bald zu beenden. Noch einmal klingeln:
    "Hallo, guten Tag, Andrea Nahles ist mein Name!"
    Herzlicher Hausherr
    Überaus herzlich wird die Oppositionsführerin von einem Paar, Mitte sechzig empfangen, die beiden besitzen ein schmuckes Einfamilienhaus, der Hausherr geht gleich zum Du über, Nahles Vater hat er gekannt, wieder ist das ein sprichwörtlicher Türöffner. Es gibt ein Lob für die Arbeitsministein a.D., das mit dem Mindestlohn.
    "Das hast Du gut macht!" – "Danke!" – "Doch finde ich auch" – "Gute Arbeit muss auch gut bezahlt werden – ganz einfach!"
    Mindestlohn, gleiche Bezahlung für Mann und Frau, wie sehr hatten die Sozialdemokraten gehofft, bei der Wahl dafür die Ernte einzufahren. Martin Schulz hatte ganz auf Gerechtigkeit gesetzt, vergebens, irgendwie haben sie ihm und der SPD so vieles nicht abgenommen.
    Voller Terminkalender, ungeklärte Fragen
    "Es wird ja nur gelogen bei Euch." – "Einfach ein klares Wort mal reden." – "Ehrlichkeit, das hat viel damit zu tun, dass die Leute sich nicht mehr sicher gefühlt haben, Flüchtlinge, war das ein Thema, wo Ihr Euch mehr Ehrlichkeit gewünscht hättet?"
    Eine Frage, die sich dann doch nicht mehr wirklich klären lässt. Andrea Nahles muss weiter. Nach der Wahl ist vor der Wahl, diesen Eindruck vermittelt sie in ihrer Heimat an diesem Tag, und dass sie es ernst meint mit dem Neuanfang der SPD. Beim nächsten Mal, wenn sie komme, werde sie bestimmt länger bleiben, ruft sie dem Ehepaar zum Abschied zu, versprochen!
    "Das nächste Mal, wenn ich komme, bist Du der Letzte und dann bin ich eine Stunde da!"