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SPD-Politiker: Koalitionsvertrag ist "Dokument der Verunsicherung"

Die geplanten Steuersenkungen der schwarz-gelben Koalition sind nach den Worten des SPD-Politikers Thomas Oppermann auf Sand gebaut. Der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion sagte, die Vorhaben würden mit Krediten und Schulden finanziert und gingen zulasten von Dritten.

Thomas Oppermann im Gespräch mit Dirk Müller | 26.10.2009
    Dirk Müller: Die SPD konnte der neuen Koalition an diesem Wochenende nur zuschauen, denn sie ist jetzt in der Opposition, und weil Opposition ja Mist ist, wie Franz Müntefering einmal formulierte, als die Sozialdemokraten noch fest auf der Regierungsbank saßen, ist es vielleicht gar nicht so einfach, nun inhaltlich auf Angriff zu schalten – auch deswegen, weil die SPD in den kommenden Wochen und Monaten so viel mit sich selbst zu tun haben wird.

    Am Telefon ist nun Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

    Thomas Oppermann: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Oppermann, Sie sind nun Oppositionspolitiker. Ein komisches Gefühl?

    Oppermann: Ja, denn wir haben uns ja nicht beworben, Opposition im Deutschen Bundestag zu werden. Wir haben dafür gekämpft, die Verhältnisse in Deutschland sozial gerecht und ökologisch verantwortbar gestalten zu können. Jetzt müssen wir es so nehmen, wie es kommt. Die Aufgabe der Opposition ist nicht die schönste, aber sie ist eine verantwortungsvolle Aufgabe und diese Regierung braucht eine klare, eine entschiedene, eine deutliche Opposition.

    Müller: Wissen Sie denn, dass alle SPD-Politiker in dieser Opposition bereits mental angekommen sind?

    Oppermann: Das wird vielleicht in dem einen oder anderen Fall noch ein bisschen dauern. In der Regierung gibt es die berühmten 100 Tage, die die neuen Minister bekommen. In der Opposition wollen wir das nicht in Anspruch nehmen, denn wir müssen gleich loslegen. Was die Regierung da jetzt als Koalitionsvertrag vorgelegt hat, ist ein Dokument der Verunsicherung. Da wird die soziale Spaltung in Deutschland vertieft, da werden Versprechungen gemacht, die auf Schulden gebaut sind. Das führt in keine gute Zukunft, da muss eine Opposition sofort die Dinge beim Namen nennen.

    Müller: Dann sieht das ja ganz gut aus, Herr Oppermann. Wir haben eben zu Beginn der Sendung einen O-Ton von Guido Westerwelle eingespielt. Da waren Sie leider noch nicht am Telefon. Wir hören uns das noch mal an.

    Guido Westerwelle: "Was der SPD eingefallen ist, nämlich diese Enteignung gerade durch Hartz IV bei denen, die ein bisschen zurückgelegt haben, das korrigiert jetzt die Freie Demokratische Partei. Sie hat ein Herz für die kleinen Leute."

    Müller: Wussten Sie das schon? Die FDP ist jetzt die bessere SPD.

    Oppermann: Wenn ich schon die hysterische Stimme von Herrn Westerwelle höre und dann auch noch die falschen Behauptungen, dass die FDP jetzt das Herz für die kleinen Leute entdeckt hat, weil die Schonvermögen erhöht werden, das ist falsch. Die Schonvermögen hätten schon in der alten Regierung erhöht werden können, aber das haben Frau Merkel und Herr Kauder blockiert. Jetzt soll es mit Westerwelle gemacht werden. Das löst aber nicht die Probleme, denn die Armen, die Hartz-IV-Empfänger in Deutschland, die haben keine Vermögensprobleme - nur in 0,2 Prozent der Fälle ist das überhaupt ein Problem -, sondern die haben Armutsprobleme und diese Koalition bekämpft nicht die Armut, indem sie jetzt den Hartz-IV-Empfängern die Zuverdienstmöglichkeiten erweitert. Das führt am Ende dazu, dass der Niedriglohnsektor verfestigt wird, dass die Dumping-Löhne bleiben und dass der Staat sie lediglich aufstockt. Das heißt, wir bekommen auf Dauer eine Ausweitung des Niedriglohnsektors.

    Müller: Aber die Armutsprobleme der Hartz-IV-Empfänger, das geht ja nun genuin auf die SPD einmal zurück. Reden wir jetzt aber über die drei Punkte, die ich mir hier notiert habe: Höheres Kindergeld ist der eine Punkt, dann ein höherer Kinderfreibetrag und dann eben auch dieses Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger. Da kann man der FDP doch keinen Vorwurf machen?

    Oppermann: Höheres Kindergeld, das ist sicherlich im Interesse der Familien. Aber mit höherem Kinderfreibetrag und höherem Kindergeld haben sie noch keine verlässlichen Angebote an den Schulen. Was Familien viel mehr brauchen, das ist ein konstanter Unterricht für ihre Kinder, das sind Ganztagsangebote schon in Kindergärten und an Grundschulen. Und wenn ihnen jetzt mehr Kindergeld gegeben wird, aber sie auf der anderen Seite hohe Gebühren zahlen müssen für Kindergärten und für das Studium, dann wird aus der einen Tasche das herausgenommen, was vorher mit der anderen Hand gegeben wurde.

    Müller: Aber dennoch sind diese drei Punkte ja Punkte, die die Sozialdemokraten immer gefordert haben, aber nicht durchgesetzt haben?

    Oppermann: Wir haben den Kindergrundfreibetrag auch in der Großen Koalition erhöht. Jetzt geht es, finde ich, stärker darum, den Familien insgesamt Betreuungsangebote zu machen für ihre Kinder. Die Kinder müssen Chancen haben. Die bekommen sie nicht mit einer relativ bescheidenen Erhöhung des Kindergeldes. Die bekommen sie nur dann, wenn in Bildung investiert wird. Da sehe ich im Koalitionsvertrag überhaupt keinen Ansatz.

    Die 300 Euro Stipendium für Top-Studenten ändern nichts an der Bildungsmisere. Wir haben 70.000 Schulabbrecher in Deutschland, wir brauchen dringend Sozialarbeiter an Schulen, insbesondere an den Schulen, die diese Schulabbrecher ganz offenkundig nicht besuchen. Wir brauchen Ganztagsangebote in der frühkindlichen Bildung. Wir brauchen den Ausbau von Ganztagsschulen auf der ganzen Ebene. All das wird überhaupt nicht in Angriff genommen mit der schwarz-gelben Regierung und deshalb werden die auch an den Strukturen in Deutschland nichts verändern.

    Müller: Wir müssen da ja der Fairness halber konkret noch einmal abwarten, Herr Oppermann. Aber jetzt sagen Sie, "alles was Deutschland braucht", dabei waren Sie elf Jahre in der Regierung.

    Oppermann: Wir haben in diesen elf Jahren ja auch Einiges geleistet. Wir sind nicht fertig geworden. Man wird nie fertig mit dem erfolgreichen Regieren. Wir haben auf jeden Fall Arbeitsmarktreformen durchgesetzt, die dazu geführt haben, dass zwei Millionen Menschen mehr in Arbeit gekommen sind. Wir haben dafür gesorgt, dass das BAFöG erhöht worden ist. Wir wollten Schüler-BAFöG ausbauen, das ist alles nicht mehr auf der Tagesordnung jetzt. Deshalb sage ich, wenn die FDP sich jetzt als sozial geriert, sie ist das in Wirklichkeit nicht. Sie stellt die Mindestlöhne infrage, die sollen überprüft werden. Es wird keinen allgemein-gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland geben, stattdessen gibt es den Einstieg in die Kopfpauschale im Gesundheitssystem. Die Steuersenkungen werden ganz klar diejenigen begünstigen, die viel Steuern zahlen, also die höheren Verdiener, aber die Gebührenerhöhungen, die jetzt auf kommunaler Ebene drohen und im Gesundheitsbereich, die belasten ganz klar die Kleinverdiener.

    Müller: Welche Verantwortung trägt die SPD denn, Herr Oppermann, für den höchsten Schuldenstand, den wir jemals hatten?

    Oppermann: Wir hatten mit Peer Steinbrück einen Finanzminister, der kurz davor war, den Haushalt auszugleichen. Jetzt plant die Regierung im Grunde genommen große Steuersenkungen und auch andere Wohltaten, die alle ausnahmslos auf Kredit aufgebaut sind. Die sind auf Schulden gebaut, insofern sind sie auch auf Sand gebaut. Dazu kommt, dass die Steuersenkungen ein Geschäft zulasten Dritter sind, denn die Einnahmeausfälle, die damit verbunden sind, trägt nicht in erster Linie der Bund, die tragen die Länder und die Kommunen. Das wird dazu führen, dass in den Kommunen Kürzungen vorgenommen werden müssen, in den Ländern auch. Die Hauptaufgabe der Länder ist Polizei und Sicherheit, Schule und Bildung.

    14 Milliarden Euro werden den Ländern fehlen. Die Gegenfinanzierung ist in keiner Weise gesichert. Der Verstoß gegen die Schuldenbremse ist programmiert. Wir werden das nicht zulassen, wir werden eine lautstarke und entschiedene Opposition sein in dieser Frage und wir werden alle rechtlichen und politischen Mittel ausschöpfen, um verfassungswidrige Schuldenstände zu verhindern.

    Müller: Sie müssen mir bei dem einen Punkt noch einmal helfen. Ich hatte das vor gut einer Stunde auch Peter Ramsauer (CSU) gefragt. 14 Milliarden, sagt Ihr Finanzfachmann Joachim Poß, seien bereits in diesen Steuerplänen eingebunden beziehungsweise eingerechnet, die die Koalition jetzt präsentiert hat. Aber Ramsauer sagte Nein, 14 Milliarden, die beschlossen sind, die bleiben, dazu kommen noch die 24 Milliarden. Ist doch ein ambitioniertes Ziel.

    Oppermann: Ja, das ist ambitioniert, aber es ist völlig unrealistisch, denn wie gesagt diese gesamten Entlastungen müssen mit Schulden finanziert werden. Es ist kein einziger Euro im Haushalt, der dafür zur Verfügung stünde. Es trifft allerdings zu, dass 14 Milliarden Euro Entlastungen zum 1. Januar bereits unter Per Steinbrück beschlossen worden sind. Dazu gehört der größte Brocken, die Berücksichtigung der Krankenversicherungsbeiträge, die die Menschen ab dem 1. Januar spürbar entlasten wird. Das kann die neue Regierung nicht auf ihrem politischen Konto gutschreiben. Aber was sie da vor hat, das führt in eine Schuldenrepublik, das führt nicht in eine Bildungsrepublik, das führt in eine Schuldenrepublik, in der jetzt Steuersenkungen gemacht werden und Wahlversprechungen realisiert werden, die die künftigen Generationen am Ende teuer abbezahlen müssen.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Oppermann: Ich bedanke mich auch.