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SPD-Politiker Lauterbach
"Bei Unions-Richtungsstreit macht GroKo keinen Sinn mehr"

Ohne Angela Merkel als CDU-Vorsitzende könnte die Sacharbeit in der Großen Koalition leichter werden, sagte SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach im Dlf. Dann habe die Regierung noch eine Chance. Sollte aber der Richtungsstreit in der Union alles überlagern, dürfe die Koalition nicht fortgesetzt werden.

Karl Lauterbach im Gespräch mit Silvia Engels | 30.10.2018
    Blauer Himmel rahmt am 08.01.2018 in Berlin am frühen Abend den Reichstag ein.
    Das Verlassen der großen Koalition wäre die Ultima Ratio, sagt der SPD-Politiker Karl Lauterbach (dpa-Bildfunk / Paul Zinken)
    Silvia Engels: Wollen Sie nun immer noch mit CDU und CSU weiterregieren?
    Karl Lauterbach: Zunächst mal: Ich habe es nie so bedingungslos gesagt, sondern in der Tat, wir sind überhaupt in diese Große Koalition gegangen, um in der Sache etwas zu erreichen. Das war für mich immer der entscheidende Punkt und da haben wir auch zum Beispiel in der Gesundheitspolitik die Gesetze sehr beschleunigt und auch schon einiges umgesetzt, zum Beispiel die Parität eingeführt. Wir werden in den nächsten Wochen, glaube ich, ein großes Gesetz, das größte Gesetz, was wir in dem Bereich bisher gemacht haben, zur Kranken- und zur Altenpflege beschließen. Wir haben auch schon diese Kommission für die gemeinsamen Honorare in gesetzlicher und privater Krankenversicherung eingeführt, einige andere Gesetze. Das heißt tatsächlich für mich stand das, was man heute einfach als Sacharbeit nennt, immer im Vordergrund, und da habe ich übrigens auch gut mit Spahn zusammengearbeitet am Rande.
    Aber es ist natürlich richtig, dass diese inhaltliche Arbeit immer schwerer wird und dass in anderen Bereichen es nicht so klar und nicht so gut läuft, zum Beispiel in der Umweltpolitik, beim "Gute Kita"-Gesetz oder auch bei der Familienentlastung. Das sind mindestens genauso wichtige Projekte. Dort wird die Sacharbeit immer wieder verzögert oder überlagert, sage ich einmal, durch die Streitigkeiten, die in der Union stattgefunden haben.
    "Es kann in jede Richtung gehen"
    Engels: Das könnte sich doch jetzt genau fortsetzen, denn Angela Merkel wird schwächer werden. Sie ist nicht mehr das eine Machtzentrum der CDU. Wie wollen Sie da in der Sacharbeit vorankommen?
    Karl Lauterbach
    Karl Lauterbach (SPD) - stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion gehört der Parlamentarischen Linken an. (Ralf Hirschberger)
    Lauterbach: Na ja, es kann in jede Richtung gehen. Es kann in die Richtung gehen, dass die Sacharbeit einfacher wird, weil tatsächlich der Streit in der Union, der sich ja auch immer an der Personalie Merkel entzündet hat, insbesondere zwischen Seehofer und Merkel, dass dieser Streit weicht und wir können tatsächlich die Projekte, die wichtig sind und die wir vereinbart haben, abschließen. Dann, würde ich sagen, hat das Ganze noch eine Chance.
    Wenn das nicht der Fall ist - das kann auch sein, dass tatsächlich der Unions-Richtungsstreit alles überlagert und weitergeht -, dann macht die GroKo keinen Sinn mehr, und dann wäre auch ich kein Befürworter für eine Fortsetzung mehr. Das ist ganz klar. Wir können jetzt nicht die Flinte ins Korn werfen, sondern man muss dem eine Chance geben. Aber in der Tat: Es bestätigt sich jetzt im Lichte dieser Entscheidung von Angela Merkel, dass es wichtig ist, dass wir hier mit einer klaren Frist arbeiten, und diese Frist haben wir ja gestern gesetzt. Wir werden die spezifischen Projekte, um die es uns geht, benennen, so dass nicht abstrakt über Sacharbeit gesprochen werden muss, sondern dass die Bürger auch wissen, was uns ganz besonders bedeutsam ist. Und, was auch wichtig ist: Wir müssen parallel sofort diesen Prozess fortführen und auch zu einem Zwischenstopp bringen, wo wir sagen, was ist uns wichtig neben der Arbeit in der Großen Koalition. Denn es könnte ja zu großen Veränderungen auch der Machtkonstellation viel früher kommen, und dann muss der Bürger auch wissen, wofür die neue SPD steht. Dazu zählen auch Dinge wie beispielsweise, wie stehen wir zur Energiewende, wie stehen wir zur Braunkohle, wie stehen wir zur Agenda 2010, wie stehen wir zur Migrationspolitik - die Dinge, die - das muss man offen sagen - in dem Prozess der, früher hat man das Erneuerung genannt, heute würde ich mehr von einer Weiterentwicklung der Partei sprechen, bisher ungeklärt sind. Die müssen wir jetzt klären, und zwar in einer verständlichen Sprache, so dass jeder Bürger weiß, wofür wir stehen. Denn wenn es tatsächlich zu neuen Konstellationen in der Macht käme, müssen wir auch aufgestellt sein. Das sind die beiden parallelen Prozesse, die wir in den nächsten Wochen mit Volldampf vorantreiben werden.
    "Verlassen der Koalition wäre Ultima Ratio"
    Engels: Sie haben es angesprochen. SPD-Chefin Nahles möchte einen konkreten Zeitplan abarbeiten. Auch Sie sprechen davon, der Union eine Frist zu setzen, um klare belastbare Entwicklungen in der Sacharbeit zu sehen. Heißt aber auch, Sie müssten eigentlich schon entschieden haben, wann die rote Linie überschritten ist, wann Sie die Koalition verlassen. Wann ist das?
    Lauterbach: Erst einmal: Dass wir die Koalition verlassen, das wäre die Ultima Ratio. Ich halte nichts davon, dass man sagt, was man wann macht, unter welchen Bedingungen und so weiter und so fort. Daher bitte ich darum, dass wir da uns jetzt nicht in eine Diskussion verwickeln lassen, wo es um Termine geht, dass wir genau vorankündigen, wie wir vorgehen. Weil dann steht das Taktische wieder im Vordergrund und nicht das Inhaltliche. Wir dürfen nicht selbst die Diskussion überlagern mit taktischen Überlegungen und uns so vielleicht auch erpressbar machen. Aber es ist klar, dass wir hier über eine kurze Zeit reden. Hier ist ja auch von Dezember geworden worden, was einen Fahrplan angeht, den wir mit der Union für die Projekte erreichen wollen. Dann haben wir auch eine Zwischenauswertung in der n Koalition ehedem vorgesehen. Es ist natürlich auch klar, dass wir, wenn es nicht richtig vorangehen sollte, das früher möglicherweise erkennen werden. Das muss man mal abwarten. Ich glaube, der Bürger verdient jetzt Klarheit, und daher ist die Entwicklung auch insgesamt eine positive, weil jetzt wird sich zeigen, ist die Bereitschaft da auf beiden Seiten, hier ordentlich weiterzuarbeiten. Dann hat das Ganze eine zweite Chance verdient. Ist die Bereitschaft nicht da, dann rechne ich auch damit, dass diese Große Koalition im nächsten Jahr in sehr schweres Wasser geraten wird und wahrscheinlich nicht überleben wird.
    "Müssen langfristig große Veränderungen in der Aufstellung vornehmen"
    Engels: Die SPD - Sie haben es auch angedeutet - will sich tendenziell Richtung sozialpolitischen Themen profilieren. Sie möchte mehr nach links. Die Kandidaten, die jetzt für die CDU als Parteivorsitzende im Gespräch sind, stehen dagegen eher für konservativ-liberale Profile, aber was völlig anderes. Das kann doch eigentlich nicht gut gehen, oder?
    Lauterbach: Man muss ja unterscheiden zwischen dem, was in der GroKo, in der Großen Koalition verabredet ist, und dem, was wir als SPD darüber hinaus wollen, auch in anderen Konstellationen. Das darf man nicht vermengen. Wir haben einen Koalitionsvertrag verhandelt, der – so wurde es ja damals in vielen Medien, ich sage, korrekt beschrieben - zu 70 Prozent die SPD-Handschrift trägt. Wenn man jetzt in der Koalition ständig nachverhandelt, obwohl die bereits verhandelten Projekte nicht richtig anlaufen - es gibt Ausnahmebereiche wie zum Beispiel die Gesundheit -, dann schmälert man das, was man erreichen kann und das man verhandelt hat. Das sieht dann plötzlich nach weniger aus, als es ist, was falsch wäre, weil wir haben viel erreicht. Zum zweiten: Dann erreicht man überhaupt nichts, weil dann natürlich der Koalitionspartner sagt, wieso sollen wir uns an das Vereinbarte halten, wenn ihr ständig Neues fordert. Somit muss man das trennen. Wir müssen langfristig GVeränderungen in der Aufstellung vornehmen. Das hatte ich ja eben schon angedeutet. Dazu zählen tatsächlich große ungeklärte Themen wie Energiewende, Braunkohle, Agenda, wie gehen wir damit um, was ist genau unser Rentenvorschlag, um Altersarmut zu verhindern. Da werden wir uns sehr intensiv zum Beispiel auch mit dem Olaf Scholz Vorschlag auseinandersetzen, dass das Rentenniveau nicht mehr sinken darf. Das halte ich für einen wichtigen und auch richtigen Vorschlag. Wir werden uns auch mit Themen wie Grundeinkommen auseinandersetzen, und das ist keine Debatte, da können wir unter keiner Illusion sein, die wir mit dem jetzigen Koalitionspartner so verhandeln können. Da ist schon viel erreicht, wenn wir das durchsetzen, was wir vereinbart haben.
    Das ist nicht wenig. Beispielsweise das "Gute Kita"-Gesetz oder die Familienstärkung oder die Grundrente, die sofort wirksam werden könnte. Das Qualifizierungschancen-Gesetz, ein Gesetz, wo es darum geht, dass Menschen eine Möglichkeit haben, sich zu qualifizieren im Beruf bereits, so dass sie nicht ausgemustert werden im Arbeitsmarkt. Das sind alles wichtige Dinge, die wir vereinbart haben. Die dürfen wir nicht selbst entwerten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.