Freitag, 19. April 2024

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SPD in Sondierungsgesprächen
"Lieber heute ein Nein als nach diesem Sonderparteitag"

Für die SPD wäre es keine besonders günstige Situation, wenn man in Neuwahlen gehen müsste, sagte der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier im Dlf. Die Situation für die Sozialdemokraten würde sich allerdings "nur noch immer verschlechtern", wenn die Entscheidung zur GroKo herausgezögert werden würde.

Uwe Jun im Gespräch mit Peter Sawicki | 11.01.2018
    Der Parteienforscher Uwe Jun vor einem Bücherregal in seinem Büro
    Uwe Jun zur Lage der SPD: "Man verheddert sich auch deswegen, weil die eigenen Parteimitglieder, die eigene Partei häufig sehr stark im Vordergrund steht." (dpa /Birgit Reichert)
    Peter Sawicki: Mitgehört hat am Telefon der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier. Schönen guten Abend, Herr Jun.
    Uwe Jun: Guten Abend, Herr Sawicki.
    Sawicki: Glauben Sie, dass das Ja heute Abend kommt, oder erleben wir ein Jamaika-Déjà-vu?
    Jun: Das ist natürlich abschließend noch nicht so festzulegen. Aber ich halte die Wahrscheinlichkeit wie auch schon Ihr Kollege für höher, dass heute man zu einer Einigung kommt, als dass es nicht zu dieser kommt.
    "Für die SPD eine Bürde"
    Sawicki: Weil der Druck zu groß ist?
    Jun: In der Tat, weil der Druck auch eine wichtige Rolle spielt. Frank-Walter Steinmeier, der Bundespräsident, der ja auch in den Reihen der SPD einen guten Ruf hat, hatte ja heute nochmals darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, auch aus seiner Sicht, dass Deutschland eine stabile Regierung bekommt, und das ist auch für die SPD eine Bürde, der sie sich dann kaum entziehen kann.
    Sawicki: Wer steht aus Ihrer Sicht eigentlich mehr unter Druck, welche dieser Parteien?
    Jun: Ich denke, die SPD. Sie hat sich zwar zum Teil auch selbst diesen Druck besorgt. Sie hat sich selbst in diese Situation hineinmanövriert. Aber da sie jetzt da nun mal steht, steht sie am stärksten unter Druck.
    Sicherlich ist auch bei der CSU der Druck nicht gerade gering, jedenfalls gefühlt, weil man die Landtagswahl in diesem Jahr vor sich hat.
    "Themen, die der Mitgliedschaft wichtig sind"
    Sawicki: Glauben Sie, wenn wir bei der SPD mal bleiben, dass sie jetzt auch glaubhaft vor allem der eigenen Basis vermitteln kann, dass diese Große Koalition jetzt notwendig ist?
    Jun: Dann kommt es wesentlich darauf an, was heute vereinbart wird, und da sind ja schon ein paar Themen angesprochen, die der Mitgliedschaft wichtig sind. Da sind wir bei den Themen Soziales, wir sind aber auch beim Thema Bildung, wir sind beim Thema Steuern und wir sind beim Thema Europa, wobei Europa insbesondere in der Parteiführung eine wichtige Rolle spielt, weniger bei der Basis. Das müsste heute alles geklärt werden, auch Gesundheit übrigens, und da muss was auf den Tisch, was am Ende die Delegierten und auch die Mitglieder überzeugt, Ja zu sagen.
    "Erst mal nur Vorschläge"
    Sawicki: Vieles davon ist ja noch nicht geklärt, wie wir gerade gehört haben. Übers Geld wird noch gesprochen, wofür Geld ausgegeben werden kann. Und wenn wir uns das anschauen, was vermeintlich schon vereinbart worden ist – von Diesel-Nachrüstungen war die Rede, war zu lesen, das Ende des Klimaziels bis 2020 oder ein Einwanderungsgesetz -, wie bewerten Sie das alles bislang?
    Jun: Ich würde sagen, das sind Punkte, wo man sicherlich auch zusammenkommen kann, wo es nicht allzu strittig war bislang. Aber auch das steht noch unter dem Vorbehalt zum einen, dass es ja noch in der großen Sechsergruppe alles verabschiedet werden muss, also der Partei- und Fraktionsvorsitzenden, und dass die anschließenden Koalitionsverhandlungen ja auch noch kommen. Das heißt, dass man hier erst mal nur Vorschläge hat, mit denen man dann weiter arbeiten kann, die aber sicherlich dann eine Basis für zukünftige Gespräche bieten.
    Infrastruktur, Bildung, Digitalisierung
    Sawicki: Ist aus diesen ganzen Sachen für Sie bislang erkennbar, was für ein Projekt eine solche Große Koalition haben könnte? Wofür könnte sie stehen?
    Jun: Das ist im Moment nach dem, was nach außen dringt, wenig erkennbar. Aber es gibt natürlich verschiedenste Möglichkeiten. Da wäre das Thema wesentlich zu nennen der Infrastruktur, Bildung, Digitalisierung, auch die digitale Infrastruktur, auch natürlich Europa, was für die SPD-Führung jetzt wichtig wäre. Das wären alles Themen, unter denen man zusammenkommen könnte, und dann könnte man sagen, wir stehen für diese Problemlösungen ein und versuchen, da adäquate Vorschläge zu machen, die Deutschland nach vorne bringen, und das muss diese Große Koalition ja auch am Ende leisten.
    "Man verheddert sich häufig"
    Sawicki: Eine Politik der kleinen Schritte wäre das wohl eher, oder?
    Jun: Man könnte größere Schritte wagen. Die Frage ist, ob man den Mut hat und auch die Entschlossenheit, diese größeren Schritte zu wagen. Man verheddert sich häufig in diesen Verhandlungen dann in kleinteilige Diskussionen. Das ist auch so ein bisschen angelegt anhand dieser Arbeitsgruppen. Die Möglichkeit besteht durchaus mal zu größerem Risiko, aber man verheddert sich auch deswegen, weil die eigenen Parteimitglieder, die eigene Partei häufig sehr stark im Vordergrund steht und weil man deren Bedürfnisse und Interessen versucht, zu berücksichtigen.
    Sawicki: Wie schwierig ist es dann, in der Situation Mut zu fassen? Ist das überhaupt machbar, wenn die Parteien so unter Druck stehen, da jetzt wirklich einen großen Wurf zu wagen?
    Jun: Es ist sicherlich nicht einfach, weil man am Ende immer vor die eigene Basis treten muss und das da rechtfertigen muss. Das betrifft alle gleichermaßen und das betrifft Herrn Seehofer genauso wie Frau Merkel oder Herrn Schulz. Dann sind die ersten Ansprechpartner doch immer die eigenen Leute und da will man nicht zu sehr unter Druck geraten oder zu alt aussehen, dass man zu sehr und zu viel dem anderen nachgegeben hat. Aber dennoch könnte man ja versuchen, in manchen Bereichen, ohne dass es so aussieht oder ohne dass man den Eindruck gewinnt, man hat zu stark nachgegeben, hier mal mit etwas weitergehenden Vorschlägen versuchen, diese Problemlösungen, von denen ich sprach, also Digitalisierung, Infrastruktur, Europa, mal über diese auch zu sprechen und nicht nur über einen Rentenprozentpunkt oder über 0,4 Prozentpunkte in der Arbeitslosenversicherung.
    "Zu sehr in diesen Details sich vertieft hat"
    Sawicki: Ist das für Sie eigentlich ein positives Zeichen, dass über solche Details in den Sondierungen gesprochen wird, oder ist das eher ein Armutszeugnis, dass wir seit so vielen Monaten auf eine neue Regierung grundsätzlich warten?
    Jun: Es spricht dafür, dass man einigungswillig ist, dass man sich dieser Kleinigkeiten annimmt. Aber es ist auch genau das Problem, dass man zu sehr in diesen Details sich vertieft hat und dann immer wieder in Details versucht zu ringen und zu sehr dann an die eigene Wählerschaft, an die eigene Mitgliedschaft denkt, dass darüber hinaus der große Wurf, der große Entwurf, wie kann Deutschland wieder stärker zusammengeführt werden, wie soll sich Deutschland in den nächsten 15 bis 20 Jahren präsentieren, etwas verloren gegangen ist.
    GroKo: "Nach wie vor Widerstand in der SPD"
    Sawicki: Wie hoch sind aus Ihrer Sicht eigentlich die Hürden noch auf dem Weg zur definitiven Großen Koalition?
    Jun: Die sind nicht niedrig, wobei man allerdings den Jusos, die ja gerade auch zitiert wurden, denen sollte man sagen, wenn sie an die Interessen der SPD-Wählerschaft denken – und das tun sie ja -, dann ist die Koalition für die SPD allemal besser als die Opposition oder eine Minderheitsregierung, denn die Interessen können sie nur da durchsetzen, in einer solchen Regierung. Das Argument finde ich nicht allzu überzeugend. Aber dennoch sollte man natürlich erkennen, dass in der SPD nach wie vor Widerstand da ist, und da spielt aus meiner Sicht der Parteivorsitzende eine wichtige Rolle. Wenn er mit der Unterstützung des Parteivorstands wirbt, falls es positiv heute ausgeht, dass man diesen Schritt wagt, dann würde es für die SPD doch schon ein Erhebliches bedeuten, dem nicht zu folgen, weil man dann in vermutlich Neuwahlen gehen müsste und dann doch eine recht zerstrittene Partei vor sich hätte.
    "Für die SPD keine besonders günstige Situation"
    Sawicki: Für wen wären Neuwahlen, Stand jetzt, die gefährlichste Option?
    Jun: Stand jetzt müsste man sagen, dass wahrscheinlich für die SPD es keine besonders günstige Situation wäre, wenn man in Neuwahlen gehen müsste. Aber die Situation würde sich für die SPD nur noch immer verschlechtern, wenn man es weiter hinauszögert. Dann lieber heute ein Nein als nach diesem Sonderparteitag oder gar nach einer Mitgliederbefragung. Insgesamt hat sicherlich da die SPD wieder die schlechtesten Karten in der Hand.
    Sawicki: Bei uns heute Abend im Deutschlandfunk der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun. Vielen Dank, dass Sie Zeit für uns hatten.
    Jun: Ich danke Ihnen, Herr Sawicki.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.