Freitag, 19. April 2024

Archiv

SPD in Thüringen
"Verdammt zum Regieren"

Die SPD zeigt sich - trotz Bedenken - grundsätzlich offen für Rot-Rot-Grün in Thüringen. Carsten Schneider, Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, sagte im DLF, das Dreierbündnis werde nicht einfach. Aber die SPD sei "verdammt dazu, das Land stabil zu halten".

Carsten Schneider im Gespräch mit Marina Schweizer | 22.10.2014
    Vielen in der SPD sei es natürlich lieber, ginge die Partei in Thüringen in die Opposition, sagte Schneider. Aufgrund des Wahlergebnisses sei derzeit aber keine Koalition ohne die Sozialdemokraten denkbar. Zudem habe sich die Partei vor der Wahl offen gezeigt und müsse nun auch am Ende dazu stehen, einen Linken-Politiker zum Ministerpräsidenten zu wählen.
    Bauchschmerzen hat Schneider nicht. Die Sondierungsgespräche seien positiv verlaufen und seine Partei werde ihre Entscheidung zu einem möglichen rot-rot-grünen Bündnis anhand inhaltlicher Übereinstimmungen treffen.
    Die Linke in Thüringen ist aus Schneiders Sicht "weiter als auf Bundesebene". Die Partei habe bei der Wahl viele Stimmen bekommen, warum solle man sie dann nicht auch mit in die Regierungsverantwortung nehmen, so der SPD-Politiker. Eine Zusammenarbeit mit Linken und Grünen werde sicherlich nicht "ganz einfach", aber man wolle es versuchen.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Die Linkspartei spricht schon von einem neuen Kapitel in der Geschichte. Zum ersten Mal könnte in der Tat Die Linke einen Ministerpräsidenten stellen, könnte Bodo Ramelow in Erfurt 24 Jahre CDU-Herrschaft durchbrechen. Dafür bietet sich jetzt die SPD in Thüringen an. Vorher müssen aber noch die Genossen an der Basis über Rot-Rot-Grün abstimmen und der Gesprächsbedarf ist groß.
    Wie schauen die eher Konservativen innerhalb der SPD auf ein Bündnis unter Führung der Linkspartei, und das 25 Jahre nach dem Fall der Mauer? Meine Kollegin Marina Schweizer hat darüber mit Carsten Schneider gesprochen, einem der Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD.
    Marina Schweizer: Herr Schneider, der Landesvorstand spricht sich einstimmig für ein rot-rot-grünes Bündnis aus. Wie sehr schmerzt dabei Ihr Bauch?
    Carsten Schneider: Ja nicht so sehr. Das war ja auf Grundlage der Sondierungsergebnisse, die offen geführt wurden, sowohl mit der CDU als auch mit Linken und Grünen, und wir haben auch vor der Wahl gesagt, dass wir das nach der Wahl aufgrund von inhaltlichen Übereinstimmungen entscheiden werden, und die sind für eine Modernisierung Thüringens deutlich mehr mit der Linkspartei und den Grünen zu vereinbaren als mit der CDU. Und dazu kommt, auch wenn das absurd klingt, dass eine Koalition Grüne/SPD/Linke stabiler ist als eine mit der CDU, denn die ist hier in Thüringen extrem zerstritten, und von daher ist bei einer Ein-Stimmen-Mehrheit alles andere als sicher, dass das stabiler wäre. Ich glaube, dass es instabiler wäre.
    Schweizer: Sie haben die Inhalte jetzt angesprochen. Sie haben also kein Problem damit, dass mit dieser Empfehlung der SPD jetzt eine Art Tabu für die Partei fällt, wenn man einen linken Ministerpräsidenten sozusagen ins Amt hebt?
    Schneider: Das ist eine Entscheidung der Thüringer SPD. Wir sind offen in die Wahl gegangen und es hat ein Wahlergebnis gegeben, das nicht ganz einfach ist, aber wir haben nicht ausgeschlossen, auch einen Linken zum Ministerpräsidenten zu wählen. Das ist in einer gewissen Weise natürlich eine Entwicklung auch, die sowohl die Linkspartei durchgemacht hat und auch mitgemacht hat als auch natürlich die SPD, und da ist auch Vertrauen in den letzten Jahren aufgebaut worden, und jetzt müssen wir mal gucken, ob das auch dauerhaft trägt. Ich gehe jedenfalls offen da rein und glaube, dass es für Thüringen selbst mit Sicherheit das stabilste Regierungsformat ist, das wir haben können.
    "Die Linke hat sich in vielen Punkten demokratisiert"
    Schweizer: Wie weit entwickelt sich denn die SPD da auf Die Linke zu?
    Schneider: Nicht weit. Das Wahlprogramm der SPD findet sich hier fast eins zu eins wieder und dafür sind wir auch gewählt worden. Es gibt keine Punkte, wo ich sage, das geht jetzt auf gar keinen Fall. Im Gegenteil: Die Linke hat sich in vielen Punkten demokratisiert, ist im bundesdeutschen Parteiensystem angekommen. Da ist sie weiter in Thüringen, als sie es auf Bundesebene ist. Aber ich sehe keinen Grund, hier eine Partei, die über 27 Prozent der Stimmen bekommt und einen halbwegs realistischen Kurs jetzt fährt, da auch in die Verantwortung zu nehmen. Wir treten ja nicht an, um dauerhaft die CDU eine Führung als Ministerpräsidenten in Thüringen zu erhalten.
    Schweizer: Hat eigentlich sich schon jemand gemeldet, jemand vom Koalitionspartner in Berlin und schon aufgeregt angerufen?
    Schneider: Nein, das hat nicht stattgefunden. Ich glaube, dass gerade die Thüringer Unionsleute auch wussten, was da höchstwahrscheinlich kommt. In den letzten fünf Jahren in der Großen Koalition ist einfach sehr viel Vertrauen auch verspielt worden. Die CDU hat sich an Vereinbarungen nicht gehalten, die verabredet waren, und da gibt es einfach wirklich kein Vertrauen, dass wir stabil und zuverlässig mit der CDU zusammenarbeiten können.
    "Keine Variante funktioniert ohne die SPD"
    Schweizer: Sie sprechen jetzt das verloren gegangene Vertrauen bei der CDU an. Ist denn ein potenzieller linker Ministerpräsident, der aus dem Westen kommt und keine SED-Vergangenheit hat, möglicherweise eine Chance, auf die die SPD nur gewartet hat?
    Schneider: Nein. Mir wäre es lieber, wir würden als Sozialdemokraten den Ministerpräsidenten stellen. Da haben wir mit Sicherheit nicht drauf gewartet. Aber das Wahlergebnis war halt so für uns und leider ist auch keine Koalition ohne uns möglich. Ehrlicherweise ist hier der Großteil der Partei eigentlich eher der Auffassung, wir sollten in die Opposition gehen. Es gibt nur keine andere Variante, die ohne uns funktioniert, und von daher sind wir so ein bisschen jetzt auch noch verdammt dazu, Thüringen stabil zu halten. Aber nun stellen wir uns dem auch. Das ist mit Sicherheit nicht ganz einfach unter dem Vorzeichen dieses Wahlergebnisses, aber wir stecken jetzt auch nicht den Kopf in den Sand. So schlimm ist es auch nicht.
    Schweizer: Sie sind verdammt dazu, sagen Sie. Das klingt jetzt nicht gerade danach, als sähen Sie die Chance, darin etwas auszuprobieren.
    Schneider: Nein. Ich bin niemand, der jetzt unbedingt mit der Linkspartei regieren möchte, sondern das muss man wirklich davon abhängig machen, bringt das dem Land was, sind wir hier halbwegs stabil, auch in der Politik, und auch zuverlässig. Ich glaube, dass das mit Grünen und Linkspartei möglich ist. Von daher versuchen wir das jetzt auch. Und wenn es wider Erwarten nicht klappen sollte, dann sollte es zumindest nicht an der SPD liegen.
    Schweizer: Kann denn die SPD in einer Juniorpartnerschaft mit der Linken überhaupt gewinnen?
    Schneider: Das werden wir ja in fünf Jahren sehen. Wir wollen jetzt unsere Politik machen. Es gibt ja viele, die sagen, jetzt sind alles nur noch sozialdemokratische Parteien hier in Thüringen. Inhaltlich stimmt das mehr oder weniger wahrscheinlich auch. Aber es ist uns nicht gelungen, lag aber auch ein bisschen an der Wahlkampfstrategie, das auch in Stimmen zu münzen. Ich glaube, dass wir in Thüringen deutlich stärker sind, als das Wahlergebnis uns jetzt zugesprochen hat. Von daher ist es durchaus eine Chance, auch wieder stärker zu werden. Wenn es keine Chance gäbe, dann würde ich ja den Kopf in den Sand stecken, und das will ich nicht.
    Schweizer: Herr Schneider, dann lassen Sie uns kurz auf die Mitgliederbefragung blicken. Wie viel Ablehnung oder Zustimmung erwarten Sie denn jetzt von den Mitgliedern?
    Schneider: Da ist jeder frei. Wir hatten das noch nicht in Thüringen, über diese Frage eine Entscheidung. Von daher bin ich auch gespannt. Ich glaube aber, so wie ich die Stimmung hier wahrnehme, dass es eine Mehrheit für diesen Entwurf des Landesvorstands gibt, das heißt für eine Regierung und Koalitionsverhandlungen mit Linkspartei und Grünen.
    Barenberg: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider im Gespräch mit meiner Kollegin Marina Schweizer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.