Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

NRW-Juso-Vorsitzende zu Scholz
"Es geht darum, wieder Teampartei zu sein"

Bei den Jusos überwiegt die Skepsis gegenüber der Nominierung von Olaf Scholz zum SPD-Kanzlerkandidaten. Dennoch werde man Scholz unterstützen, sagte die Juso-Vorsitzende in NRW Jessica Rosenthal im Dlf. Man erwarte aber, dass die SPD wieder zu einer Partei werde, die ein Zukunftsversprechen an die junge Generation gebe.

Jessica Rosenthal im Gespräch mit Rainer Brandes | 15.08.2020
Jessica Rosenthal von den Jusos NRW spricht auf dem Bundesparteitag der SPD in Berlin
Jessica Rosenthal auf dem Bundesparteitag der SPD (imago/Felix Zahn/photothek)
Die SPD hat mit Finanzminister Olaf Scholz einen Kanzlerkandidaten nominiert, der bislang als Vertreter des konservativen Parteiflügels galt. Doch selbst der Juso-Vorsitzende und Parteilinke Kevin Kühnert hat Scholz die Unterstützung zugesichert. Die Skepsis in der sozialdemokratischen Nachwuchsorganisation bleibt dennoch groß – trotzdem wolle man Scholz "eine ernst gemeinte Chance geben", hieß es etwa in der Pressemitteilung des nordrhein-westfälischen Juso-Verbandes.
Gesellschaftliche Linke muss sich konkrete Machtoption geben
Im Gespräch mit dem Dlf verteidigte die Landesverbandsvorsitzende, Jessica Rosenthal, diese Position. Sie wolle, dass die SPD wieder eine Teampartei sei. Deshalb unterstützten die Jusos in NRW grundsätzlich die Nominierung von Scholz durch die Gremien der Partei. Gleichzeitig bedeute Teampartei aber auch, dass man aufeinander zu- und auf einander eingehe. Sie sei optimistisch, dass Scholz dies tun werde und auch die Inhalte, die den Jusos wichtig seien, aufnehmen werde. Dies müsse aber auch passieren.
Olaf Scholz (SPD), Bundesminister der Finanzen, spricht bei einer Pressekonferenz, auf der er als Kanzlerkandidat seiner Partei für die Bundestagswahl 2021 vorgestellt wird
Olaf Scholz - der richtige SPD-Kanzlerkandidat?
Noch vor wenigen Monaten war Olaf Scholz der Verlierer bei der Wahl zum SPD-Parteivorsitz. Scholz, der Agenda-Mann, der Verteidiger der Schwarzen Null. Jetzt soll er das Zugpferd der Sozialdemokraten für die Bundestagswahl sein.

Als wichtige Inhalte nannte Rosenthal: Zukunftsinvestitionen, eine Abkehr von Hartz IV, ein völlig veränderter Sozialstaat, Ausbildungsplatzgarantie und Ausweitung des BAföG. Diese Inhalte müssten zur DNA der SPD werden. "Ich möchte, dass die SPD wieder die Partie wird, die ein Zukunftsversprechen an meine Generation gibt", so Rosenthal.
Angesichts der angestrebten sozialökonomischen Wende gäbe es aber eine massive Notwendigkeit, dass sich eine gesellschaftliche Linke auch eine konkrete Machtoption gebe. Für ein solches "progressives Bündnis" müssten sich aber sowohl die Linken bewegen – etwa in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch die Grünen, die nach Ansicht von Rosenthal aktuell eher mit der CDU "flirteten". Letztlich müsse man nach den nächsten Bundestagswahlen klären, wie die konkreten Machtoptionen seien.

Lesen Sie hier das komplette Interview im Wortlaut.
Rainer Brandes: Frau Rosenthal, ich lese mal vor, was Sie zu Olaf Scholz‘ Kandidatur in einer Pressemitteilung geschrieben haben. Zitat: "Als NRW-Jusos werden wir nicht Wasser predigen und Wein trinken. Wir fordern ein neues Teamverständnis innerhalb der Partei ein und werden mit gutem Beispiel vorangehen. Konkret heißt das, dass wir dem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz eine ernstgemeinte Chance geben werden, wenngleich seine Nominierung in weiten Teilen des Verbandes zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine euphorischen Jubelstürme hervorgerufen hat", Zitat Ende. Freundlicher kann man eine eigene Skepsis eigentlich nicht verpacken, oder?
"Wir haben die emotionale Bindung an unsere Milieus verloren"
Trotz großer allgemeiner Zustimmung zur Politik der regierenden Koalition verharrt die SPD im Umfragetief. Dass die Partei die Bindung an viele Wähler verloren habe, sei "ein sehr schmerzhaftes Eingeständnis", sagte Staatsminister Michael Roth (SPD).

Jessica Rosenthal: Ich muss sagen, ich meine das genau so, wie wir das da auch formuliert haben. Es geht darum, wieder Teampartei zu sein, und Teampartei heißt in dem Fall auf jeden Fall auch, dass wir eine ernstgemeinte Chance aussprechen, dass wir natürlich auch den Spitzenkandidaten, der jetzt nominiert ist, auch grundsätzlich unterstützen wollen, aber Teampartei heißt auch, dass man gegenwärtig aufeinander zugeht und aufeinander eingeht. Olaf Scholz hat auch selbst gesagt, er will die ganze Partei hinter sich versammeln. Von daher bin ich da auch sehr optimistisch, dass er da auch Schritte auf uns zugehen wird, dass er auf die Inhalte, die uns wichtig sind, aufnehmen wird, aber genau das muss auch passieren.
Scholz muss Angebot an die junge Generation machen
Brandes: Und was meinen Sie dann mit eine Chance geben? Also was muss Scholz liefern?
Rosenthal: Konkret geht es uns vor allem um Inhalte. Wir haben in dem letzten dreiviertel Jahr gesehen, dass sich die Partei grundsätzlich neu aufgestellt hat. Wir stehen für Zukunftsinvestition. Ich möchte insgesamt, dass die SPD …, dass es da wieder zur DNA der SPD gehört, dass wir für Zukunftsinvestitionen stehen. Wir stehen für eine Abkehr von Hartz IV, für einen völlig veränderten Sozialstaat, der dem Menschen auf Augenhöhe begegnet. Ich möchte aber auch, dass wir für eine Ausbildungsplatzgarantie stehen, für eine Ausweitung des BAföG.
Ich möchte, dass die SPD wieder die Partei ist, die ein Zukunftsversprechen an meine Generation gibt und wieder sagt: Jawohl, euern Kindern wird es mal besser gehen! Und dafür braucht es massive Investitionen, dafür braucht es die Gestaltung der Transformation, auch gerade hinsichtlich ökologischer Fragen. Das sind alles Dinge, die wir als Jusos sehen wollen und die wir als Inhalte erwarten, und das ist das, was ich auch formuliert habe.
Bundesfinanzminister Scholz in der SPD-Parteizentrale
"Er würde die Zustimmung der SPD-Mitglieder bekommen"
Nach der Nominierung von Olaf Scholz als SPD-Kanzlerkandidat erfährt dieser breite Unterstützung aus der Partei. Der SPD-Abgeordnete Oliver Kaczmarek von der Parlamentarischen Linken glaubt, dass Scholz auch bei einer Basisabstimmung gewinnen würde.

Brandes: Ich möchte gleich noch mal auf diese inhaltlichen Forderungen mit Ihnen eingehen. Vorher wollte ich Sie noch mal fragen, wie lange hat Olaf Scholz denn Zeit dafür, um zu zeigen, dass er diese Forderungen unterstützt?
Rosenthal: Grundsätzlich ist es ja jetzt so gewesen, dass er durch die gewählten Gremien der Parteien nominiert worden ist und dass wir jetzt natürlich uns auf dem Weg in den Wahlkampf begeben. Das heißt auch, dass wir als Jusos da sicherlich auch noch Zeit haben, mit ihm ins Gespräch zu kommen in den nächsten Wochen und Monaten. Also ich setze da jetzt keine Deadline oder so. Wir haben auch noch einen Bundeskongress, all diese Punkte kommen noch, und von daher geht es nicht um die Formulierung von Deadlines, sondern es geht darum, tatsächlich ein echtes Angebot an meine Generation, an unsere Generation zu machen.
"Wir wollen wieder ein Zukunftsversprechen geben"
Brandes: Gut, dann schauen wir uns diese Inhalte jetzt mal an. Sie fordern ja unter anderem auch eine Abschaffung der Schuldenbremse, um mehr Investitionen möglich zu machen. Ist das aber nicht eine völlig unrealistische Forderung an einen, der als Finanzminister für solide Haushaltspolitik stand und steht?
Rosenthal: Ja, ich will vor allem erst noch mal deutlich machen, warum das wichtig ist. Es geht uns ja nicht darum, irgendwie Geld aus dem Fenster rauszuschmeißen, sondern tatsächlich darum, dass Zukunftsinvestitionen auch tatsächlich mit der Frage der Ausrichtung des Landes für die Zukunft zu tun haben. Also wenn wir zum Beispiel darüber sprechen, dass ständig Schwimmbäder schließen, die Sportplätze marode sind, dann hat das einen Grund. Das liegt nämlich daran, dass wir nicht genug investiert haben.
Wenn wir sagen, wir wollen dieses Zukunftsversprechen wieder geben, dann heißt das auch, dass man diese Missstände beheben muss. Ich glaube, da ist eine Erkenntnis gereift, auch innerhalb der SPD, und wenn ich auf das Handeln von Olaf Scholz in den letzten Wochen und Monaten seit diesem Beschluss gucke, vor allem mit Blick auf das Konjunkturpaket, dann habe ich schon den Eindruck, dass er diese Beschlüsse auch gesehen hat und, soweit das derzeit möglich ist, auch versucht hat umzusetzen. Das honoriere ich, das finde ich gut, aber es ist auch ganz klar, dass dieser Weg jetzt weitergegangen werden muss.
Anderer Blick auf das Thema Staatsschulden notwendig
Brandes: Jetzt ist aber ja im Moment diese Coronakrise auch eine Ausnahmesituation. Viele sagen ja, dass Deutschland da so gut durch die Krise kommt und jetzt so viel investieren kann in einem Konjunkturpaket. Das liegt ja daran, dass Deutschland vorher möglichst keine Schulden gemacht hat. Das heißt, müssten wir dann nicht am Ende, nach der Krise, auch wieder dahin zurückkehren?
Rosenthal: Also ich glaube, dass das erst mal was ist, was man prinzipiell sehr skeptisch betrachten muss. Also die ganze Frage, liegt das jetzt daran, dass wir so gut gewirtschaftet haben? Wir haben in Deutschland einen Niedriglohnsektor, in dem ein Viertel der Beschäftigten tatsächlich in einem Maße bezahlt werden, wo sie am Ende nicht davon leben können oder Flaschen sammeln gehen. Das betrifft vor allem Frauen, das betrifft junge Menschen. Wir haben auch in Deutschland, gerade auch mit Blick auf Europa, glaube ich, eine Handelsbilanz, wo auch ganz klar ist, dass wir von bestimmten Prozessen profitieren. Das muss man auch erst mal konstatieren.
Und dann haben wir einen riesigen Investitionsstopp. Wir haben unsere Kommunen tatsächlich kaputtgespart an ganz, ganz vielen Stellen, die sind nicht mehr handlungsfähig. Das heißt, wir sind da eigentlich, wenn man da mal abseits der Kontostände guckt, in anderen Bereichen sind wir eigentlich massiv im Minus. Von daher glaube ich, dass wir uns da erst mal prinzipiell überlegen müssen, ob das der richtige Weg ist oder ob wir nicht auch prinzipiell noch mal auf Staatsschulden anders gucken müssen und die auch mal breiter aufstellen, also den Blick darauf weiten, damit wir auch wirklich alle Dimensionen von Schulden, in Anführungsstrichen, erfassen können.
Brandes: Und so eine Politik, wie Sie sie fordern, die wird ja realistischerweise nur möglich sein in einem Bündnis mit den Grünen und den Linken, aber bei den Linken ist ja das Problem, dass zumindest fast alle Außen- und Sicherheitspolitiker und -politikerinnen der SPD sagen: Da sind die Linken nicht regierungsfähig. Glauben Sie, dass sich das wirklich ändern wird bei der Linken?
Rosenthal: Es gibt eine massive Notwendigkeit, die Veränderungen, wie wir sie jetzt vor uns haben, mit der sozialökologischen Wende, auch der Frage von Vermögensverteilung, und wir sind ja jetzt teilweise, also im Prinzip schon fast wieder bei einer Adelsgesellschaft angekommen, was die Vermögensverteilung angeht, das macht es notwendig, dass sich eine gesellschaftliche Linke auch eine konkrete Machtoption gibt und sagt: Jawohl, wir können das gemeinsam gestalten. Von daher ist das mein Wunsch auch in Richtung der Linken, dass sie sich in dieser Hinsicht bewegen, dass sie selber auch für sich selbst klären, dass sie regierungsfähig sein wollen.
Erfurt:  im Gespräch im Anschluss an die Aufzeichnung der Sendung maischberger. vor ort am 11. März 2020 im Erfurter Palmenhaus. 
"Scholz steht für Inhalte, gegen die wir hart protestiert haben"
Katja Kipping, Chefin der Linkspartei, hat sich grundsätzlich für ein Bündnis mit der SPD ausgesprochen. Olaf Scholz sei nicht ihr Lieblingskanzlerkandidat, doch er könne sich möglicherweise inhaltlich neu orientieren.

Das beinhaltet natürlich auch, dass man in diesen Fragen sich bewegen muss, aber das muss die Linke für sich klären. Ich kann erst mal nur sagen, als junge Generation und als Juso ist das mein definitiver Wunsch, weil ich glaube, dass das Land das auch verdient hat, dass das Europa verdient hat und dass wir da auf jeden Fall nach 16 Jahren Merkel und Bremsklotzpolitik der Union definitiv einen Aufbruch brauchen.
Große Koalition muss Ausnahmefall sein
Brandes: Und was ist mit einer neuen Großen Koalition? Würden Sie da auch noch mal einsteigen, wenn es hinterher nicht anders geht?
Rosenthal: Ich habe den Eindruck, dass das für viele immer überraschend ist, dass wir als Jusos unsere Analyse einfach weiter genauso sehen wie die letzten zwei Jahre, glaube ich, oder drei Jahre, sind es mittlerweile schon. Ich weiß es gar nicht. Wir sind der Meinung, dass eine Große Koalition ein Ausnahmefall sein muss und dass wir als SPD nicht der Korrekturverein der Union sind, sondern auf jeden Fall der Gegenentwurf davon, und dabei bleiben wir vom Prinzip her auch.
Wir sehen an ganz, ganz vielen Fragen, im Übrigen auch Fragen, die die jüngere Generation betreffen, wir haben das jetzt wieder seit der Frage von der Unterstützung von Studierenden in Corona-Zeiten gesehen, dass die Union keine progressive Politik macht, dass sie ausbremst, dass viele Dinge mit ihnen nicht möglich sind, und das sehen wir auch weiterhin so. Man muss sich die Machtoption dann angucken, wenn es soweit ist, aber bei dieser grundsätzlichen Analyse bleiben wir.
Brandes: Und Saskia Esken hat ja angedeutet, sie könne sich auch vorstellen, in eine Koalition mit den Grünen und den Linken als Juniorpartner zu gehen. Sehen Sie das auch so?
Rosenthal: Ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass die SPD die Partei ist, die den Kanzler oder die Kanzlerin in so einer Konstellation stellen muss und stellen sollte. Einfach weil wir es als Partei schaffen können, die Klammer zu bilden zwischen ökologischen Interessen, aber auch sozialen Interessen. Wir haben, glaube ich, auch eine starke…
SPD ist auf einem guten Weg
Brandes: Aber wenn die Wählerinnen und Wähler das anders sehen?
Rosenthal: …außenpolitische Position. Wir müssen gucken, wie die Machtoptionen dann sind. Ich denke, wir müssen jetzt auf jeden Fall für eine starke SPD streiten, und dann werden wir das sehen. Vor allem frage ich mich ja, wie die Grünen eigentlich in der Frage aufgestellt sind. Ich sehe vor allem, dass sie mit der Union flirten. Sie sind noch lange nicht sortiert und scheinen sich eher in diese Richtung zu orientieren und stehen nicht für so ein progressives Bündnis.
Von daher stellt sich für mich die Frage an der Stelle noch nicht, weil erst mal die Grünen sich entscheiden müssen, die Linken sich entscheiden müssen und wir dann gemeinsam für ein progressives Bündnis in langer Distanz auch kämpfen müssen und dann schauen, wie die Machtverhältnisse sind. Erst mal ist auf jeden Fall für mich ganz wichtig, dass wir eine echte Veränderung auch in der politischen Landschaft erreichen, dass wir diese großen Zukunftsfragen klären und da auch progressive Antworten für formulieren können, vor allem als SPD. Ich glaube, da sind wir auf einem guten Weg, der muss weitergeführt werden, und dann müssen wir gucken, welche Machtoptionen sind da möglich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.